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Hüpfende Fans und moderne Stadiontribünen

Archivmeldung vom 01.12.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.12.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Am vergangenen Wochenende sind in Salvador, Bahia (Brasilien) mehrere Menschen gestorben und zahlreiche verletzt worden, als die Tribüne eines Stadions einstürzte. Die Fans feierten den Aufstieg ihres Vereins, unter der Last der hüpfenden Menschenmassen gab die Tribünenkonstruktion nach.

Ein solches Unglück könnte sich auch in Deutschland ereignen, die modernen und WM-erprobten Stadien sind nicht einheitlich für derartige Belastungen ausgelegt. Darauf weisen Bauingenieure der RUB hin. Das Forschungsteam EKIB (Entwurfsgrundlagen im Konstruktiven Ingenieurbau) entwickelt entsprechende Lastmodelle, mit denen sich die Auswirkungen des Zuschauerverhaltens auf das Tragwerk berechnen lassen. "Unsere Simulationen zeigen, dass die dynamischen Lasten der hüpfenden Zuschauer um das Dreieinhalb- bis Viereinhalbfache höher sind als die statischen Lasten", sagt PD Dr. Michael Kasperski, Leiter des Forschungsteams. "Die Reaktionen des Tragwerks darauf können dann je nach Masse, Steifigkeit und Dämpfung der Konstruktion um das 20- bis 80-fache größer sein als die statischen Wirkungen."

Beispiel Wembley

Dass die Tribüne eingestürzt ist, muss nicht zwangsläufig daran liegen, dass das Stadion in Salvador schon über 50 Jahre alt ist. "Wir glauben, dass sich dieses Unglück in ähnlicher Art und Weise auch in unseren modernen Fußballstadien wiederholen kann", sagt Kasperski. So wurde zum Beispiel das neue Stadion in Wembley nicht für das Szenario "hüpfende Fans" ausgelegt. Für den Fall, dass sich im Betrieb Schwingungsprobleme ergeben, steht Geld für Zusatzeinbauten zur Verfügung, um die Schwingungen abzufedern. "Diese Strategie kann jedoch offensichtlich ein Unglück wie das in Brasilien nicht verhindern", so Kasperski.

70 Personen im Takt

Wie hüpfende Personen konkret auf eine Konstruktion einwirken, erforschen die Bochumer Bauingenieure in ihren Lastmodellen: Dabei unterscheiden sie nach den rhythmischen Grundfähigkeiten "Takt erkennen" und "Takt halten". Mehr als 70 Personen haben die Wissenschaftler auf ihre individuellen Eigenschaften zur "Biomechanik des Hüpfens" untersucht, unterstützt vom Institut für Bewegungslehre/Biomechanik der Fakultät für Sportwissenschaft der RUB. Mit Hilfe einer zeitlich hochauflösenden Kraftmessplatte konnten die Forscher aus den Messergebnissen Modelle erarbeiten, die es erlauben, im Rechner die Lasten eines hüpfenden Publikums zu simulieren und in einem weiteren Schritt die Tragwerksreaktionen zu berechnen. Dabei können auch die Einflüsse von passiven Zuschauern auf das dynamische Verhalten des Tragwerks mit modelliert werden. Langfristiges Ziel ist, die Forschungsergebnisse des Projekts in die nationale und internationale Normung einzubringen.

Warnhinweise missachtet

Bereits im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland haben die Bochumer Forscher die Innenminister der Länder auf diese Sicherheitslücke der "dynamischen Schwingungen" aufmerksam gemacht - ohne Erfolg. Kasperski: "Unsere Warnhinweise wurden mit der Erklärung, dass die Stadien von Experten entworfen worden sind, missachtet. Dieses Verdrängen einer offensichtlichen Gefahr erscheint besonders unverständlich, wenn man sich den Beinahe-Unglücksfall im Stadion Nürnberg im Herbst 2005 vor Augen führt."

Beinahe-Unglück in Nürnberg

Hier waren wegen möglicher Schwingungen bei Open-air-Konzerten ein Teil der Tribünen Mitte der 90er-Jahre mit schwingungsreduzierenden Maßnahmen versehen worden. Auslegungskriterien waren neben der Standsicherheit der Tribünenkonstruktion insbesondere die Sicherheit der Zuschauer vor dem Hintergrund zu großer Schwingamplituden, die im schlimmsten Fall zu einer Panik führen können. Der Kurvenbereich hinter der Bühne war von diesen Maßnahmen ausgenommen - mit dem Hinweis, dass Fußballfans nicht hüpfen. Das sich in den folgenden Jahren verändernde Zuschauerverhalten hat man in Nürnberg trotz Warnhinweisen von Fußballfans ignoriert. Erst nach dem Beinahe-Unglück, bei dem sich kleinere Betonstücke von den Oberrängen lösten, wurde auch diese Tribüne entsprechend gesichert.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.


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