Geheimnis kosmischer Rasensprenger gelüftet
Archivmeldung vom 09.11.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtPressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Astronomen haben mit dem Very Large Telescope der ESO im Zentrum eines eindrucksvollen planetarischen Nebels ein Pärchen umeinander kreisender sogenannter Weißer Zwerge entdeckt. Die Beobachtung bestätigt eine in der Fachwelt bereits seit längerem diskutierte Theorie über ein mit planetarischen Nebeln assoziiertes spektakuläres Phänomen: Material, das in entgegengesetzte Richtungen symmetrisch ausgestoßen wird. Die Ergebnisse werden in einem Fachartikel beschrieben, der am 9. November 2012 in der Fachzeitschrift Science erscheint.
Planetarische Nebel [1] sind leuchtende Schalen aus heißem Gas rund um sogenannte Weiße Zwerge – sonnenähnliche Sterne am Ende ihres Lebens. Fleming 1 ist ein besonders schönes Beispiel für einen solchen planetarischen Nebel, der zusätzlich noch zwei auffällig symmetrische Jets [2] mit knotenartigen, geschwungenen Strukturen aufweist. Fleming 1 befindet sich im südlichen Sternbild Centaurus (der Zentaur) und wurde vor etwas mehr als hundert Jahren von Williamina Fleming [3] entdeckt, einem ehemaligen Dienstmädchen, das vom Harvard College Observatory angestellt worden war, nachdem seine astronomischen Fähigkeiten offenbar geworden waren.
Die Astronomen waren sich lange Zeit uneins, wie derartig symmetrische Jets entstehen können. Jetzt hat ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Henri Boffin von der ESO in Chile neue Beobachtungsdaten von Fleming 1, die vom Very Large Telescope (VLT) der ESO stammen, mit bereits vorhandenen Computermodellen kombiniert, um im Detail nachzuvollziehen, wie sich die teilweise geradezu bizarren Formen der planetarischen Nebel bilden.
Mit dem VLT untersuchten die Astronomen dabei das Licht des Sterns in der Mitte des planetarischen Nebels. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei dem Zentralstern von Fleming 1 wahrscheinlich nicht nur um einen, sondern gleich um zwei Weiße Zwerge handelt, die einander einmal alle 1,2 Tage umkreisen. Zwar ist dies nicht der erste Nachweis von Doppelsternen in den Zentren von planetarischen Nebeln. Aber Systeme bestehend aus zwei Weißen Zwergen sind sehr selten [4].
„Der Ursprung der ebenso wunderschönen wie komplexen Strukturen von Fleming 1 und anderen ähnlichen planetarischen Nebeln ist jahrzehntelang kontrovers diskutiert worden”, erläutert Henri Boffin. „Die Astronomen hatten zwar schon zuvor Doppelsternsysteme als Verursacher im Auge, aber bisher ist man immer davon ausgegangen, dass die beiden Komponenten sehr weit auseinander stünden und dementsprechend eine Umlaufdauer von mindestens zehn Jahren haben müssten. Mit den Beobachtungsdaten von Fleming 1 und unseren Computermodellen konnten wir dieses ungewöhnliche System bis ins letzte Detail analysieren und dabei wenn auch indirekt mitten in das Herz des Nebels schauen. Dabei haben wir festgestellt, dass sich die beiden Sterne mehrere tausend Mal näher stehen als erwartet.”
Nähert sich ein Stern mit einer Masse von bis zu dem achtfachen Wert der Sonne dem Ende seines Lebens, dann stößt er seine äußeren Schichten ab und verliert dabei einen Großteil seiner Masse. Starke Strahlung aus dem heißen Kernbereich des Sterns lässt die nach außen driftende Hülle später als planetarischen Nebel hell aufleuchten.
Während Sterne üblicherweise einfach nur kugelförmig sind, zeigen viele planetarische Nebel ein auffallend komplexes Aussehen mit knotenartigen Verdickungen, Filamenten und dichten Jets aus Materie, die verschlungenen Mustern folgen. Einige der eindrucksvollsten planetarischen Nebel, auch Fleming 1, zeigen punktsymmetrische Strukturen [5]. Im Fall von Fleming 1 bildet das Material von den Polen ausgehend S-förmige Ausflüsse. Die neue Studie zeigt, dass diese Muster durch die gegenseitige Wechselwirkung eines Paars weißer Zwergsterne verursacht wird – es handelt sich sozusagen um den Schwanengesang eines Sternenpaars.
„Mithilfe der Simulation des Doppelsternsystems im Zentrum von Fleming 1 lässt sich die Entstehung der wirklich eindrucksvollen Strukturen des planetarischen Nebels ganz hervorragend beschreiben”, ergänzt Ko-Autor Brent Miszalski von SAAO und SALT in Südafrika.
