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Schärfer als Heisenberg erlaubt

Archivmeldung vom 16.01.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.01.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Das Forscherteam am Atominstitut der TU Wien: Jacqueline Erhart, Stephan Sponar, Prof. Yuji Hasegawa, Georg Sulyok (v.l.n.r.)
Quelle: TU Wien (idw)
Das Forscherteam am Atominstitut der TU Wien: Jacqueline Erhart, Stephan Sponar, Prof. Yuji Hasegawa, Georg Sulyok (v.l.n.r.) Quelle: TU Wien (idw)

Sie ist wohl das berühmteste Fundament der Quantenphysik - Heisenbergs Unschärferelation. Sie besagt, dass man nicht alle Eigenschaften von Quantenteilchen gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit bestimmen kann. Bisher wurde das oft dadurch begründet, dass eine Messung das Quantenteilchen eben notgedrungen verändert und dadurch andere Messungen verfälscht – doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Neutronen-Experimente von Professor Yuji Hasegawa und seinem Team an der TU Wien konnten nun verschiedene Beiträge zur Quanten-Unsicherheit aufschlüsseln und damit eine Theorie japanischer Kollegen bestätigen: Der Einfluss der Messung auf das Quanten-System ist nicht immer der Grund für die Mess-Unsicherheit. Heisenbergs Argumente für die Quanten-Unschärfe müssen also neu überdacht werden – die Unschärferelation selbst bleibt freilich bestehen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Physics“ veröffentlicht.

Ort oder Impuls – doch niemals beides

Dass sich in der Quantenphysik bestimmte Größen nicht gleichzeitig messen lassen ist unbestritten. Die Frage ist, wie man das interpretieren muss. „Bis heute hört man oft von Heisenbergs berühmten Gedankenexperiment, in dem die Position eines Elektrons mit Licht gemessen werden soll“, sagt Jacqueline Erhart vom Atominstitut der TU Wien. Um die Position eines Teilchens sehr genau bestimmen zu können muss man Licht mit sehr kurzer Wellenlänge (also großer Energie) verwenden. Das bedeutet aber auch, dass ein starker Impuls auf das Teilchen übertragen wird: Das Teilchen erhält durch die Messung einen Schubs. Je genauer man den Ort misst umso dramatischer verändert man den Impuls des Teilchens. Ort und Impuls, so argumentierte Heisenberg, sind daher nicht gleichzeitig exakt messbar. Dasselbe gilt in der Quantenphysik für viele andere Messgrößen-Paare. Heisenberg war der Meinung, dass in solchen Fällen eine genauere Messung der einen Messgröße immer eine Störung der zweiten Messgröße verursacht. Das Produkt aus Ungenauigkeit der ersten Messung und Störung der zweiten Messung, so meinte er, kann eine gewisse Grenze nicht unterschreiten.

Die Natur ist unscharf – auch ohne Messung

Dass eine Messung das Quantensystem stört und damit das Ergebnis einer zweiten Messung verfälscht ist aber gar nicht der Kern des Problems. „Solche Störungen gibt es schließlich auch in der klassischen Physik, das hat mit Quantentheorie zunächst noch nichts zu tun“, erläutert Stephan Sponar (TU Wien). Die Unsicherheit liegt in der Quantennatur des Teilchens selbst: Schon lange weiß man, dass man sich in der Quantenphysik ein Teilchen eben nicht mehr als punktförmiges Objekt vorstellen kann, das eine eindeutig bestimmte Geschwindigkeit und eine klare Bewegungsrichtung hat. Stattdessen verhält sich ein Teilchen wie eine Welle – und bei Wellen lassen sich Aufenthaltsort und Impuls eben nicht gleichzeitig beliebig genau definieren. Man könnte sagen: Das Teilchen "weiß" selbst nicht, wo es sich genau befindet und wie schnell es ist – ganz unabhängig davon, ob es gemessen wird oder nicht.

Berücksichtigung des Messvorgangs – neue Unschärferelation

„Um diese prinzipielle Unbestimmtheit und die zusätzliche Störung durch einen Messvorgang korrekt zu beschreiben, kommt man nicht umhin, das Teilchen gemeinsam mit dem Messapparat im quantenmechanischen Formalismus zu beschreiben“, erklärt Georg Sulyok (TU Wien). Genau das gelang dem japanischen Physiker Professor Masanao Ozawa 2003 und führte auf eine verallgemeinerte Unschärferelation: In seinen Gleichungen steckten unterschiedliche „Sorten“ von Unschärfe: Einerseits die Unsicherheit, die durch die Messung entsteht, weil sie in den Zustand des Systems eingreift und damit die andere Messung verfälscht. Das ist die Unsicherheit von Heisenbergs Ort-Impuls-Beispiel. Andererseits beinhalten die Gleichungen auch die grundlegende Quanten-Unsicherheit, die unabhängig von der Messung in jedem Quanten-System vorhanden ist.

Neutronen und ihre Spins

Durch ein ausgeklügeltes Experiment-Design konnten die unterschiedlichen Beiträge am Atominstitut der TU Wien nun gemessen und voneinander unterschieden werden. Dabei wurden nicht Ort und Impuls eines Teilchens untersucht, sondern die Spins von Neutronen. Der Spin in X-Richtung und der Spin in Y-Richtung kann nicht gleichzeitig genau gemessen werden – sie erfüllen eine Unschärferelation, ähnlich wie Ort und Impuls. Durch magnetische Felder wurde der Spin der Neutronen aus dem Reaktor des Atominstituts in die richtige räumliche Orientierung gebracht, ihr Spin wurde in zwei aufeinander folgenden Messungen bestimmt. Durch kontrollierte Manipulationen des Messapparats konnte statistisch ermittelt werden, wie die unterschiedlichen Quellen der Unschärfe miteinander zusammenhängen.

Einfluss der Messung beliebig klein

„Nach wie vor gilt: Je exakter, die erste Messung durchgeführt wird, desto stärker wird die zweite Messung gestört – doch kann das Produkt aus Ungenauigkeit und Störung beliebig klein gemacht werden, auch kleiner, als Heisenbergs ursprüngliche Formulierung der Unschärferelation erlaubt“, sagt Professor Yuji Hasegawa.

Doch auch wenn sich die Messungen kaum beeinflussen - unscharf bleibt die Quantenphysik trotzdem: „Die Unschärferelation ist natürlich nach wie vor richtig“, versichert das Forschungsteam. Man sollte nur mit seiner Begründung vorsichtig sein: „Die Unschärfe kommt nicht vom störenden Einfluss der Messung auf das Quanten-Objekt, sondern von der Quanten-Natur der Teilchen selbst.“

Originalpublikation: Nature Physics DOI: 10.1038/NPHYS2194

Quelle: Technische Universität Wien (idw)

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