Tödliche Desinfektion im Ameisennest
Archivmeldung vom 09.01.2018
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAmeisen töten infizierte Koloniemitglieder und schützen so ihre Kolonie vor dem Ausbruch einer Epidemie, wenn es ihnen nicht gelungen ist, die Ansteckung mit der tödlichen Erkrankungen zu verhindern. Bei dieser Krankheitsbekämpfung zeigen Ameisenkolonien eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Immunsystem, das den Organismus von Wirbeltieren schützt. Das beschreibt ein Forscherteam des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), geleitet von Professorin Sylvia Cremer und mit Erstautor und PhD Student Christopher Pull in Zusammenarbeit mit Forschern an der Royal Holloway, University of London, und der Universität Würzburg. Ihr Artikel erscheint im Journal eLife.
Kommt eine Ameise mit dem krankheitserregenden Pilz Metarhizium in Berührung, so wird sie zu einer Gefahr für die gesamte Kolonie. Eine Infektion unter den eng zusammenlebenden Ameisen könnte das Aussterben der Kolonie bedeuten, wenn es nicht gelingt, die Krankheit einzudämmen. Sylvia Cremer und ihre Gruppe konnten zuvor bereits zeigen, dass Ameisen der invasiven Art Lasius neglectus Koloniemitglieder intensiv reinigen und pflegen, wenn sich pathogene Pilzsporen auf deren Körpern befinden. Dadurch senken sie das Risiko, dass der Pilz in den Körper eindringt und das Tier infiziert. Doch was passiert, wenn die pflegenden Ameisen den Pilz nicht erfolgreich entfernen konnten, und sich ein Tier mit dem Pilz infiziert? Dieser Frage gingen Sylvia Cremer und Christopher Pull und ihre Kollaborationspartner an der Royal Holloway, University of London und der Universität Würzburg in der aktuellen Studie in eLife nach.
Handelt es sich um infizierte Brut, ist die Antwort auf eine tatsächlich erfolgte Pilzinfektion ungleich radikaler: In einer Serie von Experimenten fanden die Forscher heraus, dass Ameisen unbewegliche Puppen töten um den Lebenszyklus des Erregers zu unterbrechen, sodass er sich nicht weiter ausbreiten kann. Die Ameisen gehen dabei selektiv vor: mit Hilfe von chemischen Krankheitshinweisen detektieren sie Tiere, die bereits tödlich infiziert sind und töten sie. „Die Koloniemitglieder sind in der Lage, kranke Koloniemitglieder schon in einer frühen Phase des Infektionsverlaufs zu riechen und zu isolieren. Danach führen sie das durch, was wir als ‚destruktive Desinfektion‘ bezeichnen: das Töten von Pilz und erkranktem Tier, um den Erreger daran zu hindern, ansteckend zu werden und sich auf Nestgenossen auszubreiten“, erklärt Sylvia Cremer.
Diese destruktive Desinfektion besitzt erstaunliche Parallelen zum Immunsystem von Wirbeltieren. Infizierte Zellen von Wirbeltieren senden ein Signal aus, das Immunzellen anlockt. Die machen Löcher in die infizierte Zelle und injizieren giftige Substanzen, die die Zelle und den darin befindlichen Krankheitserreger töten. Ganz Ähnliches geschieht bei Lasius neglectus, wie Christopher Pull beschreibt: „Die Tiere produzieren Ameisensäure die den Pilz töten kann, sie muss allerdings in den Körper der Puppe gelangen um zu wirken. Bei der destruktiven Desinfektion entfernen die Ameisen daher den Seidenkokon der Puppen und beißen Löcher in den Körper. Durch diese injizieren sie die Ameisensäure, die den Pilz gemeinsam mit der Puppe tötet.“ Sylvia Cremer erläutert, woher diese Ähnlichkeit stammen kann: „Ameisen in einer Kolonie arbeiten zusammen wie Zellen eines Körpers, daher werden Ameisenkolonien auch manchmal als Superorganismus bezeichnet. Wir zeigen in unserer Studie, welche spannenden Parallelen zwischen der Immunabwehr von Ameisenkolonien und Wirbeltieren existieren. Die Fähigkeit, schädliche Elemente zu entdecken und zu zerstören, war wahrscheinlich für die Evolution von mehrzelligen aus einzelligen Organismen sowie von Superorganismen aus einzelnen Tieren nötig.“
Christopher Pull, Erstautor der Studie, war von 2012 bis 2017 PhD-Studierender in der Gruppe von Sylvia Cremer am IST Austria und ist mittlerweile Postdoc an der Royal Holloway University of London. Sylvia Cremer erforscht die soziale Immunabwehr bei Ameisen mit dem Ziel, mehr über Epidemiologie und Krankheitsdynamik in Gesellschaften herauszufinden.
Quelle: Institute of Science and Technology Austria (idw)