Terrorismus - Die inszenierte Gefahr
Archivmeldung vom 28.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFast ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 dominiert in den Abendnachrichten des deutschen Fernsehens noch immer der islamistische Terrorismus. Über Ursachen wird eher selten gesprochen. Häufiger werden dagegen Maßnahmen gegen Terrorismus thematisiert. "Dabei geht es dann oft um Anti-Terror-Gesetze, also den Schutz der eigenen Bevölkerung oder um militärische Maßnahmen im Nahen bzw. Mittleren Osten", sagt Prof. Dr. Wolfgang Frindte von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
"Wird im Fernsehen über die terroristische Bedrohung berichtet, so könnte man außerdem meinen, dass Deutschland - nach Staaten wie Afghanistan oder Irak und mehr noch als die USA - zu den am stärksten bedrohten Staaten gehört", berichtet der Kommunikationspsychologe.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen sowie Prof. Dr. Bertram Scheufele - ebenfalls vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Jenaer Universität - hat Frindte in den zurückliegenden zwei Jahren das Projekt "Terrorismus - mediale Konstruktion und individuelle Interpretation: Ein friedenswissenschaftlicher Beitrag zur medien- und sozialwissenschaftlichen Analyse und Bewertung terroristischer Bedrohungen in Deutschland" bearbeitet. Gefördert wurde die Studie der Kommunikationswissenschaftler von der Deutschen Stiftung für Friedensforschung.
Neben den Inhalten der Fernsehnachrichten haben die Jenaer Forscher Visualisierungsstrategien untersucht und Trends herausgefiltert: Wird in den Fernsehnachrichten über Terrorismus berichtet, dann werden vergleichsweise oft Bilder der Opfer terroristischer Gewalttaten gezeigt. Ebenso geht es auch um mögliche Folgen vereitelter Terroranschläge, über die mit dramatischen Sprach- und Toneffekten berichtet wird. "Deutlicher zeigen sich diese Tendenzen in den privaten Programmen", so Prof. Frindte. "Aber auch öffentlich-rechtliche Sender bedienen sich teilweise solcher Formen der Dramatisierung."
Für ihre Studie haben die Forscher 100 erwachsene Personen, die im Hinblick auf Mediennutzungsverhalten, Alter und Geschlecht repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung sind, im Verlauf von zwei Jahren zu drei Zeitpunkten (Ende 2007, Mitte 2008 und Anfang 2009) interviewt. Zudem haben die Kommunikationswissenschaftler zwischen August 2007 und Februar 2009 die Hauptnachrichten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 aufgezeichnet und insgesamt 1145 Nachrichtenbeiträge analysiert, in denen Terroranschläge, Terrorismus und Anti-Terror-Maßnahmen thematisiert wurden.
"Im Ergebnis lässt sich sagen, dass sich das Erleben persönlicher Bedrohung angesichts der Terrorgefahren über die zwei Jahre hinweg deutlich verringert hat", sagt Prof. Frindte. Dies decke sich einerseits mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen. "Andererseits steht diese Einschätzung aber im Widerspruch zu offiziellen Terrorwarnungen", macht der Kommunikationspsychologe deutlich. Erst im September, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, habe Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Gefahr von terroristischen Anschlägen in Deutschland als unverändert hoch bezeichnet.
Dies ist ein sensibler Befund, wie ein weiteres Ergebnis der Jenaer Studie zeigt. So befürworten fremdenfeindlich eingestellte Personen, die Muslime generell ablehnen, verstärkt militärische Einsätze und verschärfte Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen im sogenannten "Kampf gegen den Terrorismus". Die Ablehnung von Muslimen begründen diese Personen gerade mit der Terrorgefahr, die von den Muslimen in Deutschland ausgehe. "Dies sind vor allem Menschen, die in unserer Befragung angegeben haben, dass sie in ihrer Meinungsbildung über den Terrorismus vor allem von stark emotionalisierten und dramatisierenden Fernsehbildern beeinflusst seien", so Frindte. "Wir wollen keineswegs die Gefahren, die vom internationalen Terrorismus ausgehen, bagatellisieren", stellt er klar. "Allerdings wird der Umgang mit diesen Gefahren nicht leichter, wenn die Terrorgefahren und Terrorrisiken in medial inszenierter Weise dramatisiert werden."
Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena