Tunneleffekt relativistisch betrachtet
Archivmeldung vom 19.04.2013
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.04.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür den Weg durch einen quantenmechanischen Tunnel brauchen Teilchen offenbar länger, als viele Physiker bislang annahmen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg belegen jetzt, dass es eine sehr kurze, aber messbare Zeit braucht, um das Hindernis zu durchdringen. Das ist ein Ergebnis ihrer theoretischen Studie eines Elektrons, das von seinem Atomkern und einem intensiven Laser bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird und aus dem Atom heraus tunnelt.
Ein Ball, der einen Hügel hinaufrollt, kann diesen nicht überwinden, wenn seine Anfangsgeschwindigkeit dafür nicht ausreicht. In der Quantenwelt der Atome kann dagegen ein Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die andere Seite einer Barriere gelangen, auch wenn seine Bewegungsenergie aus klassischer Sicht dafür nicht ausreicht. Physiker sprechen hier vom ‚Tunneleffekt‘, weil das Teilchen die Barriere scheinbar durchtunnelt. Dieser ist von grundlegender Bedeutung und seine Auswirkungen reichen vom radioaktiven Zerfall bis zur technischen Anwendung im Rastertunnelmikroskop. Eine bis heute zum Teil kontrovers diskutierte Frage betrifft die Zeit, die ein Teilchen für das Tunneln braucht, da diesem Vorgang keine klassische Bewegung entspricht.
Ein Beispiel für quantenmechanisches Tunneln bilden Atome, die einem starken Laserfeld ausgesetzt sind. Bildlich gesprochen hat das attraktive Coulomb-Potential des Atomkerns, welches das Elektron an das Atom bindet, die Form eines Trichters. Diesem überlagert sich wie eine geneigte Ebene das elektrische Feld, welches das Elektron herauszerrt. Es bildet sich eine so genannte Potentialbarriere, die das gebundene Elektron vom Bereich freier Bewegung trennt (Abbildung). Handelt es sich bei dem Atom um ein hochgeladenes wasserstoffähnliches Ion (Atomkern plus ein einzelnes Elektron), so bedarf es Laserintensitäten in der Größenordnung von 10^18 W/cm2, um eine nennenswerte Tunnelwahrscheinlichkeit zu erreichen. Bei so hohen Intensitäten muss neben dem elektrischen Feld auch die Wirkung des Magnetfeldes auf das Elektron mit berücksichtigt werden. Dies erfordert eine relativistische Beschreibung des Systems, die über das konventionelle Bild des Tunnelns durch eine Barriere hinausgeht.
Michael Klaiber und Kollegen aus der Abteilung von Christoph Keitel am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik haben die Ionisation wasserstoffähnlicher Ionen in ultrastarken Feldern einschließlich der relativistischen Effekte theoretisch untersucht. Sie konnten zeigen, dass sich das Bild der Tunnelionisation entgegen früherer Vermutungen bei entsprechender Anpassung der Barriere aufrechterhalten lässt. Zudem gewannen sie neue Erkenntnisse zur ‚Tunnelzeit‘. Bisherige experimentelle Versuche, die Tunnelzeit direkt zu messen, waren nicht erfolgreich. Im Rahmen der erreichbaren Messgenauigkeit verläuft das Tunneln praktisch instantan, was auch von quasiklassischen Näherungen des Tunnelverhaltens vorhergesagt wird.
„Wir haben zwei charakteristische Zeiten identifiziert, die sich indirekt bestimmen lassen könnten“, erläutert Michael Klaiber. Da ist zum einen die so genannte Keldysh-Zeit – anschaulich die Zeit, die das Elektron mit seiner klassischen Geschwindigkeit im Atom braucht, um die Tunnelstrecke zu durchqueren. Die Wechselwirkung mit dem Magnetfeld führt generell zu einer Komponente der Endgeschwindigkeit des Elektrons in Richtung des Laserstrahls. Dieser ‚Lichtdruck‘ wirkt einerseits auf die Bewegung des freien Elektrons, nachdem es das Atom durch die Tunnelstrecke verlassen hat. „In unseren Rechnungen fanden wir aber systematisch einen zusätzlichen Beitrag, der proportional zur Keldysh-Zeit ist, also eine Wirkung des Lichtdrucks während des Tunnelns“, so Heiko Bauke, ein weiterer Postdoc auf dem Projekt. Im Prinzip sollte dieser Effekt in Messungen beobachtbar sein.
Die andere Tunnelzeit ist nach den Physikern Eisenbud, Wigner und Smith benannt und betrachtet die Bewegung eines Wellenpakets durch die Barriere. Gegenüber der quasiklassischen Näherung, in der das Tunneln praktisch keine Zeit braucht, ergibt sich hier in der genaueren Rechnung eine endlich große Zeit. Während dieser Tunnelzeit bewirkt der Lichtdruck eine kleine räumliche Verschiebung des Wellenpakets. Der Effekt ist aber leider nicht messbar, da er nur in unmittelbarer Nähe des Atoms auftritt – zu späteren Zeiten ergibt sich kein Unterschied mehr zur quasiklassischen Beschreibung. Dies sollte sich aber ändern, wenn die Tunnelstrecke relativ kurz ist, also bei recht hohen Intensitäten des Laserfeldes. Entsprechende weitergehende Untersuchungen sind aktuell in Arbeit.
Quelle: Max-Planck-Institut für Kernphysik