Pflanzenblüte ist eine Frage des Timings
Archivmeldung vom 26.09.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEine zu frühe oder zu späte Blüte kann für Pflanzen schwerwiegende Folgen haben: Sie kann die Ausbeute an Samen erheblich verringern und gefährdet so den reproduktiven Erfolg einer ganzen Saison. Um den idealen Blühzeitpunkt nicht zu verpassen, verfügen Pflanzen daher über ein umfangreiches genetisches Kontrollsystem, an dem mehrere Dutzend Erbanlagen beteiligt sind. Unter der Leitung von Markus Schmid, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, hat ein Forscherteam nun zwei Schlüsselgene in diesem Netzwerk genauer untersucht, die den Einfluss der Temperatur auf den Blühzeitpunkt vermitteln.
Viele der Gene, die an der Kontrolle des Blühzeitpunkts beteiligt sind, waren den Tübinger Forschern und ihren Kollegen um Prof. Richard Immink von Plant Research International in den Niederlanden bereits aus früheren Studien an der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana bekannt. "Das genetische Netzwerk integriert innere Faktoren wie den Hormonstatus der Pflanze ebenso wie äußere Faktoren, etwa die Tageslänge oder die Temperatur", erläutert Projektleiter Schmid. Über welche molekularen Mechanismen die Umgebungstemperatur auf die Blütenbildung einwirkt, sei allerdings noch weitgehend unerforscht. Gemeinsam mit seinem Team richtete er seine Aufmerksamkeit daher auf zwei Erbanlagen - FLM (FLOWERING LOCUS M) und SVP (SHORT VEGETATIVE PHASE) - denen frühe Studien bereits eine Schlüsselrolle bei der temperaturabhängigen Kontrolle des Blühzeitpunkts zugeschrieben hatten.
Wie diese Versuche gezeigt haben, ist dabei der Vorgang des alternativen Spleißens von entscheidender Bedeutung. Er ermöglicht es der Pflanze, aus einem Gen mehrere unterschiedliche Protein-Varianten herzustellen. Dabei wird zunächst wie gewohnt eine mRNA-Abschrift des Gens angefertigt. Diese prä-mRNA wird jedoch nicht direkt in ein Protein übersetzt, sondern zunächst zurechtgeschnitten - ein Vorgang, den Genetiker als Spleißen bezeichnen. Beim alternativen Spleißen kann dies auf unterschiedliche Weise geschehen, so dass verschiedene reife mRNAs und letztlich unterschiedliche Proteine entstehen.
Beim FLM-Gen von Arabidopsis treten hauptsächlich zwei Spleißvarianten auf, die als FLM-β und FLM-δ bezeichnet werden. Wie die Tübinger Forscher berichten, entsteht bei niedrigen Temperaturen vor allem FLM-β. Bei steigenden Temperaturen geht dieser Anteil immer mehr zugunsten von FLM-δ zurück. "Die Umstellung erfolgt recht rasch", berichtet David Posé, Erstautor der aktuellen Studie. "Bei einer Erwärmung von 16°C auf 27°C passt sich das Verhältnis binnen 24 Stunden an."
Wie Schmid und seine Kollegen in aufwändigen Bindungsstudien herausgefunden haben, schließen sich FLM-β und SVP zu einem Proteinkomplex zusammen, der sich effektiv an viele Stellen der DNA anlagert. Dabei handelt es sich oftmals um regulatorische Bereiche von Genen, die an der Regulation des Blühzeitpunkts und der Blütenbildung beteiligt sind. "Der SVP–FLM-β-Komplex wirkt wie ein Repressor, der das Blühen unterdrückt", erläutert Richard Immink, der sich auf die Physiologie der Blühinduktion spezialisiert hat. Ein Komplex aus SVP und dem "Wärmeindikator" FLM-δ dagegen ist kaum in der Lage, sich an DNA anzulagern und dort regulatorisch zu wirken. In der Folge werden die blütenbildenden Gene aktiv.
"Die Pflanzen haben damit einen sehr effizienten und eleganten Regulationsmechanismus gefunden", zeigt Projektleiter Schmid sich beeindruckt. Anstatt sich zwei Gene zu leisten, von denen eines die Blütenbildung fördert und das andere sie unterdrückt, sind diese gegensätzlichen Funktionen in einem Gen vereinigt. Daraus ergibt sich eine doppelte Regulation: Mit steigender Temperatur wird der "Blütenblocker" FLM-β nicht nur seltener hergestellt - er muss zusätzlich mit seinem eigenen Schwesterprotein um die SVP-Bindung konkurrieren.
Verschiedene Arabidopsis-Stämme blühen zum Teil zu recht unterschiedlichen Zeitpunkten, und ein Teil dieses Unterschieds beruht auf der natürlichen Variation des FLM-Gens. Diese Variation hilft den Pflanzen vermutlich, mit wechselnden Wachstumsbedingungen in ganz unterschiedlichen Habitaten zurechtzukommen. In ähnlicher Weise könnte sie es ihnen auch ermöglichen, sich an die schleichende Erwärmung im Zuge des Klimawandels anzupassen. Für Schmid und seine Kollegen steht es außer Frage, dass der neu entdeckte Mechanismus hierbei von großer Bedeutung sein wird - insbesondere für Pflanzen, die nicht nach Norden oder in kühlere Habitate ausweichen können. "Welche Rolle das temperatur-abhängige alternative Spleißen bei dieser Anpassung spielt, sollte in jedem Fall genauer untersucht werden", resümieren die Wissenschaftler.
Quelle: Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)