Muschelkrebse - Erster fossiler Nachweis von Riesenspermien
Archivmeldung vom 14.05.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtMuschelkrebse (Ostrakoden) des Süßwassers wachsen bei der Fortpflanzung im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinaus. Sie produzieren fadenförmige Riesenspermien, die oftmals länger sind als sie selbst. Dass sie mit dieser Methode evolutionsgeschichtlich sehr erfolgreich sind, konnte nun Dr. Renate Matzke-Karasz, Privatdozentin für Geobiologie am Department für Geowissenschaften der LMU zeigen.
Der LMU-Paläontologin ist es erstmals gelungen, direkt in Millionen Jahre alten Fossilien Riesenspermien nachzuweisen. „Wir können das Spermium auf Zellniveau abbilden. Sowohl der Zellkern als auch eine markante Einstülpung der Zellhülle sind erhalten“, sagt Matzke-Karasz. Dabei sehen die Spermien nicht anders aus als die heutiger Muschelkrebse. „Wir erkennen im Fossil die typische Verdrillung des Spermiums und seiner Zellorganellen, wodurch sich ein Aussehen ergibt, das an ein Seil erinnert. Das Erstaunliche an unserm Fund ist, dass sich die Fortpflanzungstechnik dieser Kleinkrebse bis heute nicht geändert zu haben scheint.“
Die Fossilien lagen etwa 16 Millionen Jahre im australischen Sediment, bevor Matzke-Karasz sie zusammen mit Kollegen mit modernsten technischen Mitteln untersuchte: Sie durchleuchtete 66 Ostrakoden-Fossilien an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble mithilfe der Synchrotron-Röntgentomografie, einem bildgebenden Verfahren ähnlich der Computertomografie. Erstmals nutzte die Wissenschaftlerin dabei auch die hochauflösende Nanotomografie. „Mit diesen Methoden können wir die fossilen Spermien im dreidimensionalen Raum rekonstruieren“, sagt Matzke-Karasz. Muschelkrebse sind nur wenige Millimeter groß, doch ihre Spermien können bis zu einem Zentimeter lang werden.
Ostrakoden gibt es schon seit 500 Millionen Jahren. Sie sind dank ihres verkalkten zweiklappigen Gehäuses sehr häufig versteinert und damit heute noch nachweisbar und teils sehr gut erhalten. Mit den fossilen Klappen können Sedimente datiert und frühere Umweltbedingungen rekonstruiert werden. Doch nur in seltenen Fällen überdauern auch die Weichteile. Die Organe, die für die Übertragung der Riesenspermien nötig sind, konnten Matzke-Karasz und Co-Autoren bereits an Fossilien aus der Kreidezeit nachweisen, die in der berühmten Santana-Formation im Osten Brasiliens gefunden worden waren.
Opulente Fortpflanzungstechnik
Die nun untersuchten Fossilien sind etwa 16 Millionen Jahre alt und wurden in Sedimenten einer ehemaligen Höhle in Australien von den beiden Wirbeltierpaläontologen Professor Michael Archer und Dr. Suzanne Hand von der University of New South Wales gefunden. „Vermutlich liegt es an sehr hohen Phosphatwerten im Ablagerungsmilieu, dass die Fossilien so gut erhalten sind“, sagt Matzke-Karasz. Wie Archer und Hand rekonstruierten, lebten die Muschelkrebse in einem kleinen Gewässer in einer Höhle, in die Sonnenlicht eindrang und die von Fledermäusen bewohnt wurde. Offenbar ist es dem phosphathaltigen Kot der Fledermäuse zu verdanken, dass ihre kleinen Höhlenmitbewohner so viele Millionen Jahre später als phosphatisierte (apatitische) Fossilien die Fachwelt erstaunen.
Süßwasser-Muschelkrebse haben ein aufwändiges Fortpflanzungssystem, das etwa ein Drittel ihres Körpervolumens ausmacht. Die Männchen haben extrem verlängerte Samenleiter und ein Organ, das als Saug-Druck-Pumpe funktioniert und den Transport der Riesenspermien ins Weibchen erst ermöglicht. Die Weibchen verfügen über lange Kanäle und voluminöse Samenbehälter, in denen die Spermien bis zur Eiablage aufbewahrt werden. Auch diese Organe konnten in einigen der jetzt untersuchten Fossilien nachgewiesen werden.
„Muschelkrebse müssen viel Energie in Produktion, Transport und Aufbewahrung der Riesenspermien einsetzen, was auf den ersten Blick etwas opulent wirkt“, sagt Matzke-Karasz. Ihre 3-D-Darstellungen zeigen nun, dass Spermien und Fortpflanzungstechnik vor 16 Millionen Jahren nicht anders waren als heute. „Das weist darauf hin, dass diese Fortpflanzungsart funktionell ein Erfolgsmodell darstellt – über Millionen Jahre hinweg“, sagt Matzke-Karasz. Weitere Untersuchungen sollen nun Aufschluss darüber geben, was diese bizarr anmutende Fortpflanzungsmethode so erfolgreich macht.
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München (idw)