"Zwitter spielen gerne Männchen"
Archivmeldung vom 25.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZwitter können, weil sie weibliche und männliche Geschlechtsfunktionen besitzen, besonders flexibel auf wechselnde Paarungschancen mit ihren Artgenossen reagieren. Dennoch hat sich Zwittrigkeit bei höher organisierten Tieren nicht durchgesetzt. Prof. Nico Michiels hat festgestellt, dass sie zu einer ungezügelten Entwicklung der männlichen Funktion führt. Die Getrenntgeschlechtlichkeit fördert hingegen die Kooperation zwischen den Geschlechtern.
Tierarten mit zweigeschlechtlichen Individuen geraten oft in eine Sackgasse der
Evolution
Die sexuelle Fortpflanzung scheint viele Vorteile mit sich zu
bringen. Sonst, so könnte man vermuten, hätte sie sich bei den höher
organisierten Lebewesen nicht so stark durchgesetzt. Für viele Tiere scheint es
dabei kein Vorteil zu sein, die männliche und die weibliche Geschlechtsfunktion
in einem Individuum zu vereinen. Zwitter, auch Hermaphroditen genannt, finden
sich zwar vielfach an der Basis des Tierreichs zum Beispiel bei Schwämmen,
Korallen, vielen Arten von Würmern und Schnecken. Doch insgesamt sind nur 15
Prozent der mehrzelligen Tierarten Zwitter. Die Vertreter besonders vieler
erfolgreicher artenreicher Zweige des Tierreichs wie Insekten, Spinnen und
Wirbel- bis hin zu Säugetieren wie dem Menschen sind hingegen
getrenntgeschlechtlich. Prof. Nico Michiels vom Zoologischen Institut der
Universität Tübingen erforscht, warum der Hermaphroditismus sich nicht stärker
durchgesetzt hat, obwohl Zwitter sich generell schneller an wechselnde
Paarungschancen in einer Population anpassen können. Der Zoologe kommt zu dem
Ergebnis, dass das Dasein als Zwitter in eine evolutionäre Sackgasse führt, weil
sich die Tiere mit ihrer männlichen Seite zu stark verausgaben.
"Bei
getrennten Geschlechtern hat das Männchen nur beschränkte Chancen, die
Fortpflanzung zu kontrollieren, das kann nur das Weibchen, das die Eizellen
hat", erklärt Michiels, "das Männchen kann nur bessere Kopulationsorgane
entwickeln, um näher an das Weibchen und die Eier heranzukommen." Ein Männchen
wolle seine Befruchtungserfolge gegenüber anderen Männchen erhöhen. Auch wenn
die Männchen untereinander kämpfen, werden die Weibchen davon jedoch nicht
berührt. "Bei Zwittern ist das anders. Es gibt zwar auch dort einen Kampf um die
Eier. Doch da Männchen und Weibchen ein Individuum sind, muss es beide
Möglichkeiten optimieren." Wenn ein Zwitter auf einen anderen trifft, haben
beide Interesse, die Eier des jeweils anderen zu befruchten. Auf den ersten
Blick erwartet man dabei kein Problem: Schließlich könnten die beiden Tiere
einfach ihre Spermien austauschen. "Zwitter spielen gerne Männchen. Zumindest
bei einer hohen Populationsdichte ist die Konkurrenz unter ihnen groß, ebenso
das Angebot an Spermien", sagt der Zoologe. Der weibliche Teil des Zwitters
werde dadurch förmlich von Spermien überschwemmt. Dort ließen sich häufig
Sonderentwicklungen beobachten wie zum Beispiel ein Spermienmagen - um der
Spermienmenge Herr zu werden, werden sie einfach wie Nahrung verdaut.
Die
Konkurrenz unter den Männchen ergibt einen starken Druck, die Spermien noch
besser unterzubringen. "Das führt zu Eskalationen bei Egel, Regenwurm, Meeres-
und Landschnecken sowie Plattwürmern. Brutalste Mechanismen haben sich da
entwickelt, bei denen die Spermiengeber die Spermien einfach irgendwie im
Partner platzieren", sagt Michiels. Zum Teil werden mit den Spermien auch
Substanzen übertragen, die den zwittrigen Geschlechtspartner verweiblichen
sollen. Bei diesen Entwicklungen hat der Wissenschaftler mit seinen Mitarbeitern
wahre Exzesse beobachtet: In Australien gibt es eine nur fünf Millimeter große,
gelb-rote Meeresschnecke (Siphopteron quadrispinosum), die einen Riesenpenis mit
zwei Ästen besitzt. Der Nebenast funktioniert wie eine Injektionsnadel, mit dem
die Schnecken gegenseitig versuchen, einem Geschlechtspartner eine
narkotisierende Flüssigkeit in die Leibeshöhle zu spritzen. "Durch den
Penis-Hauptast werden dann die Spermien übertragen. Das erinnert stark an eine
Vergewaltigung", sagt Michiels.
