Internationales Forscherteam gewinnt neue Erkenntnisse über arktischen Permafrostboden
Archivmeldung vom 09.04.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer Permafrostboden in der Arktis und den subarktischen Gebieten wird vermutlich über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich beträchtliche Mengen von Treibhausgasen freisetzen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam, nachdem es aktuelle Permafrost-Studien zusammengefasst und ausgewertet hat. Die Wissenschaftler stellen damit fest, dass die immer wiederkehrende These einer schlagartigen und großflächigen Freisetzung von Milliarden Tonnen von Kohlendioxid und Methan aus dem gefrorenen Boden sehr unwahrscheinlich ist. Die Studie erscheint heute im Fachmagazin Nature.
Der Permafrostboden der nördlichen Erdhälfte speichert fast doppelt so viel Kohlenstoff, wie derzeit in der Atmosphäre enthalten ist. „Wenn der Boden auftaut, beginnen Mikroorganismen und Bakterien die Pflanzen- und Tierreste, die seit Jahrtausenden in der Erde lagern, zu zersetzen. Dabei produzieren sie Kohlendioxid und Methan. Steigt also die globale Temperatur weiter an, könnte der Permafrost mehr Treibhausgase freisetzen“, erklärt Dr. Guido Grosse, Permafrostforscher an der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Co-Autor der aktuellen Studie. Wie schnell der Boden der Arktis auftaut und Treibhausgase freisetzt, sind deshalb entscheidende Fragen. Bisher gab es hierzu allerdings unterschiedliche Antworten.
Aus diesem Grund hat ein internationales Team von Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten, Europa, Kanada und Russland den derzeitigen Stand des Wissens zum Permafrost zusammengetragen. Dabei sind die Forscher zu dem Schluss gekommen, dass der gefrorene Boden im Laufe der nächsten Jahrzehnte sehr wahrscheinlich allmählich, aber beständig, große Mengen an Kohlendioxid und Methan freisetzen wird. Die These, dass der Permafrost bei steigenden Temperaturen schlagartig große Mengen Kohlendioxid und Methan ausstoßen könnte, schätzen die Wissenschaftler als sehr unwahrscheinlich ein. „Der Permafrost reagiert größtenteils langsam auf Klimaveränderungen. Hat der Tauprozess allerdings erst einmal begonnen, lässt er sich nicht mehr so schnell aufhalten. Selbst wenn wir jetzt die menschengemachten Emissionen drastisch reduzieren, würde der Permafrost über die nächsten Jahrhunderte weiter tauen“, sagt Dr. Guido Grosse.
Wie viel Kohlenstoff speichert der Permafrost?
Neue Erkenntnisse erlangten die Wissenschaftler vor allem in Bezug auf die Kohlenstoffmenge, die in den Permafrostregionen vermutet wird. Gingen erste Studien noch von 1600 bis 1700 Milliarden Tonnen aus, konnte das Team mit Hilfe historischer und aktueller Daten die Werte für die detaillierter untersuchten Permafrostregionen auf 1330 bis 1580 Milliarden Tonnen eingrenzen. Dazu kommen weitere, bis zu 400 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Regionen, die wegen der dortigen spärlichen Datenlage allerdings noch mit großer Unsicherheit in der Mengenabschätzung belegt sind.
Den größten Anteil, rund siebzig Prozent, davon erwarten die Wissenschaftler in den oberen drei Metern des Permafrostbodens. Doch auch in Tiefen von bis zu 40 Metern lagern wohl beträchtliche Kohlenstoffmengen. „Wir nehmen an, dass selbst die tiefen gefrorenen Ablagerungen für uns Menschen durchaus klimarelevant sind. Denn diese Schichten enthalten viel Eis, das bei steigenden Temperaturen schmilzt und den Permafrost trotz der Tiefe anfällig für schnelles und tiefes Auftauen innerhalb der nächsten 100 bis 300 Jahre macht und zur Freisetzung von Treibhausgasen führen kann“, erklärt der AWI-Permafrostforscher.
