Galaxien auf Tuchfühlung
Archivmeldung vom 07.03.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas VLT Survey Telescope (VST) am Paranal-Observatorium der ESO in Chile hat eine außergewöhnliche Ansammlung von miteinander wechselwirkenden Galaxien im Herkules-Galaxienhaufen beobachtet. Die Schärfe des Bildes und die Tatsache, dass die Abbildung hunderter von Galaxien während weniger als drei Stunden Beobachtungszeit entstand, demonstrieren die überragenden Möglichkeiten, die das VST und seine riesige Kamera OmegaCAM den Astronomen zur Erforschung unserer kosmischen Umgebung bieten.
Der Herkules-Galaxienhaufen, auch bekannt als Abell 2151, befindet sich in einer Entfernung von etwa 500 Millionen Lichtjahren im Sternbild Herkules. Er unterscheidet sich in mehrererlei Hinsicht von anderen nahe gelegenen Galaxiengruppen: Der Haufen weist eine irreguläre Form auf und enthält viele verschiedene Galaxientypen. Besonders häufig finden sich jedoch junge Spiralgalaxien, in denen noch viele Sterne entstehen. Elliptische Riesengalaxien dagegen werden in diesem Haufen nicht beobachtet.
Das hier gezeigte Bild wurde mit dem VST aufgenommen, dem jüngsten Spross der Teleskopfamilie am Paranal-Observatorium der ESO in Chile. Das VST ist ein Teleskop für Himmelsdurchmusterungen. Ausgerüstet ist es mit der OmegaCAM, einer 268-Megapixel-Kamera, deren Gesichtsfeld ein besonders großes Himmelsareal abdeckt. Üblicherweise können nur kleine Teleskope derart ausgedehnte Objekte mit einer einzigen Belichtung komplett erfassen. Das VST jedoch verfügt mit seinem 2,6 Meter messenden Hauptspiegel nicht nur über ein großes Gesichtsfeld, sondern profitiert auch von den hervorragenden Beobachtungsbedingungen auf dem Paranal. So kann es innerhalb sehr kurzer Zeit extrem scharfe Aufnahmen von ausgedehnten Himmelsobjekten liefern – selbst solchen, die weit entfernt und entsprechend lichtschwach sind.
Überall im Bildfeld erkennt man Galaxienpaare, die letztlich zu einer einzigen größeren Galaxie verschmelzen dürften und in Vorbereitung auf dieses Schicksal bereits sehr nahe zusammen gerückt sind. Diese zahlreichen Begegnungen von Galaxien und die große Zahl an gasreichen, sternbildenden Spiralgalaxien verleihen den Galaxien im Herkules-Galaxienhaufen ein Erscheinungsbild ähnlich dem von viel jüngeren Galaxien im fernen Universum [1]. Aus diesem Grund vermuten die Astronomen, dass es sich beim Herkules-Haufen um einen relativ jungen Galaxienhaufen handelt. Eines Tages jedoch wird sich auch dieser junge und dynamische Schwarm von Galaxien zu einem System entwickeln, das den älteren Galaxienhaufen ähnelt, wie sie für unsere kosmische Nachbarschaft typisch sind.
Galaxienhaufen entstehen, wenn sich kleinere Galaxiengruppen aufgrund ihrer gegenseitigen Gravitationsanziehung zu einem System verbinden. Je näher sich diese Gruppen kommen, desto kompakter und kugelförmiger wird der Galaxienhaufen. Auch die einzelnen Galaxien rücken dabei näher zusammen, und viele von ihnen treten mit ihren Nachbarn in Wechselwirkung. Auch wenn in den ursprünglichen Galaxiengruppen die Spiralgalaxien in der Mehrheit waren, zerstören Kollisionen mit anderen Galaxien schließlich ihre Spiralstruktur, entreißen ihnen Staub und Gas und bringen so den Großteil der Sternentstehungsprozesse zum Erliegen. Daher sind die meisten der Galaxien in einem ausgewachsenen Galaxienhaufen Ellipsen oder haben irreguläre Formen. In den Zentren der alten Galaxienhaufen befinden sich meist eine oder zwei besonders große elliptische Galaxien, die aus älteren Sternen bestehen und sich durch die Verschmelzung von kleineren Galaxien gebildet haben.
Beim Herkules-Galaxienhaufen dürfte es sich um eine Ansammlung von mindestens drei kleineren Galaxienhaufen und -gruppen handeln, die sich momentan zu einer größeren Struktur verbinden. Auch der Galaxienhaufen als Ganzes ist gerade dabei, sich mit anderen großen Galaxienhaufen zu einem so genannten Superhaufen zusammenzufinden. Solche gigantischenn Gebilde gehören zu den größten Strukturen im Universum überhaupt. Das große Gesichtsfeld und die hohe Qualität der Aufnahmen der OmegaCAM machen das VST zu einem idealen Instrument, um die äußeren Bereiche der Galaxienhaufen zu untersuchen, in denen sich die bisher nur wenig verstandenen Wechselwirkungen mit anderen Galaxienhaufen abspielen.
Neben den Galaxien im Herkuleshaufen zeigt das Bild auch viele schwache Hintergrundobjekte – Galaxien in sehr viel größerer Entfernung als die Haufen-Galaxien. Aber auch Objekte aus unserer unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft sind zu sehen: mehrere helle Sterne der Milchstraße und auch einige Asteroiden, die bei ihrer langsamen Bewegung durch das Gesichtsfeld während der Aufnahmedauer Strichspuren hinterlassen haben.
Endnoten: [1] Da ihr Licht mehrere Milliarden Jahre brauchte, um uns zu erreichen, sehen wir Objekte im fernen Universum so, wie sie vor Milliarden von Jahren und damit in einem deutlich früheren Entwicklungsabschnitt waren.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie (idw)