Leben unter Druck
Archivmeldung vom 27.10.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHeidelberger Systemphysiologen nehmen an japanischer Tiefsee-Expedition teil - Währen einer Lebend-Fangaktion Tiefseefische mit elektronisch gesteuerten Netzen aus bis zu 1000 Meter Tiefe geborgen und die elektrische Erregbarkeit ihrer intakten Muskulatur untersucht.
Für die Heidelberger Systemphysiologen und Biophysiker, Privatdozent Dr. Dr.
Oliver Friedrich und seinen Assistenten Frederic v. Wegner, beide aus dem
Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Heidelberg -
Arbeitsgruppe um Prof. Rainer H. A. Fink - sollte die diesjährige Teilnahme an
der Kaiyo-6/11-Mission im Pazifischen Ozean eine ungewöhnliche und viel
versprechende Erweiterung ihres wissenschaftlichen Spektrums
werden.
Ungewöhnliche wissenschaftliche Missionen stellen die von der
japanischen Regierungseinsrichtung "Japanese Agency for Marine-Earth Science and
Technology (JAMSTEC)" in Yokosuka, Japan, ausgetragenen
Tiefsee-Forschungsexpeditionen durchweg dar. Ob Untersuchung geologischer
Aktivitäten aktiver Tiefsee-Vulkane, Probennahme von Mineralien und
Mikroorganismen aus den tiefsten Bereichen der Welt bis zu 11 000 Meter oder die
Untersuchung von Tiefsee-Fischen vom Pazifischen Ozean bis zur Antarktis, die
japanische Regierung hält hierfür acht mit mehreren Laboratorien ausgestattete
Forschungs-Schiffe bereit, um den Tiefen der Meere näher zu kommen.
Die
vom 30. September bis 8. Oktober durch Mittel des EU COST-Programms und der
Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützte Teilnahme an der Mission mit
insgesamt fast 30 vor allem japanischen Wissenschaftlern an Bord, wurde für die
international ausgewiesenen Elektrophysiologen aus Heidelberg eine neuartige
wissenschaftliche Herausforderung. Hierzu sollten die während der
Lebend-Fangaktionen mit elektronisch gesteuerten Netzen Tiefseefische aus Tiefen
bis zu 1 000 Meter geborgen werden und ihre intakte Muskulatur bezüglich der
elektrischen Erregbarkeit untersucht werden.
Die Erregbarkeit der
Muskelmembran ist für jegliche Bewegung unerlässlich. "Dies ist eine einmalige
Chance für die Tiefsee-Physiologie", sagt Dr. Friedrich, der sich schon seit
Jahren mit den Auswirkungen hoher hydrostatischer Drücke auf Muskelzellen
beschäftigt. "Man weiß einiges zur Morphologie, Biochemie und zu Proteinmuster
in Tiefsee-Organismen, aber so gut wie nichts über deren Physiologie im intakten
Präparat. Man kann dies auch nur vor Ort testen, da fixierte Präparate nicht
mehr elektrophysiologisch untersucht werden können. Es ist faszinierend, dass
manche Spezies mehrere tausend Meter an Wassersäule überhaupt überleben können.
Man weiß, dass Fische eine spezielle Substanz in Form eines Osmolytes
produzieren, welcher den osmotischen Druck im Fisch erhöht und mit zunehmender
Tauchtiefe den äußeren hydrostatischen Druck kompensiert. Diese Substanz ist
interessanterweise genau diejenige, welche den typischen "Fischgeruch" ausmacht.
Welche Veränderungen sich jedoch physiologisch, zum Beispiel an der Membran
ergeben, ist völlig unbekannt."
Zur Durchführung des Projektes mussten 50
kg an Geräten nach Japan verschickt werden, welche auf dem Schiff aufgebaut
wurden. Hier zeigten sich auch schnell die Grenzen hoch empfindlicher
elektrophysiologischer Messungen auf hoher See. Maschinenraum-Schwingungen,
Seegang und ungeglättete Generatorspannung erschwerten die Aufzeichnungen, so
dass gewisse Techniken, wie Voltage-Clamp, auf hoher See nur mit viel höherem
Aufwand durchführbar sind. Dennoch konnten eine ganze Reihe von Membransignalen
der ruhenden Zellen stabil aufgezeichnet werden.
Die Probennahme erfolgte
generell nachts, und die Öffnung der Netze wurde von allen Beteiligten stets mit
hoher Spannung erwartet. Danach wurden die Präparate schnell verteilt. Neben den
beiden Heidelberger Physiologen waren eine Reihe von Wissenschaftlern
japanischer Großaquarien, Museumskuratoren, Morphologen und Biochemiker dabei.
Der Wissensaustausch gerade mit diesen Disziplinen war sehr aufschlussreich:
"Wir haben unter anderem gelernt, dass es bei Fischen eine
Rechts-Links-"Händigkeit" gibt, die sich in morphologischer Asymmetrie der
Körperachse und des Mauls äußert. Die Bedeutung und Physiologie solcher
Phänomene ist jedoch noch gänzlich unerforscht, könnte jedoch mit
Räuber-Beute-Beziehungen in Zusammenhang stehen.
Obwohl während der
Mission die Bildung eines Doppel-Taifuns in unmittelbarer Nähe des
Einsatzgebietes im Pazifischen Ozean die Probennahme vorzeitig beendete, konnten
alle Beteiligten zahlreiche Daten sammeln, welche in den Folgemonaten nun
ausgewertet werden. Die Heidelberger sind sehr zufrieden. "Mit diesem Projekt
können wir als Systemphysiologen nun auch die Brücke schlagen zwischen völlig
unterschiedlichen Biosystemen: der hoch spezialisierte Organismus Tiefseefisch
ergänzt nun auch unser bisheriges Forschungsrepertoire, welches Amphibien,
Kleinsäuger und den Menschen umfasst", resümiert Dr. Friedrich.
Für nächstes Jahr ist eine weitere Mission von japanischer Seite aus schon bewilligt. Die Einladung steht bereits.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.