Seine Arbeitsgruppe untersucht auch die
Spermienübertragung bei Regenwürmern, bei denen während der Kopulation bis zu 40
spezielle Borsten ein Drüsensekret in den Geschlechtspartner pumpen, das dessen
Gewebe teilweise auflöst und dadurch erhebliche Schäden anrichtet. Dies scheint
die Aufnahme von physiologisch aktiven Substanzen im Sekret zu fördern, und
führt zur Verweiblichung des Partners. "Der Spermiengeber erhöht damit seine
Befruchtungschancen", sagt Michiels, der die Vorgänge bei Regenwürmern in
Versuchen mit und ohne Einsatz der speziellen Kopulationsborsten verglichen hat.
Die kalifornischen Bananenschnecken der Gattung Ariolimax beißen bei der Paarung
sogar dem Partner oder sich selbst den Penis ab, sie können dann nur noch
Weibchen sein. "Bei einem weiteren Beispiel haben wir zunächst unseren eigenen
Beobachtungen nicht getraut", berichtet der Forscher. Eine Art sehr bunter, fünf
bis sechs Zentimeter langer Plattwürmer namens Pseudobiceros bedfordi, die auf
Korallen lebt, hat zwei Penisse, mit denen es zum regelrechten "Penisfechten"
komme. "Die Plattwürmer sehen aus wie Ritter mit Capes, die ihre Schwerter
ziehen. Allerdings stechen die Tiere die Penisse nicht in den Partner ein,
sondern drücken die Spermienflüssigkeit auf dessen Haut aus wie zwei Tuben
Zahnpasta", sagt Michiels. Die Penisse tragen die Plattwürmer auf der Bauchseite
und versuchen, den Partner am Rücken zu bearbeiten. An dieser Stelle löst das
Ejakulat das Gewebe auf, was es den schraubenförmigen Spermien erlaubt, zu den
Eiern zu gelangen. Dabei entsteht aber ein Riesenloch. "Es kann passieren, dass
der Plattwurm von der Mitte an verstümmelt ist - und dies war kein
Beobachtungsfehler. Tatsächlich haben 70 bis 80 Prozent der Freilandtiere solche
Narben und regenerieren nur langsam und unvollständig ein neues
Hinterteil."
Bei Zwittern, bei denen die Befruchtung im Körper
stattfindet, seien Taktiken, durch die möglichst viele Eier befruchtet werden,
zumindest kurzfristig sinnvoll. Man habe also gewonnen, wenn man den Partner in
die weibliche Rolle gedrängt hat. "Diese Strategie setzt sich bei Zwittern immer
durch", hat Michiels festgestellt. Bei getrenntgeschlechtlichen Arten gebe es
hingegen kein Interesse, den Partner zu schädigen. Die männliche Konkurrenz
spiele sich hier unter Männchen ab, meistens würden die Weibchen geschützt.
"Vielmehr muss der Mann balzen, tanzen und sich bemühen. Es setzt die Männchen
unter Druck, zu Gentlemen zu werden", sagt der Forscher. Die Kommunikation
zwischen den Geschlechtern werde dabei zum konstruktiven Wettlauf - im Gegensatz
zu den Verhältnissen bei Zwittern. "Bei Zwittern wollen alle Männchen sein.
Computermodelle zeigen aber, dass dies das System sehr labil macht und den
Wechsel zur Getrenntgeschlechtlichkeit immer wahrscheinlicher."
Das passiert aber selten. Weshalb? Michiels hat dazu zwei Arbeitshypothesen. "Theoretisch könnten getrenntgeschlechtliche Tiere das zwittrige System kippen. Doch ein Zwitter wird oft darauf bestehen, dass der Partner auch Zwitter ist", meint der Forscher. Nur so könne er prüfen, wie gut der Partner ist. Produziert der Partner zum Beispiel kaum oder keine Spermien, deute das auf schwere Schädigungen oder eine kürzlich vorausgegangene Kopulation hin - das macht den Partner auch als Weibchen uninteressant. Eingeschlechtliche Tiere könnten sich unter diesen Bedingungen nicht verbreiten. In seiner zweiten Arbeitshypothese stellt Michiels fest, dass Zwitter in vielen Fällen sehr komplexe männliche und weibliche Genitalsysteme entwickelt haben. "Man kann dann nicht von diesen komplexen zu ganz einfachen Organen springen. Es kann keine Einzelmutationen geben, die das eine Genitalsystem ausschalten." So steckten die Zwitter evolutiv in einer Sackgasse. "Sie können sich nur in spezialisierten ökologischen Nischen halten. Es sind häufig sesshafte, im Wasser lebende Organismen, die ihre Spermien frei ins Wasser abgeben. Es ist ein Zufall, dass sie noch da sind. Wahrscheinlich würden sie unter nur wenig geänderten Bedingungen schnell von anderen Tiergruppen verdrängt", lautet das Urteil des Zoologen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.