Wettlauf gegen das Aussterben
Archivmeldung vom 20.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEine stärkere Einbeziehung evolutionärer Anpassungen in Prognosemodelle fordert eine internationale Forschergruppe unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Bei schalenbildenden Meeresalgen verglichen sie Laborexperimente mit Fossilfunden.
Während die nur wenige tausendstel Millimeter großen Einzeller aus der Gruppe
der Coccolithophoriden bei Zucht in unterschiedlich saurem Meerwasser
Missbildungen des Kalkskeletts zeigten, wiesen Fossilfunde dieser Arten aus
Perioden verschiedener Kohlendioxidkonzentrationen intakte Skelette auf. Die
Forscher schließen daraus, dass die Organismen sich stärker an wandelnde
Umweltbedingungen anpassen können als in bisherigen Vorhersagen berücksichtigt.
Treibhausgase in den Meeren erschweren Wachstum
Nahezu die Hälfte
des durch Verbrennung von fossilen Energieträgern freigesetzten Kohlendioxids
wird von den Ozeanen wieder aufgenommen. Dadurch werden die Meere stetig saurer,
was wiederum den Organismen den Aufbau ihrer Kalkskelette erschwert. Eine
Bedrohung der Überlebensfähigkeit durch Versauerung der Meere wurde in den
vergangenen Jahren bereits für Meerestiere wie Korallen oder Schnecken
festgestellt. Laboruntersuchungen an den Coccolithophoriden genannten winzigen
Meeresalgen zeigten nun ähnliche Ergebnisse. "In Laborversuchen stellten wir
fest, dass eine der beiden untersuchten Arten bei verminderten oder erhöhten
Kohlendioxid-Konzentrationen im Meerwasser weniger Kalk bilden konnte", erklärt
der Biologe Gerald Langer vom Alfred-Wegener-Institut. "Zusätzlich zur
verringerten Kalkbildung treten Missbildungen bei den Kalkskeletten der
Coccolithophoriden auf."
Wichtige Winzlinge
Coccolithophoriden
zählen aufgrund ihres zahlreichen Auftretens zu den bedeutendsten
Primärproduzenten in den Weltmeeren und stehen an der Basis der Nahrungsketten.
Durch ihr massenhaftes Auftreten in den Meeren beeinflussen Coccolithophoriden
den globalen Kohlenstoffkreislauf und das globale Wetter- und Klimasystem, ein
Ausfall dieser Organismen aufgrund Versauerung der Meere hätte tiefgreifende
Folgen.
Wettlauf der Evolution
Ein Aussterben ist aber nicht
zwangsläufig zu erwarten. Dies schließen die Forscher aus Gesteinsablagerungen,
die zu fast hundert Prozent aus Kalkalgen bestehen, zum Beispiel die
Kreidefelsen von Rügen. "Die Coccolithophoriden in den Kreidefelsen wurden unter
zum Teil deutlich höherem Kohlendioxidgehalt im Meer abgelagert. Baufehler, wie
wir sie in unseren Laborversuchen fanden waren bei den fossilen Kalkskeletten
nicht festzustellen", erläutert Markus Geisen vom Alfred-Wegener-Institut. "Auch
in Sedimentproben der letzten Eiszeit - mit niedrigeren Kohlendioxidwerten als
heute - weisen die gleichen Arten wie die von uns im Labor getesteten keine
Skelettdeformationen auf."
Der Widerspruch zwischen Laboruntersuchungen
und Fossilbefunden erklärt sich aus Sicht der Wissenschaftler durch die
evolutionäre Wandlungsfähigkeit der Arten. Umweltbedingungen sind auch ohne
menschlichen Einfluss einem steten Wandel unterworfen, an den sich die
Organismen anpassen müssen um nicht auszusterben. "In der Vergangenheit konnten
sich Coccolithophoriden an veränderte Kohlendioxidkonzentrationen anpassen.
Warum sollten sie es nicht auch in Zukunft können? Allerdings brauchen sie dazu
etwas Zeit", meint Gerald Langer. Wieviel Zeit zu solchen Anpassungen benötigt
wird, wollen die Forscher als nächsten Schritt bei Coccolithophoriden und
anderen schalentragenden Meeresbewohnern untersuchen. Einig sind sie sich schon
jetzt, dass evolutionäre Anpassungsprozesse bisher nicht ausreichend in den
Vorhersagen zu Folgen des Klimawandels berücksichtigt werden.
Die Ergebnisse der Arbeiten, an denen neben dem Alfred-Wegener-Institut auch Wissenschaftler aus dem Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM Geomar in Kiel und dem Natural History Museum in London beteiligt waren, werden in Kürze im Fachblatt Geochemistry, Geophysics, and Geosystems veröffentlicht.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.