Das Pärchen aus Weißen Zwergen in der Mitte des Nebels ist für das Aussehen des Nebels direkt verantwortlich. Als die beiden ursprünglich sonnenähnlichen Sterne sich dem Ende ihres Lebens näherten, begannen sie, sich auszudehnen. Dabei wurde einer der beiden zeitweise zu einem stellaren Vampir, der Materie des anderen Sterns aufsaugte. Dieses Material sammelte sich zunächst in einer sogenannten Akkretionsscheibe [6] rund um den Stern an. Bei ihrem gegenseitigen Umlauf kam es zu Wechselwirkungen beider Sterne mit der Scheibe, so dass diese begann, wie ein schief stehender Kreisel zu schwanken. Diese „Präzessionsbewegung“ beeinflusst auch Materie, die von den Polen in Form von Jets senkrecht zur Akkretionsscheibe nach außen getrieben wird. Die neue Studie hat bestätigt, dass präzidierende Akkretionsscheiben in Doppelsternsystemen die symmetrischen Muster um planetarische Nebel wie Fleming 1 erzeugen.
Tiefe Aufnahmen mit dem VLT haben außerdem zur Entdeckung eines knotigen Rings aus Materie im innersten Bereich des Nebels geführt. Derartige Ringe hatte man auch schon bei anderen Typen von Doppelsternsystemen beobachtet; offenbar sind sie ein verräterisches Anzeichen für die Anwesenheit eines solchen Sternenpaars.
„Unsere Ergebnisse haben einmal mehr bestätigt, dass die Wechselwirkung zweier Sterne für die Form und vielleicht sogar für die Bildung planetarischer Nebel von großer Bedeutung sind”, schließt Boffin.
Endnoten
[1] Planetarische Nebel haben trotz ihres Namens nichts mit Planeten zu tun. Die Bezeichnung stammt aus dem 18. Jahrhundert und kam auf, weil einige dieser Objekte in kleinen Teleskopen den Scheibchen von Planeten ähneln.
[2] Der Begriff Jet beschreibt unter anderem Ausströmungen von sehr schnell bewegtem Gas, wie sie aus den Zentralregionen einiger planetarischer Nebel kommen. Da das Material sich in nahezu parallelen Strömen vom Zentrum wegbewegt, bleiben die Jets oft über beträchtliche Entfernungen gut gebündelt.
[3] Fleming 1 wurde nach der schottischen Astronomin Williamina Fleming benannt, die den Nebel im Jahr 1910 entdeckte. Williamina Fleming war in den 1880er Jahren zunächst Dienstmädchen am Harvard College Observatory, wurde aber später eine der sogenannten „Harvard Computers“ – einer Gruppe von Arbeiterinnen, die komplexe mathematische Berechnungen sowie Bürotätigkeiten ausführten. Während dieser Zeit machte sie mehrere bis heute anerkannte Entdeckungen astronomischer Objekte, darunter 59 Gasnebel, mehr als 310 veränderliche Sterne und zehn Novae. Fleming 1 ist noch unter vielen weiteren Bezeichnungen katalogisiert, zum Beispiel PN G290.5+07.9, ESO 170-6 und Hen 2-66.
[4] Das Astronomenteam untersuchte die Sterne mit dem FORS-Instrument des Very Large Telescope am Paranal-Observatorium der ESO in Chile. Zusätzlich zu den Aufnahmen erstellten sie auch Spektren, um Informationen über die Bewegungen, die Temperatur und die chemische Zusammensetzung des Zentralobjektes zu erhalten.
Primär- und Sekundärstern besitzen 0,5 bis 0,86 Sonnenmassen bzw. 0,7 bis eine Sonnenmasse an. Aufgrund der Gesamthelligkeit des Systems konnten die Forscher ausschließen, dass eine der Komponenten ein „normaler“ Stern wie die Sonne ist. Während des gegenseitigen Umlaufs beider Komponenten ändert sich die Gesamthelligkeit des Systems nur sehr wenig. Ein normaler Stern würde von dem ihn begleitenden heißen Weißen Zwerg aufgeheizt werden. Da er dem Begleiter immer die gleiche Seite zuwenden würde (so wie der Mond es bei der Erde tut), hätte er eine heiße helle und eine kühle dunkle Seite. Dies wiederum würde sich durch deutliche Helligkeitsänderungen während des Umlaufs eindeutig verraten. Da keine entsprechenden Helligkeitsänderungen beobachtet wurden, dürfte es sich beim zentralen Paar um zwei Weiße Zwerge handeln – eine sehr seltene und exotische Konstellation.
[5] In diesem Fall hat jeder Teil des Nebels auf der gegenüberliegendes Seite ein Gegenstück mit gleichem Aussehen. Diese Art von Symmetrie findet man zum Beispiel auch bei den Bildkarten eines Skatspiels.
[6] Eine solche Scheibe bildet sich, wenn der von einem Stern abströmende Materiefluss eine bestimmte Grenze – das sogenannte Roche-Volumen – überschreitet. Innerhalb dieser Region ist die Materie im Gravitationsfeld des Sterns gefangen und kann nicht entkommen. Sobald die Grenze überschritten wird, bewegt sich die Materie vom Stern weg und kann sich zum Beispiel in einer Akkretionsscheibe um den zweiten Stern in einem Doppelsternsystem sammeln.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie (idw)