Gehirnregionen können sich neu verschalten
Archivmeldung vom 07.03.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen konnten durch experimentelle Reizung von Nervenzellen im Hippocampus erstmals zeigen, dass sich die Aktivität großer Hirnareale langfristig verändern lässt.
Durch eine Kombination von funktioneller Magnetresonanztomographie mit Mikrostimulation und Elektrophysiologie konnten sie verfolgen, wie sich große Populationen von Nervenzellen im Vorderhirn von Ratten neu vernetzen. Dieser Hirnbereich ist aktiv, wenn wir uns an etwas erinnern oder uns orientieren. Die gewonnen Erkenntnisse sind damit der erste experimentelle Nachweis dafür, dass sich große Teile des Gehirns verändern, wenn Lernprozesse stattfinden. (Current Biology, 10. März 2009).
Die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder ganzen Hirnarealen, sich in Abhängigkeit von ihrer Verwendung zu verändern, nennen Wissenschaftler neuronale Plastizität. Sie ist ein elementarer Mechanismus für Lern- und Gedächtnisprozesse. Schon die Hebbsche Lernregel (1949) erklärt dieses Phänomen in neuronalen Netzwerken mit gemeinsamen Synapsen: Wenn eine Nervenzelle A eine Nervenzelle B dauerhaft und wiederholt erregt, so das Postulat des Psychologen Donald Olding Hebb, wird die Synapse dadurch so verändert, dass die Signalübertragung effizienter wird. Dadurch erhöht sich das Membranpotential im Empfänger-Neuron. Dieser Lernprozess, der wenige Minuten bis zu lebenslang anhalten kann, wurde intensiv im Hippocampus erforscht.
Eine große Anzahl von Studien hat seitdem gezeigt, dass der Hippocampus für das Erinnerungsvermögen und die räumliche Orientierung von Tieren und Menschen wichtig ist. So wie die Hirnrinde, besteht auch der Hippocampus aus Millionen von Nervenzellen, die über Synapsen miteinander verbunden sind. Die Nervenzellen kommunizieren mittels sogenannter "Aktionspotentiale" miteinander: elektrische Impulse die von der Sender- an die Empfängerzelle übermittelt werden. Treten diese Aktionspotentiale häufiger oder schneller oder besser koordiniert auf, so kann es zur Verstärkung der Signalübermittlung zwischen den Zellen, der so genannten Langzeit-Potenzierung (LTP - long-term potentiation) kommen: Die Übertragung des Signals wird dann dauerhaft verstärkt. Der Mechanismus dieser Verstärkung wird als die Grundlage des Lernens betrachtet.
Obwohl die Effekte der Langzeit-Potenzierung innerhalb des Hippocampus seit längerer Zeit bekannt sind, war bislang unklar, wie synaptische Veränderungen in dieser Struktur die Aktivität ganzer Neuronennetzwerke, also beispielsweise kortikaler Netzwerke, außerhalb des Hippocampus beeinflussen können. Dies haben die Wissenschaftler um Nikos Logothetis, Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, nun erstmals systematisch erforscht. Das besondere an ihrer Untersuchung ist die Kombination verschiedener Methoden: Während der Kernspintomograph Bilder über die Durchblutung im Hirn liefert und daher ein indirektes Maß für die Aktivität großer Nervennetze ist, messen Elektroden im Gehirn direkt die Aktionspotentiale und damit die Stärke der Nervenleitungen. Es zeigte sich, dass nach experimenteller Stimulation die so erzeugte Verstärkung der Reizübertragung erhalten blieb. "Uns ist es gelungen, langfristige Umorganisation in den Nervennetzen aufgrund veränderter Aktivität an den Synapsen nachzuweisen", sagte Dr. Santiago Canals. Die Veränderungen zeigten sich in einer besseren Kommunikation zwischen den Hemisphären und in einer Verstärkung von Verschaltungen im limbischen System und in der Hirnrinde. Während die Hirnrinde unter anderem für Sinneswahrnehmungen und Bewegungen zuständig ist, verarbeitet das limbische System Emotionen und ist für die Entstehung von Triebverhalten mitverantwortlich.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.