Der Mumien-Käse
Archivmeldung vom 05.03.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtNormalerweise analysiert das Team von Andrej Shevchenko am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden Proteine und Fette in Zellen von Fruchtfliegen oder Fadenwürmern. In diesem Fall hatten die Forscher aber außergewöhnliche Proben in ihren Apparaten: Unförmige Brocken, die sich als Käsereste aus der frühen Bronzezeit entpuppten und somit den bisher ältesten bekannten Käse darstellen.
Die Käsebrocken sind Grabbeigaben, die auf Hals und Brust einer rund 4000 Jahre alten mumifizierten Leiche aus dem Gräberfeld Xiaohe in Xinjiang im westlichen China gefunden wurden. Aus der Analyse konnten die Forscher das Rezept des Käses rekonstruieren: Wie Kefir wurde er aus Milch hergestellt, die mit einem Gemisch aus Bakterien und Hefe versetzt und zum Gären gebracht wurde.
Der 4000 Jahre alte Xiaohe-Käse sind die ältesten bisher gefundenen Überreste eines Milchprodukts. Aufgrund des extrem trockenen Klimas in der Wüste Taklamakan, in dem sich das Xiaohe-Gräberfeld befindet, waren die Käse-Überreste bestens erhalten – großes Glück für die Forscher in Dresden. Der Mumien-Käse wurde mit Bakterien und Hefe, nicht mit Lab hergestellt: „Dazu mussten also keine Jungtiere geschlachtet werden – ein großer Vorteil dieses Herstellungsverfahrens“, so Shevchenko.
Das könnte dazu beigetragen haben, dass sich Viehhaltung im größeren Maße auch in ganz Asien verbreitet hat, so seine Interpretation. „Die Herstellung dieses Kefir-Käses ist einfach, er wird nicht schnell ranzig oder verdirbt – der Käse hat die besten Voraussetzungen dafür, in Massenproduktion hergestellt zu werden.“ Bei der Fermentation mit Kefirknollen entsteht außerdem als Vorstufe zum Käse das als Kefir bekannte probiotische Milchgetränk, beide Produkte enthalten kaum Laktose – ideal für die in Asien lebenden Bevölkerungsgruppen, die vornehmlich eine Laktoseintoleranz aufweisen.
Andrej Shevchenkos Frau Anna leitet am selben Institut die Massenspektrometrie-Abteilung. Erst vor kurzem hat das Forscher-Duo bereits ein anderes Archäologie-Projekt abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht. In ihrer Schreibtischschublade hat Anna Shevchenko noch einige Plastikröhrchen mit hellbraunen Krümeln – es handelt sich um 2500 Jahre alte Grabbeigaben, die bei Ausgrabungen auf der antiken chinesischen Begräbnisstätte Subeixi gefunden wurden. „Auch bei diesem Projekt haben wir die Protein-Rückstände aus einer getöpferten Tonschale analysiert und konnten danach das prähistorische Rezept eines Sauerteigbrots rekonstruieren“.
„Die Archäologie hatten wir eigentlich nie auf dem Schirm. Da sind wir einfach durch eine Mail-Anfrage des chinesischen Archäologen Yimin Yang hineingerutscht“, sagt Shevchenko. Der hatte die Idee, seine Funde mit hochmodernen quantitativen Proteomik-Methoden analysieren zu lassen und schickte den Dresdner Forschern dann die ersten Käsebrocken. Dazu mussten sie erst Methoden entwickeln, mit denen man Proteine von Organismen mit bisher unsequenziertem Erbgut identifizieren kann.
Damit sind die Projekte echte Pionierarbeit und zeigen nun vor allem, dass die quantitative Proteomik nicht nur in der biomedizinischen Forschung sinnvoll einsetzbar ist, sondern auch für die Archäologie eine vielversprechende Methode sein könnte: „Die bisher in der Archäologie genutzten Analysemethoden nahmen immer die DNA oder Fette in den Blick – dabei sind die aber bei sehr alten organischen Proben oft völlig unbrauchbar. Proteine wurden bisher ignoriert, weil man immer meinte, sie würden völlig abgebaut werden, seien schwer zu handhaben und die Ergebnisse wären unter Umständen kontaminiert mit Proteinen aus der Umgebung. Unser Ansatz eröffnet also für die Analyse von organischen Resten auf archäologischen Funden ganz neue Möglichkeiten“, so Anna Shevchenko weiter.
Doch im Gegensatz zu Fetten tragen Proteine sehr viel Informationen in Molekülform in sich: So kann die Anordnung der Aminosäuren, aus denen die Proteine bestehen, auch Hinweise auf Verarbeitungsvorgänge, wie etwa Fermentation, enthalten. Die Proteomik könnte damit zu einer interessanten und geeigneten Methode im Bereich der Archäometrie avancieren.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)