Wie viel Masse braucht man für ein Schwarzes Loch? - Astronomen stellen gängige Theorien in Frage
Archivmeldung vom 18.08.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMithilfe des Very Large Telescope der ESO haben europäische Astronomen erstmals nachgewiesen, dass sich ein Magnetar – eine seltene Art von Neutronenstern – aus einem Stern mit mindestens der vierzigfachen Masse der Sonne entstanden ist. Das Resultat steht im Widerspruch zu den etablierten Theorien der Sternentwicklung: Derart massereiche Sterne sollten nicht zu einem Magnetar werden, sondern zu einem Schwarzen Loch. Das wirft die fundamentale Frage auf, wie massereich ein Stern tatsächlich sein muss, um sich am Ende seines Lebens in ein Schwarzes Loch zu verwandeln.
Zu ihren Schlussfolgerungen über den Magnetar kamen die Astronomen nach einer eingehenden Untersuchung des ungewöhnlichen Sternhaufens Westerlund 1 [1], in dem sich der Magnetar befindet. Westerlund 1 liegt in einer Entfernung von 16.000 Lichtjahren im Sternbild Ara (der Altar) am Südhimmel. Von früheren Untersuchungen (eso0510) her kannten die Wissenschaftler Westerlund 1 als den uns nächsten “Supersternhaufen”. Er enthält hunderte sehr massereiche Sterne, von denen einige bei einer Größe von etwa 2000 Sonnendurchmessern (das entspricht etwa der Größe der Umlaufbahn des Planeten Saturn) fast eine Million mal so hell leuchten wie die Sonne.
“Befände sich die Sonne im Herzen dieses bemerkenswerten Sternhaufens, wäre der Nachthimmel auf der Erde mit hunderten von Sternen übersät, die so hell wären wie der Vollmond”, erklärt Ben Ritchie, der Erstautor des Fachartikels, in dem die Ergebnisse der Untersuchungen beschrieben werden.
Westerlund 1 ist ein fantastischer Sternenzoo mit einer vielfältigen und exotischen Sternpopulation. Die Sterne in dem Haufen haben eines gemeinsam: Sie haben dasselbe Alter, das auf etwa 3,5 bis 5 Millionen Jahre geschätzt wird, denn alle Sterne in dem Sternhaufen sind gleichzeitig entstanden.
Ein Magnetar (eso0831) ist ein Neutronenstern mit einem unvorstellbar starken Magnetfeld – rund eine Billiarde mal stärker als das der Erde. Das Magnetfeld entsteht zur gleichen Zeit wie der Neutronenstern selbst, also dann, wenn der Vorläuferstern am Ende seines Lebens als Supernova explodiert. Der Sternhaufen Westerlund 1 enthält einen der wenigen Magnetare, die die Astronomen in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, kennen.
Erst die Zugehörigkeit des Magnetars zum Sternhaufen ermöglicht die Abschätzung, dass sein Vorgängerstern mindestens 40 Sonnenmassen gehabt haben muss. Da die Sterne in Westerlund 1 alle gleich alt sind, muss der Stern, der als Supernova explodierte und den Magnetar als Überbleibsel hinterließ, eine kürzere Lebensspanne gehabt haben als die heute in dem Sternhaufen noch existierenden Sterne. “Die Lebensdauer eines Sterns hängt direkt mit seiner Masse zusammen – je schwerer ein Stern ist, desto kürzer lebt er. Kann man die Masse eines der Sterne in dem Haufen bestimmen, die heute noch existieren, dann können wir mit Sicherheit sagen, dass der kurzlebigere Stern, der zum Magnetar wurde, eine größere Masse gehabt haben muss”, erläutert Koautor und Teamleiter Simon Clark. “Das ist besonders wichtig, weil es bislang noch keine akzeptierte Theorie darüber gibt, wie diese extrem magnetischen Objekte sich überhaupt bilden.”
Die Astronomen haben deshalb die beiden sich gegenseitig bedeckenden Sterne des zu Westerlund 1 gehörigen Doppelsternsystems W13 näher untersucht. In so einem Doppelsternsystem lassen sich die Massen der beiden Sterne direkt aus ihren Umlaufbahnen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt ermitteln.
Durch Vergleich mit diesen beiden Sternen hat das Astronomenteam feststellen können, dass der Vorläuferstern des Magnetars mindestens vierzigmal so massereich gewesen sein muss wie die Sonne. Damit haben sie erstmals gezeigt, dass sich Magnetare aus Sternen bilden können, die so massereich sind, dass man eigentlich erwarten würde, dass sie am Ende ihres Lebens zu einem Schwarzen Loch werden. Zuvor hatte man angenommen, dass Sterne mit anfänglich zwischen 10 und 25 Sonnenmassen Neutronensterne bilden würden und Sterne mit mehr als 25 Sonnenmassen Schwarze Löcher.
