Antimikrobielle Oberflächen
Archivmeldung vom 12.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAntimikrobielle Materialien sind mittlerweile in vielen hygienerelevanten Lebensbereichen im Einsatz: Spezialbeschichtungen in Kühlschränken, keimreduzierende OP-Textilien oder antimikrobielle Oberflächen in Lebensmittelbetrieben sind nur einige Beispiele.
Der Begriff antimikrobielle Wirksamkeit umfasst dabei alle Wirkprinzipien, mit
denen das Wachstum von Keimen gehemmt, einer mikrobiellen Besiedelung entgegen
gewirkt wird oder Mikroorganismen abgetötet werden.
Im Falle von
antimikrobiellen Oberflächen ist diese Wirkung immer auf die Materialoberfläche
begrenzt, deren massenhafte Besiedelung mit Keimen verhindert werden soll. Eine
Erweiterung der antimikrobiellen Wirkung auf sich darauf befindende Gegenstände
ist dagegen auszuschließen, da diese mit einer uner-wünschten Wirkstoffabgabe,
zum Beispiel an auf der Oberfläche verarbeiteten Lebensmittel, einher gehen
würde. Entsprechend leisten antimikrobielle Oberflächen auch im Rahmen der
Infektionsprophylaxe gute Dienste, da mit ihnen die Keimübertragung und
-Verschleppung zum Beispiel durch die Kleidung der Mitarbeiter in einem
Krankenhaus minimiert werden kann.
Wirkprinzipien
Generell wird dabei
zwischen passiven Materialien unterschieden, bei denen die mikrobielle
Besiedlung allein durch die Oberflächenstruktur verhindert wird. Durch den so
genannten Lotus-Effekt oder mikrodomänenstrukturierte Oberflä-chen wird die
Bakterienzelle selbst nicht angegriffen, es wird lediglich das An-haften der
Mikroorganismen an der Materialoberfläche verhindert. Gleiches gilt für Wasser-
und Schmutzstoffe, wodurch die Lebensbedingungen von Mikroor-ganismen negativ
verändert (anti-adhäsive Wirkung) werden.
Dem gegenüber enthalten aktive
antimikrobielle Materialien, deren biozide Bestandteile, die Mikroorganismen an
der Zellwand, im Stoffwechsel oder in der Erbsubstanz (Genom) angreifen. Wenn
ein Wirkprinzip Mikroorganismen in ihrer Vitalität negativ beeinflusst,
bezeichnet man dies generell als antimikro-bielle Aktivität. Gilt dies nur für
Bakterien bzw. Schimmelpilze spricht man von antibakterieller bzw.
antimykotischer Aktivität.
Das Ausmaß der Wirkung wird bei signifikanter
Keimabtötung mit dem Attribut -zid (tötend) oder -statisch bei
wachstumshemmender Wirkung gekennzeichnet. So bedeutet bakteriostatisch eine
zeitabhängige Wachstumshemmung auf eine bestimmte Bakterienpopulation, ohne dass
diese abgetötet wird. Bei Schimmelpilzen werden entsprechend die Begriffe
fungistatisch und fungizid verwendet.
Möglichkeiten und Grenzen
Die Wirksamkeit einer antimikrobiellen Oberfläche definiert sich über
die innerhalb der Kontaktzeit erreichte Keimreduktion. Diese wird in log-Stufen
angegeben, wobei eine log-Stufe jeweils der Reduktion der Keime um eine
Zehnerpotenz (log10) entspricht.
Je nach Anwendung der Materialien z. B. in
Lebensmittel verarbeitenden Betrieben oder Laboratorien ergeben sich
unterschiedliche Anforderungsprofile. Kunststoffoberflächen, die mit
Lebensmitteln über mehrere Tage in Kontakt kommen, sollten messbare
Keimreduktionswerte von ? 3 log-Stufen (= 99,9 %) aufweisen, bezogen auf eine
Kontaktzeit von 24 Stunden oder weniger.
Oberflächen, die z. B. im
medizinischen oder mikrobiologischen Labor zum Einsatz kommen, können auch mit
höheren Reduktionswerten ausgestattet sein. Das bedeutet, dass sie eine
bestimmte Keimreduktion in kürzerer Zeit erreichen bzw. grundsätzlich höhere
Reduktionswerte erzielen. Zu beachten ist dabei, dass die verwendeten
antimikrobiellen Substanzen grundsätzlich für Mensch und Umwelt toxikologisch
unbedenklich sein müssen. Außerdem müssen Sie so in das behandelte Material
eingebunden sein, dass sie nicht ausgasen und ein Auswaschen ausgeschlossen ist.
Letztlich muss gewährleistet werden, dass bei der Entsorgung der behandelten
Materialien, z. B. in Müllverbrennungsanlagen, keine schädlichen Stoffe
entstehen.
Wirksamkeitstests
Das antimikrobielle Wirkprinzip und -Maß
müssen in jedem Einsatzbereich den individuellen Erfordernissen angepasst
werden. Deshalb empfehlen sich praxisnahe Wirksamkeitstests bereits bei der
Entwicklung neuer Materialien und Produkte. Sicherheit bei der Auswahl
antimikrobieller Materialien bieten sowohl im gewerblichen wie auch im privaten
Bereich Zertifikate auf Basis neutraler Untersuchungen, wie zum Beispiel das
Hohensteiner Qualitätslabel.
Die Auswahl einer geeigneten Prüfmethode
orientiert sich dabei an den unterschiedlichen Wirkprinzipien und deren
Ausmaß:
Agar-Diffusionstest
Der Agar-Diffusionstest entstammt der
Antibiotikaforschung. Mit ihm wird die minimale Hemmstoffkonzentration bestimmt,
die nötig ist, um Indikatorkeime am Wachstum zu hindern. Quantitative Aussagen
sind auf diesem Wege nicht möglich. Die zu überprüfenden Materialien werden auf
homogen mit Keimen beimpften Agar-Nährboden aufgelegt und im Brutschrank
inkubiert. Die keimfreie Zone (Hemmhof oder Halo) um das aufgelegte
antimikrobielle Material gibt Auskunft über dessen Wirksamkeit.
Diese
Testmethode ist hervorragend zur Überprüfung der Wirksamkeit hochdiffuser
antimikrobieller Wirkstoffe geeignet und nahezu alternativlos für den Nachweis
fungizider Wirkung. Mit dem Agar-Diffusionstest lassen sich insbesondere textile
Materialien wie OP-Textilien, Berufskleidung für Lebensmittelbetriebe oder
textile Filter auf ihre antimikrobielle Wirkung hin überprüfen. Ein wesentliches
Funktionskriterium beim Agar-Diffusionstest ist der Kontakt der Probe mit dem
Agar und den Mikroorganismen. Um vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, ist
deshalb auch bei diesem relativ einfachen Test eine sachkundige Durchführung
notwendig.
Suspensionstest
Im Gegensatz zum Agar-Diffusionstest lassen
sich mit dem Suspensions- bzw. Challenge-Test quantitative Aussagen über die
antimikrobielle Wirksamkeit erzielen. Die zu prüfenden Materialien sowie
entsprechende Kontrollmaterialien gleicher Beschaffenheit, jedoch ohne
antimikrobielle Wirkung, werden mit definierten Testkeimsuspensionen von
gram-negativen und gram-positiven Keimen aufgebracht. Von einem Teil der Proben
wird sofort die Keimzahl bestimmt. Beim anderen Teil erfolgt die Auszählung der
Keime erst nach einer definierten Zeit im Brutschrank. Beide Keimzahlen werden
dann ins Verhältnis gesetzt und davon die antimikrobielle Wirkung
abgeleitet.
Die Veränderungen während der Inkubationszeit resultieren zum
einen aus der spezifischen antimikrobiellen Wirksamkeit des Materials, zum
andern auch durch die äußeren Einflüsse und Grundeigenschaften des
Prüfmaterials. Aus diesem Grund erfolgt der Vergleich mit den Kontrollproben,
bei denen nicht antimikrobiell ausgerüsteten Testmaterialien den gleichen
Einflüssen ausgesetzt wurden.
Um Verfälschungen z. B. durch
Adsorptionseffekte bei Mikroorganismen zu vermeiden, bedarf es auch bei dieser
Testmethode großer Erfahrung bei der Durchführung und Auswertung.
JIS L
1902:1998; JIS L 1902:2002
Diverse Testmethoden (Methode AATCC 100, SN
195924, XP G 39-010), lassen keine Differenzierung zwischen antimikrobiellem
Wirkstoff und anderen Einflüssen, wie z. B. allgemeinen Materialeigenschaften
zu. International hat sich zur Beurteilung der antimikrobiellen Wirkung deshalb
die japanische Standardmethode JIS L 1902:1998 und JIS L 1902:2002 etabliert.
Dabei werden Bakterien in der Nährlösung auf das zu untersuchende Material
aufgebracht und 18 Stunden bebrütet. Die spezifische antimikrobielle Wirkung
beruht auf der Differenz der Keimzahlen auf diesen Proben im Vergleich zu
Kontrollproben, bei denen die Keime kurz zuvor aufgebracht wurden. Bei richtiger
Anwendung ermöglicht die japanische Norm konkrete Aussagen über die spezifische
antimikrobielle Wirkung des Materials und über die Gesamtwirkung in Abhängigkeit
von den Ausrüstung, Umgebung und Material.
Der Umfang der vorhandenen
Nährstoffreserven ist entscheidend für die Vitalität der untersuchten Keime und
damit deren Möglichkeit, sich der antimikrobiellen Wirkung zu widersetzen. Die
Wissenschaftler der Hohensteiner Institute haben deshalb in Zusammenarbeit mit
weiteren renommierten europäischen Forschungsinstituten eine Modifikation der
Testmethode entwickelt. Bei dieser stehen den Bakterien lediglich minimale
Nährstoffmengen während der Kontaktphase zur Verfügung. Die Testergebnisse sind
damit deutlich aussagekräftiger.
JIS Z 2801:2000
Für Hartplastik,
Folien und Lackbeschichtungen stellt die so genannte Filmkontaktmethode
entsprechend einer weiteren japanischen Norm (JIS Z 2801:2000) eine besondere
Variante dar. Der experimentelle Aufbau entspricht der JIS L 1902:2002,
allerdings wird nach Beimpfung der Proben eine dünne Folie auf das Inokulum
gedrückt, so dass sich die Bakteriensuspension in einer möglichst dünnen Schicht
auf dem Prüfling verteilt. Damit werden die Bedingungen für antimikrobielle
Oberflächen zum Beispiel in der Lebensmittel- oder Pharmain-dustrie realitätsnah
dargestellt.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.