Bayreuther Geoforscher fanden neue aufregende Ergebnisse zur Kristallstruktur des Erdkerns
Archivmeldung vom 30.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Kristallaufbau eines (raum-zentrierten) kubischen Festkörpers steht im Mittelpunkt von Forschungsarbeiten einer Wissenschaftlergruppe um Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen Geoinstitut der Universität Bayreuth im Rahmen eines Programms der europäischen Wissenschaftsgemeinschaft (European Mineral Sciences Initiative Program).
Die Untersuchungen haben erkennen lassen, dass der innere Erdkern aus einer
Eisen-Nickel-Legierung mit einer derartigen raum-zentrierten, kubischen
Kristallstruktur aufgebaut ist. Die Ergebnisse wurden jetzt in der jüngsten
Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht.
Bayreuth (UBT). Vor fast 50 Jahren wurde in Brüssel das
"Atomium" als Symbol für das wiedervereinigte Europa der Bevölkerung zugänglich
gemacht. Dieses Atommodell entspricht dem Kristallaufbau eines
(raum-zentrierten) kubischen Festkörpers. In der kleinsten Zelle des Gitters
befinden sich die Gitterpunkte in den Ecken des Würfels und in seinem Zentrum.
Dieses Kristallgitter steht auch im Mittelpunkt von Forschungsarbeiten einer
Wissenschaftlergruppe um Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen Geoinstitut der
Universität Bayreuth im Rahmen eines Programms der europäischen
Wissenschaftsgemeinschaft (European Mineral Sciences Initiative Program). Die
Untersuchungen haben erkennen lassen, dass der innere Erdkern aus einer
Eisen-Nickel-Legierung mit einer derartigen raum-zentrierten, kubischen
Kristallstruktur aufgebaut ist.
Der Erdkern, dessen Außenrand 2900 km unter
uns liegt, ist der bei weitem unzugänglichste Ort unseres Planeten. Zwar haben
Raumschiffe mittlerweile die äußeren Planeten unseres Sonnensystems in Hunderten
von Millionen Kilometern Entfernung erreicht, auf der Erde ist die tiefste
Bohrung jedoch lediglich bis in 12 km Tiefe vorgestoßen. Es ist nicht nur
unmöglich, Proben aus dem Erdkern gewinnen, wir erwarten sogar nicht, jemals
über Material von dort für Untersuchungen verfügen zu können. Bisher ermöglichen
seismische Untersuchungen als Fernerkundungsmethoden Beobachtungen des Erdkerns.
Da der Aufbau der Erde sehr komplex ist, fallen bei seismischen Untersuchungen
erhebliche Datenmengen an, die in zweckdienliche Modelle eingefügt werden
müssen. Die Entschlüsselung geochemischer Merkmale des Erdkerns anhand von
Mantel-Diapiren ("Plumes" - aus dem tiefen Erdmantel zur Erdoberfläche
aufsteigende Ströme heißen Materials) ist mit ähnlichen Herausforderungen
konfrontiert. Rechnergestützte und speziell experimentelle Simulationen werden
dadurch erschwert, dass im Erdkern Drücke über 140 GPa (1.400.000 atm.) und
Temperaturen über 3000 Grad Celsius herrschen. Aus diesen Gründen bleiben
grundlegende Eigenschaften des Erdkerns weiterhin schwer erforschbar und
umstritten.
Dennoch steht der Erdkern mit seinem festen Inneren und seiner
flüssigen äußeren Schale im Zentrum größten wissenschaftlichen Interesses, was
sowohl auf neuen experimentellen und rechenbetonten Methoden als auch auf weiter
entwickelten Auswertungsmöglichkeiten beruht. Neuere Untersuchungen offenbaren
eine Anzahl von ungewöhnlichen und rätselhaften Phänomenen hinsichtlich
Eigenschaften und Dynamik des Erdkerns. Dazu zählt z.B. die Entdeckung einer
Anisotropie im Kerninneren: seismische Wellen breiten sich entlang der Achse
zwischen den Polen der Erde schneller aus als in der Äquatorrichtung. Außerdem
gibt es Belege für ein unterschiedliches Rotationsverhalten von innerem Kern und
dem restlichen Erdkörper. Mit den dynamischen Prozessen im Erdkern ist das
irdische Magnetfeld eng verknüpft. Die beschleunigte Wanderung des magnetischen
Pols während der vergangenen 150 Jahre macht deutlich, wie wichtig genaue
Kenntnisse über die Eigenschaften des Erdkerns für die Menschheit sein
können.
Neue Forschungsarbeiten befassen sich mit den Eigenschaften und dem
Verhalten von purem Eisen (als mögliches Hauptelement des Erdkerns) unter
extremen Druck- und Temperaturbedingungen. Berechungen lassen vermuten, dass
eine spezielle kristallographische Form des Eisens (kubisch-raumzentriert) unter
Bedingungen des Erdkerns stabil ist. Man leitet jedoch aus kosmochemischen Daten
und Untersuchungen von Meteoriten ab, dass der Erdkern auch Nickel in
signifikanten Anteilen (5 - 10 %) enthält.
Eine internationale Gruppe von
Wissenschaftlern aus Deutschland, Schweden und den USA hat daher eine
Eisen-Nickel-Legierung (mit 10 % Ni) bei hohen Drücken und Temperaturen
umfangreich experimentell und theoretisch erforscht. Durch eine Kombination der
Diamantstempelzellen-Technik mit elektrischen bzw. lasergebundenen Heizmethoden
gelang es den Wissenschaftlern, das Probenmaterial Drücken von mehr als 225 GPa
und Temperaturen über 3200 Grad Celsius auszusetzen. Diese im Labor
experimentell erzeugten Bedingungen würden sind im Erdinneren in einer Tiefe von
4000 km anzutreffen.
Unter derartigen extremen Bedingungen weist die
eingesetzte Legierung abrupt Änderungen in den Werten des elektrischen
Widerstands auf. Röntgenbeugungsanalysen offenbaren einen Phasenübergang von der
bekannten hexagonalen, dicht gepackten Struktur in eine neue
kubisch-raumzentrierte Phase mit einer um ca. 2 % verringerten Dichte. Es lässt
sich daraus schließen, dass somit leichte Elemente nicht (oder nur in sehr
geringen Anteilen) erforderlich sind, um die mit seismischen Methoden bestimmte
Dichte des inneren Erdkerns zu bestätigen. Anders ausgedrückt: Der innere
Erdkern besteht möglicherweise allein aus einer Eisen-Nickel-Legierung.
Die
gelungene Synthese einer bei hohen Drücken über 230 GPa stabilen, 10% Nickel
enthaltenden Eisen-Nickel-Legierung mit einer kubisch-raumzentrierten Struktur
könnte nicht nur neue Interpretationen der physikalischen und dynamischen
Eigenschaften des festen inneren Erdkern notwendig machen, sie könnte sich auch
auf unsere Vorstellungen über den flüssigen äußeren Kern auswirken. Falls
Strukturveränderungen in der flüssigen Eisen-Nickel-Legierung auftreten, könnte
das zu anderen Dichte- und Rheologiewerten führen und auch die Art der
Verteilung leichter Elemente (zum Beispiel Silizium, Magnesium, Aluminium und
Natrium) in unterschiedlich strukturierten Bereichen des äußeren Erdkerns
betreffen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.