Ein beträchtlicher Anteil Kohlenstoff noch unbekannter Größenordnung befindet sich darüber hinaus unter dem Meeresspiegel der Schelfmeere Nordsibiriens und Alaskas. Permafrost, der sich hier während der letzten Eiszeit noch an Land gebildet hat, wurde mit dem Ende der Kaltzeit überflutet und Teile davon bestehen seitdem als so genannter submariner Permafrost weiter.
Abruptes, regionales Tauen von Permafrost
Obwohl die Wissenschaftler davon ausgehen, dass diese Kohlenstoffspeicher kontinuierlich abgebaut werden, verweisen sie in ihrer Studie auch auf Regionen in Alaska und Kanada, in denen es zu einem schnelleren Auftauen kommen kann. Der Grund: Der Boden in diesen Gebieten ist sehr eishaltig. Wenn die Temperatur hier schnell steigt, beginnen diese unterirdischen Eiseinlagerungen zu schmelzen und das darüber liegende Gelände abzusinken. In den dadurch entstehenden Senken wiederum sammelt sich Wasser. Es entstehen so genannte Thermokarstseen, unter denen der Boden mit erhöhtem Tempo weiter auftaut.
„Das Tauen unter den Seen passiert innerhalb weniger Jahrzehnte und kann sehr tiefe Schichten erreichen. Diese Thermokarst-Prozesse sind für uns deshalb ein deutliches Anzeichen dafür, dass das Tauen nicht immer graduell abläuft, sondern unter bestimmten Bedingungen – wie bei einer starken Erwärmung oder veränderten Niederschlägen – regional auch sehr plötzlich stattfinden kann“, erklärt Dr. Guido Grosse.
Kohlenstoff ist nicht gleich Kohlenstoff
Allerdings, fassen die Forscher zusammen, führt das Tauen der Permafrostböden nicht automatisch dazu, dass der gesamte darin gespeicherte Kohlenstoff als Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre abgegeben wird. „Auch Mikroben und Bakterien haben gewisse Futtervorlieben. Teile des Kohlenstoffs können sie sehr leicht aufnehmen, an anderen haben sie mehr zu knabbern, um sie umzusetzen – und einige können sie nur extrem langsam zersetzen“, erklärt Dr. Guido Grosse.
Erste Langzeitversuche ergaben zudem, dass besonders am Anfang, wenn der Boden zu tauen beginnt, die Kohlenstoff-Verlustrate hoch ist. Über die Zeit jedoch nimmt diese Rate wieder ab. Bereits zum Jahr 2100 könnten allerdings 15 Prozent des leicht zu verwertenden Kohlenstoffs als Treibhausgase freigesetzt werden. Den Wissenschaftlern zu Folge würde dies noch in diesem Jahrhundert zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung um bis zu 0,27 Grad Celsius führen.
Tauender Permafrost in Klimamodellen
Ziel der Permafrost-Forscher ist es nun, die neuen Erkenntnisse in Klimamodelle einzubauen. Denn bisher fanden Permafrost-Prozesse nur wenig Beachtung, wenn es darum ging, Aussagen über das zukünftige Klima zu treffen. „Wenn man bedenkt, dass die Permafrost-Regionen, die immerhin fast ein Viertel der Landoberfläche auf der Nordhalbkugel einschliessen, vermutlich ebenso viel Treibhausgase freisetzen, wie die historisch viel beachteten menschengemachten Veränderungen in der Landnutzung, dann zeigt sich wie bedeutend diese Vorgänge für unser Klima sind“, erzählt Dr. Guido Grosse.
Finanziert wurde die Zusammenarbeit des internationalen Forscherteams durch die amerikanische National Science Foundation (NSF). Dr. Guido Grosse wurde durch das European Research Council (ERC) mit dem Projekt PETA-CARB und dem Helmholtz Impuls- und Vernetzungsfonds finanziert.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (idw)