Blick ins Innere einer Kannibalengalaxie
Archivmeldung vom 21.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin neues Auswertungsverfahren für astronomische Bilder im nahen Infrarotbereich, angewandt auf Aufnahmen des 3,58-Meter New Technology Telescope (NTT) der ESO, erlaubt beispiellos tiefe Einblicke in das Innere von Centaurus A, und zeigt insbesondere die Reste der "letzten Mahlzeit" dieser riesigen Kannibalengalaxie, einer kleineren Spiralgalaxie, die sich Centaurus A einverleibt hat. Das beeindruckende Bild zeigt außerdem tausende von Sternhaufen, die die Zentralregion von Centaurus A bevölkern.
Centaurus A (NGC 5128) ist mit einem Abstand von 11 Millionen Lichtjahren die uns nächste elliptische Riesengalaxie, und eines der am genauesten untersuchten Objekte des Südhimmels. Ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild hatte bereits 1847 die Aufmerksamkeit des berühmten britischen Astronomen John Herschel auf sich gezogen, der eine Durchmusterung des Südhimmels vorgenommen und eine umfassende Liste von Nebeln erstellt hatte.
Was Herschel noch nicht wissen konnte, ist, dass das spektakuläre Aussehen der Galaxie auf ein undurchsichtiges Staubband zurückgeht, das den Zentralbereich der Galaxie verdeckt. Aus heutiger Sicht ist dieser Staub stummer Zeuge eines gewaltigen kosmischen Ereignisses: Vor 200 bis 700 Millionen Jahren, so die heutige Erklärung, hat diese Galaxie sich eine kleinere, gas- und staubreiche Spiralgalaxie einverleibt. Deren Reste sind noch heute in der Zentralregion von Centaurus A nachweisbar, und führen dort höchstwahrscheinlich dazu, dass sich neue Generationen von Sternen bilden. Den heutigen Modellen zur Galaxienentstehung zufolge entstehen große elliptische Galaxien ganz generell durch diese Art von Verschmelzungsprozessen.
Einen ersten Blick auf diese "Essensreste" hatte bereits das Infrared Space Observatory (ISO) der europäischen Raumfahrtagentur ESA ermöglicht. Die ISO-Bilder zeigten eine rund 16500 Lichtjahre breite Struktur, die an eine kleine Balkenspiralgalaxie erinnert. In jüngerer Zeit haben Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Spitzer der NASA gezeigt, dass die Struktur eher die Form eines Parallelogramms besitzt - Formen dieser Art sind durchaus zu erwarten, wenn eine Spiralgalaxie mit einer elliptischen Galaxie verschmolzen und dabei verzerrt worden ist.
Die jetzt veröffentlichte Abbildung nutzt ein neues Verfahren, mit dem die Astronomen geradezu durch den Staub hindurchsehen können. Dazu wurden mit SofI, einer Kombination aus Infrarotkamera und Spektrograf am 3,58-Meter New Technology Telescope des ESO-Observatoriums La Silla, Bilder in drei verschiedenen Wellenlängenbereichen des nahen Infraroten aufgenommen (entsprechend den astronomischen Filtern J, H und K). Der Staub, der den Blick auf die Zentralregionen der Galaxie verdeckt, beeinflusst das Licht in diesen drei Wellenlängenbereichen auf unterschiedliche Art und Weise; das neue Verfahren kombiniert die Informationen der drei Teilbilder zu einem Kombinationsbild, in dem der Einfluss des Staubes weitgehend eliminiert ist. Das Ergebnis ist ein beispiellos klarer Blick auf das Zentrum von Centaurus A.
Die tiefen Einblicke ins Zentrum der Galaxie hielten Überraschungen bereit: "Hinter den Staubbändern liegt ein klar erkennbarer Ring von Sternen und Sternhaufen, den unsere Bilder jetzt erstmals im Detail sichtbar machen", so Jouni Kainulainen vom Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Helsinki, der Hauptautor des Fachartikels, in dem die neuen Ergebnisse veröffentlicht wurden. "Eine weitergehende Untersuchung dieser Strukturen soll nun Informationen über den Verlauf des Verschmelzungsprozesses liefern, und zeigen, welche Rolle die Sternentstehung in diesem Prozess gespielt hat."
Für die Auswertungstechnik sieht die Forschergruppe vielversprechende weitere Anwendungsmöglichkeiten: "Dies sind die ersten Schritte hin zu einer Technik, mit deren Hilfe sich große Gaswolken in anderen Galaxien detailliert und ohne großen technischen Aufwand abbilden lassen", erklärt Koautor João Alves. "Und sobald wir wissen, wie sich diese Wolken bilden und weiterentwickeln, verstehen wir auch, wie die Sternentstehung in Galaxien vor sich geht."
Koautor Yuri Beletsky blickt in die Zukunft: "Diese Technik ist eine gute Ergänzung der Radiodaten, die [das im Aufbau befindliche Submillimeter-Teleskopfeld] ALMA für nahe Galaxien liefern wird. Gleichzeitig eröffnet sie interessante Möglichkeiten für Beobachtungen von Sternen in anderen Galaxien mit dem geplanten European Extremely Large Telescope (E-ELT) und dem James Webb-Weltraumteleskop - Staub findet sich in so gut wie allen Galaxien."
Vorangehende Beobachtungen mit dem ISAAC-Instrument am VLT (dem Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium, vgl. ESO 04/01) hatten bestätigt, dass im Zentrum von Centaurus A ein supermassereiches Schwarzes Loch lauert. Die Masse dieses Schwarzen Lochs entspricht rund 200 Millionen Sonnenmassen, dem 50fachen der Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Im Gegensatz zu den Verhältnissen im Zentrum der Milchstraße wird das zentrale Schwarze Loch von Centaurus A kontinuierlich mit neuer Materie gefüttert. Dies macht Centaurus A zu einer aktiven Galaxie: Sie ist eine der hellsten Radioquellen am Himmel (darauf weist bereits das "A" im Galaxiennamen hin), und Radio- und Röntgenbeobachtungen zeigen, dass aus dem Galaxienkern hochenergetische Teilchenströme, so genannte Jets, nach außen geworfen werden.
Das neue Bild von Centaurus A ist ein Paradebeispiel für den ästhetischen Reiz astronomischer Spitzenforschung. Es reiht sich in eine Galerie weiterer beeindruckender Bilder von Centaurus A ein, wie sie etwa mit ESOs Very Large Telescope (siehe ESO PR Photo 05b/00) und dem Wide Field Imager am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop in La Silla [link] aufgenommen wurden.
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse sind erschienen als J. T. Kainulainen
et al., "Uncovering the kiloparsec-scale stellar ring of NGC 5128" in
Astronomy and Astrophysics, Band 502 (2009), S. L5-L8.
Die Forschergruppe besteht aus J. T. Kainulainen (Universität Helsinki und Max-Planck-Institut für Astronomie), J. F. Alves (Calar-Alto-Observatorium, Spanien, und Universität Wien), Y. Beletsky (ESO), J. Ascenso (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, USA), J. M. Kainulainen (TKK/Department of Radio Science and Engineering, Finnland), A. Amorim, J. Lima, F. D. Santos und A. Moitinho (SIM-IDL, Universität Lissabon), R. Marques und J. Pinhão (Universität Coimbra, Portugal), sowie J. Rebordão (INETI, Amadora, Portugal).
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
Quelle.: Max-Planck-Institut für Astronomie