Kühlen mit der kältesten Materie der Welt
Archivmeldung vom 25.11.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtPhysiker der Universität Basel haben eine neue Kühlmethode für mechanische Quantensysteme entwickelt: Mit einem ultrakalten atomaren Gas wurden die Schwingungen einer Membran auf weniger als 1 Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt. Diese Methode könnte unter anderem zu neuartigen Präzisionsmessinstrumenten führen, wie die Forscher im Fachmagazin «Nature Nanotechnology» berichten.
Ultrakalte atomare Gase gehören zu den kältesten Objekten überhaupt. Mithilfe von Laserstrahlen lassen sich die Atome in einer Vakuumkammer einfangen und ihre Bewegung auf Schneckentempo abbremsen. Damit erreicht man Temperaturen von unter 1 Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt – der Temperatur, bei der alle Bewegung zum Stillstand kommt. Bei solch niedrigen Temperaturen gehorchen die Atome den Gesetzen der Quantenphysik: Sie bewegen sich wie kleine Wellenpakete durch den Raum und können sich in einer Überlagerung von mehreren Orten gleichzeitig befinden. Diese Eigenschaften werden technologisch ausgenutzt, so etwa in Atomuhren und anderen Präzisionsmessinstrumenten.
Ein ultrakalter atomarer Kühlschrank
Kann man diese ultrakalten Gase als Kühlmittel verwenden, mit dem sich andere Objekte ebenfalls auf niedrige Temperaturen abkühlen lassen? Dies würde vielfältige Möglichkeiten zur Untersuchung der Quantenphysik in neuen und möglicherweise grösseren Systemen erschliessen. Das Problem dabei ist, dass die Atome mikroskopisch klein sind und selbst die grössten bisher erzeugten Wolken von einigen Milliarden ultrakalten Atomen immer noch viel weniger Teilchen als etwa ein kleines Sandkorn enthalten. Damit ist die Kühlleistung der Atome begrenzt.
Forschern der Universität Basel um Prof. Philipp Treutlein ist es nun gelungen, mit ultrakalten Atomen die Schwingungen einer millimetergrossen Membran zu kühlen. Die Membran ist ein 50 Nanometer dünner Film aus Siliziumnitrid, der wie das Fell einer kleinen quadratischen Trommel auf und ab schwingt. Solche mechanischen Oszillatoren sind nie ganz in Ruhe, sondern vollführen Schwingungen, die von der Temperatur abhängen. Obwohl die Membran rund eine Milliarde Mal mehr Teilchen enthält als die atomare Wolke, wurde ein starker Kühleffekt beobachtet, der die Membranschwingungen auf weniger als 1 Grad über dem absoluten Nullpunkt abkühlt.
«Der Trick dabei ist, die gesamte Kühlleistung der Atome auf den gewünschten Schwingungsfreiheitsgrad der Membran zu konzentrieren», erklärt Dr. Andreas Jöckel, einer der Projektmitarbeiter. Die Wechselwirkung zwischen Atomen und Membran wird mit einem Laserstrahl erzeugt. «Das Laserlicht übt Kräfte auf Membran und Atome aus», so der Physiker. «Schwingt die Membran, ändert das die Lichtkräfte auf die Atome – und umgekehrt.» Der Laser überträgt die Kühlwirkung auf diese Weise über Distanzen von mehreren Metern, sodass sich die atomare Wolke nicht im direkten Kontakt mit der Membran befinden muss. Ein optischer Resonator aus zwei Spiegeln, zwischen denen sich die Membran befindet, verstärkt den Kopplungseffekt.
Erstes Experiment weltweit
Systeme, in denen ultrakalte Atome und mechanische Oszillatoren mithilfe von Licht gekoppelt werden, wurden bereits in theoretischen Arbeiten vorgeschlagen. Das Experiment der Universität Basel ist nun das weltweit erste, in dem ein solches System realisiert und für die Kühlung des Oszillators verwendet werden konnte. Mit weiteren technischen Verbesserungen sollte es möglich sein, die Schwingungen der Membran in den quantenmechanischen Grundzustand zu kühlen.
Die Kühlung mithilfe der Atome ist für die Forscher nur der erste Schritt: «Die gut kontrollierbare Quantennatur der Atome in Kombination mit der lichtinduzierten Wechselwirkung bietet auch neue Möglichkeiten zur Quantenkontrolle der Membran», so Prof. Philipp Treutlein. Dies könnte Grundlagenexperimente zur Quantenphysik in einem relativ makroskopischen mechanischen System ermöglichen, das mit blossem Auge sichtbar ist. Zudem liessen sich sogenannte verschränkte Zustände von Atomen und Membran erzeugen. Diese würden die Messung der Membranschwingungen mit bisher unerreichter Präzision ermöglichen, was wiederum in neuartigen Sensoren für kleine Kräfte und Massen Anwendung finden könnte.
Die Experimente an der Universität Basel wurden von der Europäischen Union finanziell unterstützt und sind Teil des Nationalen Forschungsschwerpunkts Quantenwissenschaften und Quantentechnologie (NCCR QSIT) sowie des Swiss Nanoscience Institutes (SNI).
Quelle: Universität Basel (idw)