Keine Überraschungen bitte!
Archivmeldung vom 13.03.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler sind bekannt dafür, dass sie bei der Lösung von Problemstellungen sehr strukturiert vorgehen: Zunächst stellen sie eine Hypothese auf, dann testen sie in Experimenten, ob ihre Erwartung zutrifft. Das menschliche Gehirn geht offenbar ganz ähnlich vor. Forscher vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt haben in Zusammenarbeit mit der University of Glasgow nämlich entdeckt, dass Sehreize eine geringere Aktivität in bestimmten Gehirnregionen auslösen, wenn sie das Gehirn aufgrund seiner Erfahrung vorhersagen kann.
Auf die Spur dieser Art der Informationsverarbeitung brachten die Forscher Messungen in der Sehrinde des Gehirns. Diese auch primärer visueller Kortex genannte Gehirnregion verarbeitet die eingehenden Reize aus den Augen und leitet sie an weitere Verarbeitungszentren im Gehirn weiter. Die Frankfurter Wissenschaftler haben entdeckt, dass Seheindrücke, die den Erwartungen des Gehirns entsprechen, kleinere Signale im primären visuellen Kortex auslösen, als wenn sie vom Gehirn nicht vorherzusehen sind.
Dazu zeigten sie Freiwilligen auf einem Bildschirm kleine Balken, die beim Betrachter den Eindruck von Bewegung erzeugten. Parallel dazu maßen sie mittels funktioneller Kernspintomografie die Aktivität, die das Betrachten eines solchen Balkens im primären visuellen Kortex hervorruft. Dieser Bereich der Hirnrinde war immer dann sehr aktiv, wenn ein Balken aus dem erwarteten Bewegungsmuster ausbrach. "Wir schließen daraus, dass das Gehirn nicht einfach nur auf Signale aus den Sinnesorganen wartet. Stattdessen versucht es aktiv, mögliche Sinneseindrücke vorherzusagen. Treffen die Vorhersagen zu, kann das Gehirn die tatsächlich eintreffenden Informationen besonders effektiv verarbeiten", erklärt Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung. Liegt es dagegen mit seinen Prognosen daneben, muss es zunächst herausfinden, warum - um beim nächsten Mal bessere Vorhersagen machen zu können. Dies äußert sich dann in einer deutlich höheren Aktivität der betreffenden Hirngebiete.
Gehirn liebt keine Überraschungen
Der allmorgendliche Anblick des Bürokollegen kann also vom Gehirn mit vergleichsweise wenig Aufwand verarbeitet werden. Wer dagegen beispielsweise die eigene Schwiegermutter vorfindet, fordert seinem Gehirn deutlich mehr ab. "Dies hat weniger damit zu tun, dass Sie Ihre Schwiegermutter etwa nicht mögen, sondern dass der unverhoffte Anblick Ihr Gehirn verunsichert. Es möchte nämlich nicht überrascht werden. Folglich muss es seine Vorhersagen verbessern, welche Reize es zu erwarten hat", so Arjen Alink vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung.
Die Ergebnisse der Studie tragen erheblich zum Verständnis der Informationsverarbeitung unseres Gehirns bei. Denn bislang ging man davon aus, dass das Gehirn eher passiv auf optische Sinneseindrücke wartet und diese dann in eine Kaskade von Signalen umwandelt. Den Ergebnissen der Studie zufolge ist dies jedoch nicht der Fall: Das Gehirn muss sich vielmehr aktiv auf Sinneseindrücke vorbereiten, um sie schnell und mit geringem Aufwand bearbeiten zu können.
Quelle: Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt a. M.