Kugelblitze im Labor
Archivmeldung vom 12.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKugelblitze im Labor - genauer gesagt, kugelblitz-ähnliche Plasmawolken - haben Wissenschaftler der gemeinsamen Arbeitsgruppe Plasmaphysik des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching und der Berliner Humboldt-Universität (HUB) erzeugt. Die Physiker produzieren über einer Wasseroberfläche leuchtende Plasmabälle, die Lebensdauern von knapp einer halben Sekunde und Durchmesser von 10 bis 20 Zentimeter besitzen.
Kugelblitze werden als Leuchterscheinungen beschrieben, die
während eines Gewitters auftreten. Rätselhafterweise sollen sie jedoch nicht
"blitzschnell", d.h. nur für Mikrosekunden sichtbar sein, sondern mehrere
Sekunden lang existieren, also hunderttausendmal länger als ein Blitz. Nicht nur
Berühmtheiten wie der griechische Philosoph Seneca, Plinius der Ältere, Karl der
Große oder Heinrich II. von England, in neuerer Zeit die Physik-Nobelpreisträger
Niels Bohr und Pjotr Kapitza, wollen sie beobachtet haben. Auch weniger namhafte
Personen berichten von unerwarteten Begegnungen mit Kugelblitzen; im Internet
sind hierzu mehr als eine Million Einträge zu finden. Andererseits scheint die
Erscheinung doch so selten, dass bis jetzt keine zuverlässigen Daten ermittelt
werden konnten. Entsprechend schießen zweifelhafte Deutungsversuche wild ins
Kraut - vom schwarzen Loch über Mini-Kernexplosionen bis zu esoterischen
Erklärungen.
"Angesichts dieser unklaren Ausgangslage wurde vielerorts
versucht, die Erscheinung gezielt im Labor hervorzurufen", erklärt Prof. Gerd
Fußmann, der Leiter der Arbeitsgruppe Plasmaphysik des IPP und der HUB in
Berlin. So gelang es bereits, mit Mikrowellen gespeiste Plasmoide - aus einem
ionisierten Gas bestehende leuchtende Plasma-Bälle - zu erzeugen, die bei gutem
Willen als Kugelblitze gelten konnten. Ähnliches leisten auch elektrische
Funken, die über organische Materialien geleitet werden. Vor etwa vier Jahren
schließlich konnte eine Arbeitsgruppe in St. Petersburg mit elektrischen
Entladungen über Wasseroberflächen kugelförmige Leuchtgebilde produzieren, die
dem Naturphänomen deutlich näher kommen. Denn es gilt als wahrscheinlich, dass
Gewitterblitze und Wasser bei der Geburt eines Kugelblitzes zusammenwirken
müssen.
Angeregt durch die russischen Versuche laufen in der
Arbeitsgruppe Plasmaphysik in Berlin Untersuchungen, bei denen Plasmoide über
einer Wasseroberfläche erzeugt werden, die Lebensdauern von etwa 0,3 Sekunden
und Durchmesser von 10 bis 20 Zentimeter haben. Dazu wird in einem
Wasserbehälter eine kurze Hochspannungsentladung gezündet, nach deren Abklingen
ein Plasmaball aus der Oberfläche emporsteigt.
Abgesehen von der
Energieversorgung durch eine leistungsfähige Kondensatorbatterie ist der
Versuchsaufbau ziemlich einfach: In ein mit Salzwasser gefülltes Becherglas
ragen zwei Elektroden, wobei die eine durch ein Tonröhrchen vom umgebenden
Wasser isoliert ist. Wird Hochspannung angelegt, so fließt für 0,15 Sekunden ein
bis zu 60 Ampere starker Strom durch das Wasser. Durch einen Überschlag vom
Wasser aus gelangt der Strom in das Tonröhrchen, wobei das dort enthaltene
Wasser verdampft. Nach dem Stromimpuls zeigt sich ein leuchtendes Plasmoid aus
ionisierten Wassermolekülen.
Mit dieser Anordnung können im Abstand von
etwa fünf Minuten beeindruckende "Kugelblitze" in allen möglichen
Erscheinungsformen und Farben erzeugt werden. Professor Fußmann: "Warum
allerdings die Leuchterscheinungen zustande kommen, ist noch alles andere als
klar. Sie sind nämlich etwa 300 Millisekunden sichtbar, nachdem der Strom
bereits abgeklungen und die Energiezufuhr also gekappt ist. Eigentlich sollten
sie aber spätestens nach einigen Millisekunden erloschen sein. Zudem leuchtet
das Plasma recht hell, obwohl die Plasmoide ziemlich kalt zu sein scheinen: Ein
darüber angebrachtes Blatt Papier wird zwar angehoben, aber verbrennt nicht."
Diese physikalischen Rätsel sollen nun in mehreren Diplomarbeiten geklärt
werden. Dazu müssen die Vorgänge systematisch analysiert werden - zum Beispiel
durch spektroskopische Methoden - und mit den vorhandenen Theorieansätzen
verglichen werden. "Obwohl das Thema das Forschungsgebiet des IPP - die
Untersuchung extrem heißer Plasmen, wie sie für ein Fusionskraftwerk gebraucht
werden - nicht direkt trifft", erklärt Professor Fußmann, "sind auch die
'Kugelblitze' ein attraktives plasmaphysikalisches Thema, bei dem Studenten an
einer interessanten Naturerscheinung Kenntnisse zu anspruchsvoller Messtechnik
und Theorie erwerben können".
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.