Fabelmonster in der Petrischale
Archivmeldung vom 01.08.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn einer Geschichte aus der griechischen Mythologie besiegt Herkules die vielköpfige, im Wasser lebende Hydra. Die Geschichte wirkt märchenhaft - mehrköpfige Tiermonster gibt es nicht. Wissenschaftler aus dem Institut für Tierökologie und Zellbiologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover konnten jetzt das Gegenteil beweisen.
Sie fanden vielköpfige Medusen (Quallen), die immer dann entstehen, wenn
bestimmte Entwicklungsgene ausgeschaltet werden. Wie das Wissenschaftsmagazin
PlosOne im Juli in seiner Online-Ausgabe berichtet
(www.plosone.org/doi/pone.0000694), gelang es den Wissenschaftlern mittels einer
für Meerestiere neuartigen Methode, so genannte Cnox-Gene im lebenden Tier zu
blockieren. Diese Gene sind nahe verwandt mit den Hox-Genen der höheren Tiere
und verantwortlich für die Ausbildung der Körpergrundgestalt entlang der
Hauptkörperachse, also von vorne (anterior) nach hinten (posterior).
Während die Entstehung mehrköpfiger Tiere bisher lediglich als seltene Entwicklungsanomalie unbekannter Ursache bei verschiedenen Tieren bekannt war, wurde jetzt erstmals die Vielköpfigkeit als induzierbare und reproduzierbare Entwicklung gezeigt, indem ein einziges regulatorisches Gen experimentell ausgeschaltet wurde. Im Labor ist das Fabelwesen Hydra real geworden und liefert neue Erkenntnisse zur genetischen Steuerung der Kopfbildung bei Tieren. Wird ein bestimmtes Cnox-Gen ausgeschaltet, können die Wissenschaftler Medusen der Art Eleutheria dichotoma mit genau zwei Köpfen entstehen lassen, wobei beide Köpfe voll funktionsfähig, beispielsweise zur Nahrungsaufnahme, sind. In der Natur werden mehrköpfige Medusen oder andere Tiere kaum zu finden sein, da zusätzliche Köpfe bei sonst gleich bleibendem Körperbau keinen Selektionsvorteil bieten. Die TiHo-Forscher Dr. Wolfgang Jakob und Prof. Dr. Bernd Schierwater berichten jedoch, dass die gefundenen Bauplanveränderungen sehr wohl von großem Nutzen für die Evolution gewesen sein könnten. "Denkbar wäre, dass koloniebildende Nesseltiere, etwa die, die Korallenriffe aufbauen, aus einzeln lebenden Vorfahren hervorgegangen sind, indem diese parallel mit der Entstehung von mehreren Köpfen ihre hintere Körperregion so vergrößert und strukturiert haben, dass Tierkolonien entstehen konnten." sagt Schierwater. Hintergrund der Überlegungen ist, dass Nesseltier-Kolonien aus Einzeltieren entstehen indem zusätzliche Körperteile von einem Muttertier aus gebildet werden.
Ein
wesentlicher Unterschied zwischen den vielköpfigen Medusen der Wissenschaftler
im Labor und dem vielköpfigen Fabelmonster Hydra bleibt erwähnenswert. Jedes Mal
wenn Herkules der Hydra einen Kopf abschlug, wuchsen sogleich zwei neue Köpfe
nach. Bei der Eleutheria-Meduse im Labor wächst nach Abtrennung eines Kopfes nur
einer nach.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.