“Diese Sterne müssen auf irgendeine Weise mehr als neun Zehntel ihrer Masse verlieren, bevor sie als Supernova explodieren, sonst würden sie als Schwarzes Loch enden”, erklärt Koautor Ignacio Negueruela. “So große Massenverlustraten vor der Explosion stellen für die gängigen Modelle der Sternentwicklung eine große Herausforderung dar.”
“Es stellt sich daher die schwierige Frage, wie viel Masse ein Stern denn überhaupt haben muss, um schließlich zu einem Schwarzen Loch zusammenzustürzen, wenn dies nicht einmal Sternen mit mehr als 40 Sonnenmassen gelingt“, ergänzt Koautor Norbert Langer.
Der von den Astronomen bevorzugte Entstehungmechanismus für den Magnetar geht davon aus, dass der Vorläufersterns des Magnetars zusammen mit einem Begleitstern entstanden ist. Im Laufe ihrer gemeinsamen Entwicklung kam es zur Wechselwirkung zwischen den Sternen: Dabei wurde Energie aus der Umlaufbewegung der Sterne dazu aufgewendet, die große überschüssige Masse des Vorläufersterns wegzuschleudern. Zwar hat man bislang keinen solchen Begleiter gefunden, was aber darin begründet sein könnte, dass die Supernovaexplosion, bei der sich der Magnetar gebildet hat, das Doppelsternsystem zerstört und beide Sterne mit hoher Geschwindiglkeit aus dem Sternhaufen geschleudert hat.
“Wenn das der Fall ist, könnten Doppelsternsysteme eine entscheidende Rolle in der Sternentwicklung spielen, indem sie den Massenverlust beeinflussen. Für die Schwergewichte unter den Sternen wäre es die ultimative kosmische Diät, bei der sie mehr als 95% ihrer Anfangsmasse verlieren würden”, schließt Clark.
Endnote
[1] Der offene Sternhaufen Westerlund 1 wurde 1961 von Australien aus von dem schwedischen Astronomen Bengt Westerlund entdeckt, der später (von 1970 bis 1974) Direktor der ESO in Chile wurde. Westerlund 1 liegt hinter einer großen Wolke aus interstellarem Gas und Staub, die den Großteil des sichtbaren Lichts des Haufens abschirmt. Nur ein Hunderttausendstel des Lichtes durchdringt die Wolke. Deswegen hat es lange gedauert, die Natur dieses Sternhaufens zu enthüllen.
Westerlund 1 ist ein einzigartiges natürliches Experimentierfeld, um die Physik außergewöhnlicher Sterne zu untersuchen. Er bietet Astronomen die Möglichkeit, herauszufinden, wie die massereichsten Sterne in der Milchstraße entstehen und vergehen. Mit den bisherigen Untersuchungen konnten sie feststellen, dass dieser extreme Sternhaufen wahrscheinlich Sterne mit insgesamt mindestens 100.000 Sonnenmassen enthält. Alle Sterne befinden sich in einem Volumen mit einem Durchmesser von lediglich sechs Lichtjahren. Damit dürfte Westerlund 1 der massereichste kompakte, junge Sternhaufen sein, den man bislang in der Milchstraße identifiziert hat.
Alle Sterne, die man bislang in Westerlund 1 näher untersuchen konnte, haben jeweils mindestens 30–40 Sonnenmassen. Vom astronomischen Standpunkt aus gesehen haben derart massereiche Sterne ein sehr kurzes Leben; Westerlund 1 muss daher sehr jung sein. Die Astronomen haben für den Sternhaufen ein Alter zwischen 3,5 und 5 Millionen Jahren ermittelt. Westerlund 1 ist innerhalb unserer Milchstraße ein “Jungspund”.
Weitere Informationen
Die in dieser ESO-Pressemitteilung vorgestellten Forschungsergebnisse werden bald unter dem Titel “A VLT/FLAMES survey for massive binaries in Westerlund 1: II. Dynamical constraints on magnetar progenitor masses from the eclipsing binary W13” in einem Artikel von B. Ritchie et al. in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics erscheinen. Dasselbe Forscherteam hat bereits 2006 eine erste Studie dieses Objektes veröffentlicht (“A Neutron Star with a Massive Progenitor in Westerlund 1” von M.P. Muno et al., Astrophysical Journal, 636, L41).
Die beteiligten Wissenschaftler sind Ben Ritchie und Simon Clark (Open University, Großbritannien), Ignacio Negueruela (Universidad de Alicante, Spanien) und Norbert Langer (Universität Bonn und Universiteit Utrecht, Niederlande).
Zur Untersuchung des Sternhaufens Westerlund 1 nutzten die Astronomen den FLAMES-Spektrografen am Very Large Telescope der ESO auf dem Paranal in Chile.
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, sowie VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie