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Wer mit der Uhr dreht

Archivmeldung vom 08.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Lässt sich das Tablett nur im Uhrzeigersinn drehen, wählen Menschen bevorzugt Bonbons mit exotischen Geschmacksrichtungen aus. Bild: Universität Würzburg
Lässt sich das Tablett nur im Uhrzeigersinn drehen, wählen Menschen bevorzugt Bonbons mit exotischen Geschmacksrichtungen aus. Bild: Universität Würzburg

Eine Bewegung im Uhrzeigersinn wirkt fortschrittlich, der Zukunft zugewandt. Die Gegenrichtung steht hingegen für eine Rückwärtsorientierung. Das klingt plausibel. Überraschend klingt hingegen der Befund Würzburger Psychologen: Demnach kann die Bewegungsrichtung menschliche Entscheidungen und sogar die Persönlichkeit beeinflussen – selbst wenn es nur darum geht, Bonbons verschiedener Geschmacksrichtungen auszuwählen.

Im Uhrzeigersinn heißt: Es geht voran! Die Zeit schreitet fort, wenn der Sekundenzeiger sich vorwärts bewegt. Der Motor startet, wenn wir den Schlüssel rechtsherum drehen; die Musik wird lauter, wenn wir den Regler aufdrehen. Im Uhrzeigersinn ist fortschrittlich, der Zukunft zugewandt, offen für Neues. Umgekehrt steht „gegen den Uhrzeigersinn“ für eine gewissen Rückwärtsgewandtheit, einen Rückschritt, eine Hinwendung zur Vergangenheit, zum Alten, Bekannten, Vertrauten.

„Menschen verknüpfen den Verlauf der Zeit eng mit räumlichen Vorstellungen, so eben auch mit der Drehrichtung, wie wir sie tagtäglich auf Uhren und anderen Geräten erleben“, sagt Sascha Topolinski, Psychologe an der Universität Würzburg. Wenn Menschen also eine Drehbewegung im beziehungsweise gegen den Uhrzeigersinn mit einer zeitlichen Vorstellung verknüpfen – Zukunft und Neues beziehungsweise Vergangenheit und Vertrautes: Wie beeinflusst das ihre Einstellungen und ihre Entscheidungen?

Diese Frage haben Sascha Topolinski und Peggy Sparenberg vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig mit einer Reihe von Experimenten untersucht. Die Fachzeitschrift Social Psychological and Personality Science berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über diese Arbeit.

Rechts herum weckt Lust auf Neues

Die Antwort liefert ein einfaches Experiment: Angeblich zur Belohnung für ihre Teilnahme an einer Reihe von Versuchen – die sie in Wahrheit nur zum Schein absolviert hatten – durften die Probanden sich aus einer Reihe von Bechern mit Bonbons unterschiedlichen Geschmacks bedienen. Diese Becher wurden auf einem drehbaren Tablett präsentiert, wie man sie manchmal in Restaurants am Büffet findet. Um die jeweilige Geschmacksrichtung lesen zu können, mussten die Versuchsteilnehmer das Tablett drehen – was jeweils nur in einer Richtung möglich war, mal im, mal gegen den Uhrzeigersinn.

Insgesamt 16 Geschmacksrichtungen waren auf der Scheibe vertreten. Acht davon waren eher gewöhnlich, so wie Apfel, Kirsche oder Zitrone. Acht andere Bonbons besaßen eher ungewöhnliche Aromen wie Popcorn, Marshmallow oder Melone. Fünf daraus sollten sich die Probanden nehmen. Dabei zeigte sich: „Wer die Scheibe im Uhrzeigersinn gedreht hatte, wählte häufiger die ungewöhnlichen neuen Sorten“, so Topolinski.

An der Persönlichkeit drehen

Die Drehrichtung im oder gegen den Uhrzeiger beeinflusst sogar die Persönlichkeit, unsere Vorlieben und Werte, wie die Psychologen in einem weiteren Experiment zeigten. Hier sollten 60 Freiwillige beim Kurbeldrehen ihre persönlichen Einstellungen und Vorlieben beschreiben: Sind sie eher weltoffen, tolerant und kreativ? Oder halten sie bevorzugt an althergebrachten und konservativen Werten fest? Das Ergebnis war eindeutig: „Es zeigte sich, dass Kurbeln im Uhrzeigersinn weltoffener und kreativer macht“, so Topolinski.

Dies gelte sogar dann, wenn Menschen die Bewegung gar nicht selbst ausüben, sondern nur beispielsweise in Form sich drehender Vierecke dargeboten bekommen, wie die Psychologen in einem weiteren Experiment nachweisen konnten.

Psychologische Konsequenzen

Was auf den ersten Blick wie eine Spielerei aussieht, hat einen wichtigen Hintergrund: Psychologen erforschen auf diese Weise, wie kulturelle und technische Konventionen unbewusst unser Erleben und Empfinden beeinflussen können.

So hat die Drehrichtung einer Bewegung an sich keinerlei Bedeutung für den Körper. Nur durch unseren tagtäglichen Umgang mit Uhren, Schaltern und Hebeln erhält sie die Bedeutung von Vergangenheit und Zukunft. „Unsere Erfahrung mit Technik bewirkt diesen Effekt: Disc Jockeys zeigen diese Effekte wahrscheinlich noch stärker, während wenig technisierte Kulturen durch Drehrichtung wohl kaum beeinflussbar sind“, vermutet Topolinski.

Praktische Konsequenzen

Darüber hinaus könnten diese Ergebnisse Implikationen für die Praxis haben. „Drehtüren drehen sich im Allgemeinen gegen den Uhrzeigersinn, auch in den meisten Kaufhäusern. Das macht die Kunden konservativ. Eine Änderung der Gehrichtung könnte bei ihnen die Neugierde für neue Produkte wecken“, spekuliert Topolinski.

Anders im Casino: „Hier drehen sich Glücks- und Rouletteräder immer im Uhrzeigersinn. Das macht die Spieler offener und lässt sie vielleicht riskanter spielen“, so der Psychologe. Topolinski hat noch mehr solcher Beispiele parat: „Achten Sie mal auf das „Ladesymbol“ im Internet, wenn sich eine neue Seite aufbaut. Das geschieht fast immer im Uhrzeigersinn“, sagt er. Das sei auch gut so, schließlich sind die Betrachter dann offener für die neue Information.

Weitere Fragen warten auf Antworten

Die Tatsache, dass selbst visuelle Reize diesen Effekt auslösen – also schon das alleinige Betrachten sich drehender Objekte, stellt die Psychologen vor weitere Rätsel: Was passiert, wenn Menschen eine sich im Uhrzeigersinn drehende Scheibe beobachten und gleichzeitig eine Kurbel in entgegengesetzter Richtung drehen?

Was passiert, wenn sie einen Drehleierspieler beobachten? Der dreht ja auch im Uhrzeigersinn, seine Zuschauer sehen aber, wenn sie ihm gegenüber stehen, eine Bewegung in der entgegengesetzten Richtung. Fühlen sie sich dann in den Leierkastenmann ein oder bleibt der visuelle Eindruck bestimmend?

Und wie unterscheiden sich Menschen, die kraft ihres Berufes viel mit Drehbewegungen zu tun haben von Menschen, die sich nur wenig bewegen?

Viele Fragen, die nach Ansicht der Psychologen weitere Experimente dringend notwendig machen. Topolinski ist sich jedenfalls sicher: „Zukünftige angewandte Forschung wird die Folgen von Drehrichtung im Alltag näher untersuchen.“

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg (idw)

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