Der Mensch lernt im Schlaf
Archivmeldung vom 10.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Da muss ich erst einmal eine Nacht drüber schlafen!" Was manchen wie ein unnötiges Aufschieben von Entscheidungen oder Taten dünkt, ist in Wahrheit ein sinnvoller Mechanismus. Denn der Körper nutzt den Nachtschlaf nicht nur, um sich zu regenerieren, sondern auch um Erlebtes und Erlerntes dauerhaft zu speichern.
Und mehr noch: Beim Aufbau des Langzeitgedächtnisses wird im Kopf aufgeräumt,
nicht selten mit dem Ergebnis einer zündenden Idee am nächsten Morgen. Diese
Zusammenhänge konnte der Neurobiologie Professor Dr. Jan Born vom Institut für
Neuroendokrinologie der Universität Lübeck jüngst in Versuchen im Schlaflabor
nachweisen. Gemeinsam mit Forschern an der Pariser Universität klärte das Team
in den vergangenen drei Jahren die zentralen Mechanismen der nächtlichen
Datenarchivierung auf. Die VolkswagenStiftung unterstützte das Vorhaben mit
insgesamt 454.000 Euro.
Tagsüber fungiert das Gehirn als Sammelstelle
von Daten; nachts, wenn der beständige Input an Eindrücken und Informationen
versickert, kann es sich auf das Sortieren und dauerhafte Archivieren umstellen.
Wie unser Hochleistungsrechner im Kopf diesen Datentransfer bewältigt, fand Born
heraus, indem er bei freiwilligen Versuchsteilnehmern neurophysiologische und
kognitive Untersuchungen zur Gedächtnisbildung durchführte. So konnte er unter
anderem beweisen, dass an der Gedächtnisbildung sogenannte Deltawellen beteiligt
sind: langsam oszillierende elektrische Signale, die das Gehirn im Tiefschlaf
aussendet. Wurden diese bei den Probanden über Elektroden verstärkt, schnitten
die Testpersonen am nächsten Tag deutlich besser im Gedächtnistest ab als die
unbeeinflussten Schläfer. Ein spektakuläres Ergebnis, das Jan Born und sein Team
im November vergangenen Jahres in Nature veröffentlichten.
Weitere
Einblicke in die Hirnaktivität im Schlaf lieferte das Partnerteam um Professorin
Dr. Susan Sara, die an der Universität Paris Versuche an Ratten durchführt.
Diese Experimente machten sichtbar, dass frisch erworbene Lerninhalte zunächst
im Hippokampus abgelegt und zwischengespeichert werden. Am Ende eines langen
Tages dann wird dieser nicht etwa ausgeschaltet, sondern nach dem Eintauchen in
den Tiefschlaf werden die Erlebnisse noch einmal aufgerufen und zur Hirnrinde
gesendet. Dort können sie in das Netzwerk bestehender Langzeitgedächtnisinhalte
fest integriert werden. Dabei ist es die Hirnrinde, die über die genannten
Deltawellen signalisiert, wann der Erinnerungsspeicher zur Aufnahme bereit ist.
Dieses Signal geben die elektrischen Wellen über biochemische
Botenstoffe an den Hippocampus weiter. Während die Konzentration der
Neurotransmitter Acetylcholin und das Stresshormon Cortisol im Tiefschlaf auf
ein Minimum absinken, bleibt die Ausschüttung von Noradrenalin erhalten, wird
aber - durch den synchronisierenden Einfluss der langsamen Deltawellen - genau
auf die Momente abgestimmt, zu denen der Hippocampus seine Informationen an die
Hirnrinde überspielt. Die Experimente an Ratten zeigten deutlich, dass die
zellulären Prozesse der Gedächtnisbildung verzögert ablaufen, wenn die Wirkung
von Noradrenalin im Schlaf durch ein Medikament verzögert wird.
Die
Lübecker Neurowissenschaftler prüften das Konzept der Gedächtnisbildung in einer
Studie mit 66 freiwilligen Versuchsteilnehmern, die aus einer vorgegebenen
Zahlenreihe eine neue Ziffernfolge ableiten sollten. Bei dieser Aufgabe waren
mehrere Lösungen möglich, von denen ausgerechnet die einfachste auf den ersten
Blick nicht zu erkennen war. Erst nach acht Stunden Schlaf fanden die Prüflinge
des Pudels Kern. Nachtschwärmer hingegen blieben erfolglos: Ihnen fehlte ganz
offensichtlich der segensreiche Tiefschlaf, der über Gedächtnisbildung zu neuen
Einsichten führen kann.
"Da muss ich erst einmal eine Nacht drüber schlafen!" Es kann sich also wirklich lohnen, den Dingen einen nächtlichen Aufschub zu gönnen. Wer bei der Vorbereitung für eine Prüfung auch an seinen Schlaf denkt, hat gute Chancen, den gelernten Stoff auch im entscheidenden Moment zu erinnern. Auf das dicke Buch unter dem Kissen kann man dabei getrost verzichten. Und auch der Umkehrschluss des Konzepts ist alltagstauglich: Wer Erlebtes möglichst schnell vergessen möchte, sollte sich die Nacht um die Ohren schlagen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.