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Russland: Einmaliger Neutronenreaktor gestartet

Archivmeldung vom 15.02.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.02.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Bild: Screenshot Twitter
Bild: Screenshot Twitter

Das Nationale Forschungszentrum Kurtschatow-Institut in Gatschina bei St. Petersburg hat einen PIK-Hochflussreaktor gestartet. Er wird für lange Zeit die mächtigste Neutronenquelle der Welt sein. Die Anlage wurde bereits im Power-Modus in Betrieb genommen. Die volle Kapazität soll 2022 erreicht werden, wie das russische online Magazin „SNA News“ berichtet.

Der Akademiker Jewgeni Welichow, der 1992 die Leitung des Kurtschatow-Instituts für Atomenergie übernommen hatte und jetzt sein Ehrenpräsident ist, kommentierte gegenüber SNA die Leistung der russischen Wissenschaftler wie folgt:

„Das ist ein einzigartiger Hochflussreaktor mit Neutronenflüssen in Höhe von mehr als 1015 Neutronen (eintausend Billionen) pro Quadratzentimeter pro Sekunde. Diese Parameter des PIK-Reaktors bieten ganz neue Möglichkeiten sowohl auf dem Gebiet der Neutronenphysik als auch bei der Entwicklung neuer Methoden zur Untersuchung der Struktur komplexer lebender und unbelebter Objekte unter Verwendung von Welleneigenschaften von Neutronen mit dem Neutronenstreuungsverfahren. Das ist eines der bedeutendsten Ereignisse des Jahres im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Das Vorhandensein einer mächtigen, einzigartigen Neutronenquelle bietet der Wissenschaft aller Länder die Möglichkeit, die Eigenschaften der Materie gründlich und umfassend zu erforschen und neuartige Materialien zu entwickeln. In Bezug auf seine Fähigkeiten ermöglicht dieser Mega-Komplex, nicht nur an russischen Instituten einzigartige Forschungen durchzuführen, sondern auch zum Gemeinschafts-Standort für Wissenschaftler aus aller Welt zu werden.“

Jeder braucht Neutronen

Mit Hilfe von Neutronen werden Kernreaktionen und das Verhalten von Elementarteilchen untersucht. Die Bestrahlung mit Neutronen hilft, die innere Struktur, Zusammensetzung und magnetischen Eigenschaften einer Substanz zu erforschen. Das ist notwendig für Physiker, die sich mit den Eigenschaften von Festkörpern befassen, sowie für Materialwissenschaftler, Chemiker, Biologen, Apotheker. Ärzte wenden Methoden zur Krebsbehandlung mit Neutronenstrahlen an und verbessern sie. Ingenieure entwickeln technische Lösungen für Strukturen, die unter Neutronenbestrahlung betrieben werden sollen: solche Systeme werden in der Kernenergie eingesetzt und in absehbarer Zukunft auch in Kernkraftwerken benötigt. Die Liste der Beispiele kann noch lange fortgesetzt werden. In fast allen diesen Forschungsrichtungen werden Wissenschaftler an Dutzenden von Versuchsanlagen arbeiten, die in den PIK-Reaktor aufgenommen werden.

Wie es funktioniert

PIK hat viel mit Kernkraftreaktoren gemeinsam. Als Kraftstoff wird Uran-235 verwendet. Durch eine neutroneninduzierte Kernspaltung von Uran-235 werden neue Neutronen freigesetzt, die weitere Kernspaltungen auslösen. So passiert eine Kettenreaktion. Der Hauptzweck von PIK besteht jedoch darin, nicht die Energie, sondern Neutronen zu erzeugen. Aus der Sicht der Energie hat der PIK-Reaktor daher eine relativ geringe Leistung von 100 Megawatt (ein üblicher Reaktorblock eines Kernkraftwerks ist zehnmal leistungsstärker). Diese Leistung konzentriert sich jedoch in einem kleinen Kernvolumen: etwa 50 Liter. Das ermöglicht die Erzeugung eines ungewöhnlich dichten Neutronenflusses, der über spezielle Kanäle (Neutronenführungen) aus dem Reaktor abgeleitet wird. Die durch die Kernspaltung erzeugten Neutronen haben eine enorme Geschwindigkeit (und damit Energie).

Inzwischen interessieren sich Physiker, Chemiker und andere Forscher für Teilchen mit sehr unterschiedlichen Energien, je nach dem konkreten Forschungsziel. Deswegen wird eine Substanz verwendet, die Neutronen verlangsamt (bei PIK wird gewöhnliches Wasser verwendet). Der PIK-Reaktor unterscheidet sich von den meisten ähnlichen ausländischen Projekten durch erhöhte Neutronenflüsse im Kernreflektor, das Vorhandensein einer Neutronenfalle mit sehr hohem Fluss und die Möglichkeit, Materialien direkt im Kernraum zu bestrahlen.

Wie alles begann

Der Bau des Reaktors begann 1976 am St. Petersburger Institut für Kernphysik, das heute Teil des Kurtschatow-Instituts ist. 1986, als die Anlage mehr als zur Hälfte fertig war, kam es im Kernkraftwerk Tschernobyl zu der Havarie. Die Anforderungen an die Sicherheit kerntechnischer Anlagen wurden erheblich verschärft. Das PIK-Projekt wurde neu analysiert, modernisiert und an die neuen Vorschriften angepasst. Es wurde mehreren komplexen Fachprüfungen unterzogen. 1992 wurde eine internationale Expertise von führenden Experten und Leitern von Forschungsreaktoren aus den USA, Deutschland, Frankreich und anderen Ländern durchgeführt, was das weltweite Niveau des Projekts und die Einhaltung der internationalen Sicherheitsanforderungen bestätigte.

„Die Regierung der Russischen Föderation hat beschlossen, am Standort des Wissenschaftszentrums Kurtschatow-Institut ein internationales Zentrum für Neutronenforschung im Bereich der fundamentalen Wechselwirkung, Kernphysik, Medizin, Materialwissenschaften, Nano- und Biotechnologie einzurichten”, sagte Akademiker Jewgeni Welichow abschließend."

Quelle: SNA News (Deutschland)

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