Planet oder gescheiterter Stern?
Archivmeldung vom 15.09.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.09.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinen der masseärmsten Begleiter eines normalen Sterns haben Astronomen in einem internationalen Projekt mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg auf einer Aufnahme mit dem Weltraumteleskop HUBBLE entdeckt.
Die Masse des Sterns beträgt 0.35 Sonnenmassen, die Masse des Begleiters nur etwa zwölf Jupitermassen (das sind 0.01 Sonnenmassen), sein Abstand zum Zentralstern ist aber 200 Mal so groß wie der Abstand der Erde zur Sonne. Ist der Begleiter nun ein Planet oder ein gescheiterter Stern? Die Wissenschaftler plädieren für einen "gescheiterten Stern" (Astrophysical Journal, 20. September 2006).
Das neu entdeckte Objekt umkreist den normalen, sonnenähnlichen
Stern CHRX 73 und wird deshalb als CHRX 73B bezeichnet. Mit einem Alter von nur
zwei Millionen Jahren sind die beiden Objekte sehr jung. Zum Vergleich: Das
Sonnensystem ist 4.6 Milliarden Jahre alt.
Das Objekt wurde im Rahmen
einer Suche nach Braunen Zwergen mit der "Advanced Camera for Surveys" des
Weltraumteleskops HUBBLE gefunden. In den elf Jahren seit der Entdeckung des
ersten Braunen Zwerges haben Astronomen einige hundert Objekte dieser Art
gefunden. Die meisten von ihnen sind isoliert, und nur wenige - wie auch CHRX 73
B - sind Begleiter eines normalen Sterns.
Doch als was ist CHRX 73B nun
zu bezeichnen - als Planet, als Brauner Zwerg oder als gescheiterter Stern?
Nach seiner Masse beurteilt: ein Planet
Braune Zwerge
unterscheiden sich von normalen Sternen darin, dass in ihrem Inneren zwar kein
Wasserstoffbrennen ablaufen kann, dazu sind Druck und Temperatur zu niedrig,
wohl aber noch Lithium- und Deuteriumbrennen; dagegen läuft im Inneren der
Planeten keinerlei Kernreaktion ab. Diese Definition begrenzt die Masse der
Braunen Zwerge nach oben - gegenüber den normalen, Wasserstoff-brennenden
Sternen - bei etwa 75 Jupitermassen und nach unten - gegenüber den Planeten -
bei etwa 13 Jupitermassen. Mit seinen zwölf Jupitermassen wäre CHRX 73B demnach
ein Planet.
Nach seiner Entstehung beurteilt: ein gescheiterter
Stern
Aber neben der Masse, von deren Wert es abhängt, ob bestimmte
Kernreaktionen im Inneren der Körper ablaufen können, besteht ein zweites,
wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen Sternen oder auch Braunen Zwergen
und Planeten: ihr Entstehungsprozess.
Ein Stern entsteht direkt aus dem
Kollaps einer kalten interstellaren Wolke aus Staub und Gas. Die Wolke fällt
unter der Last ihrer äußeren Schichten in sich zusammen, und in ihrem Inneren
bildet sich eine zentrale Verdichtung - der neue Stern.
Weil die Wolke
ursprünglich rotiert, führen die beim Kollaps verstärkt auftretenden
Zentrifugalkräfte dazu, dass sich um den neu entstehenden Stern eine dichte
rotierende Scheibe aus Staub und Gas ausbildet. In dieser Scheibe kommt es
schnell zur Bildung von Klumpen, die dann immer mehr Scheibenmaterial aufsammeln
und schließlich zu größeren Körpern anwachsen, die den Zentralkörper umkreisen.
Diese im sekundären Wachstumsprozess innerhalb der Scheibe entstandenen Körper
gelten nach dem zweiten Kriterium als Planeten.
Die neulich für die
Planeten des Sonnensystems festgelegte Definition verlangt zusätzlich, dass die
Körper eine runde Form haben, und dass sie ihre Umlaufbahn um den Zentralstern
von anderen Körpern frei halten. Pluto, dessen Masse nur knapp ein
Hunderttausendstel der Jupitermasse beträgt, ist demnach kein Planet, denn er
ist zwar rund und in der die junge Sonne umgebenden Scheibe entstanden, aber er
ist zu klein, um auf seiner Umlaufbahn der gravitative Alleinherrscher zu sein.
Solche Körper werden dann als Zwergplaneten bezeichnet.
Nach diesem
zweiten Kriterium ist nun der neu entdeckte CHRX 73B kein Planet. Denn seine
Entfernung vom Zentralstern ist 200-mal so groß wie der Abstand der Erde von der
Sonne (dieser Abstand beträgt 150 Millionen Kilometer und wird als Astronomische
Einheit bezeichnet) und etwa siebenmal so groß wie der Sonnenabstand Neptuns:
Nach allem, was die Astronomen heute wissen, können Planeten der Größe Jupiters
und größer nicht weiter als etwa 30 Astronomische Einheiten von ihrem
Zentralstern entstehen, weil die ursprüngliche zirkumstellare Scheibe dort
draußen nicht mehr genügend viel Baumaterial enthält.
Demnach wäre CHRX
73 B, dessen Abstand zu seinem Zentralstern 200 Astronomische Einheiten beträgt,
nicht in einer zirkumstellaren Scheibe um CHRX 73 sondern direkt aus dem Kollaps
einer recht kleinen interstellaren Wolke aus Gas und Staub entstanden. Er wäre
seiner Entstehung nach ein Stern oder Brauner Zwerg, dessen Masse jedoch zum
Zünden von Kernreaktionen im Inneren nicht ausreicht - also sozusagen ein
"gescheiterter Stern", der mit CHRX 73 ein gravitativ gebundenes, ungleiches
Paar bildet.
Einsame Winzlinge
Völlig isolierte Objekte mit
planetarer Masse, die an keinen Zentralstern gebunden sind, sondern einsam durch
den Raum vagabundieren, sind bereits bekannt: Sie können keinesfalls in
zirkumstellaren Scheiben entstanden sein, müssen sich also wie Sterne direkt aus
dem Kollaps interstellarer Wolken gebildet haben, und gelten mit vollem Recht
als "gescheiterte Sterne".
Ein wichtiges Indiz für die Herkunft von CHRX
73 B direkt aus dem Kollaps einer interstellaren Gas- und Staubwolke wäre das
Vorhandensein einer eigenen Staubscheibe. Auch viele junge Braune Zwerge
scheinen von kompakten Scheiben mit Durchmessern von bis zu 20 Astronomischen
Einheiten umgeben zu sein. Diese kompakten Scheiben lassen sich zur Zeit weder
mit dem Weltraumteleskop HUBBLE noch mit bodengebundenen 8- bis
10-Meter-Teleskopen direkt abbilden. Aber das Infrarotweltraumteleskop SPITZER
hat die Wärmestrahlung von Scheiben um isolierte Braune Zwerge nachgewiesen, es
besitzt allerdings nicht das räumliche Auflösungsvermögen, um CHRX 73 und seinen
Begleiter getrennt abbilden zu können.
Der nächste Schritt
Die
Astronomen müssen somit auf zukünftige Beobachtungsmöglichkeiten hoffen, mit
denen sich kompakte Staubscheiben um Braune Zwerge nachweisen und räumlich
auflösen lassen werden. Solche Möglichkeiten werden bodengebundene Teleskope
bieten, die mit adaptiver Optik und interferometrischen Verfahren arbeiten, oder
aber das "James Webb Space Telescope", HUBBLEs Nachfolger, dessen Start für das
Jahr 2013 geplant ist.
An dem Projekt beteiligt waren Kevin Luhman (Penn
State University, University Park, USA), John Wilson (University of Virginia,
Charlottesville, USA), Wolfgang Brandner (Max-Planck-Institut für Astronomie,
Heidelberg), Michael Skrutskie (University of Virginia, Charlottesville, USA),
Mike Nelson (University of Virginia, Charlottesville, USA), John D. Smith
(University of Arizona, Tucson, USA) Deane Peterson (University of Virginia,
Charlottesville, USA), Mike Cushing (University of Arizona, Tucson, USA) und
Eric Young (University of Arizona, Tucson, USA).
[JS]
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Astronomie