Proteom von Hefe-Mitochondrien entschlüsselt
Archivmeldung vom 07.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin Meilenstein in der Zellforschung: Größte Proteom-Studie von Hefe-Mitochondrien liefert neue Erkenntnisse über die Funktion von Mitochondrien-Proteinen. Zum Abschluss der Studie berichten Chris Meisinger von der Universität Freiburg und Albert Sickmann vom Rudolf-Virchow-Zentrum / DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin heute in der online Ausgabe von "Journal of Proteome Research" über die letzten 102 Proteine von insgesamt 851.
Mitochondrien sind als "Kraftwerke" der Zelle bekannt. Ohne deren
Energieproduktion sind höhere Lebewesen nicht lebensfähig. Neben der Zellatmung
sind sie allerdings auch in eine Vielzahl zellulärer Funktionen involviert und
erfüllen wichtige Aufgaben im Stoffwechsel von Eiweißen, Fetten, Zuckern und
Eisen sowie bei der Apoptose, dem programmierten Zelltod. Für diese Aufgaben
sind zahlreiche Proteine nötig. Einen kleinen Teil dieser Proteine stellen die
Mitochondrien aus eigener Erbinformation her. Doch nur ungefähr ein Prozent wird
dort produziert. 99 Prozent der Proteine werden im Zellkern programmiert, im
Cytosol zusammengebaut und dann in das Zellorganell transportiert. Der Transport
ist allerdings gar nicht so einfach - denn die Mitochondrien liegen in der Zelle
wie eine Art Unterzelle klar abgegrenzt. Über diese Grenze geht es nur über
andere Proteine, die als Shuttle dienen.
Ursprünglich waren es diese
Transport-Proteine, die die Zellforscher aus Freiburg interessierten. Doch bei
ungefähr 1000 Proteinen, die in Mitochondrien vorkommen, waren diese mit
herkömmlichen Methoden einfach nicht zu fassen. Die Zusammenarbeit mit der
Gruppe um Albert Sickmann vom Rudolf-Virchow-Zentrum erwies sich als Lösung: Die
Würzburger fischten einfach alles raus was sie finden konnten: eine komplette
Analyse des Proteoms, aller Proteine, die sich in den Mitochondrien befinden Zur
Analyse setzen sie hoch moderne Methoden wie Massenspektrometrie und
Hochleistungscomputer ein, die ihnen helfen, die unglaubliche Datenmenge von
über 1000 Proteinen zu ordnen und in einer Datenbank mit bereits bekannten zu
vergleichen. Damit ist es den Forschern erstmals gelungen, nahezu die Gesamtheit
aller Proteine von Mitochondrien zu erfassen. Nach mehr als 20 Millionen
Datensätzen waren 749 Proteine (2003) bekannt, heute veröffentlichen die
Forscher die letzten 102 Proteine.
Bei der Datenbankanalyse der 749
stoßen die Würzburger auf eine erste große Überraschung: Trotz der Hauptfunktion
als "Kraftwerke" der Zelle sind nur 14 Prozent aller Proteine daran beteiligt.
Über ein Viertel (250 Proteine) sind dafür zuständig, das eigene kleine
Mitochondrien-Genom abzulesen und in Proteine zu übersetzen. Außerdem sind 25
Prozent bis dato noch völlig unbekannt - 250 Proteine gehen an die Zellforscher
nach Freiburg, die deren Funktion genauer untersuchen. Die genaue funktionelle
Analyse liefert den Zellforschern 10 Kandidaten. In den letzten drei Jahren
konnten die Zellforscher um den Freiburger Nikolaus Pfanner damit einen
Meilenstein in der Erforschung des Mitochondrien-Transport setzen: Sechs der 10
Kandidaten sind klar am Transport in die Mitochondrien beteiligt. Einige
arbeiten in bereits bekannten Shuttlen - den Transportwegen TIM und TOM, für
andere konnten sie einen ganz neuen Transportweg aufklären, den die Forscher SAM
nennen. Damit ist einer der wichtigsten Transportmechanismen in der Zelle - der
Transport von Proteinen in das "Kraftwerk" der Zelle zu einem großen Teil
aufgeklärt.
84 Prozent der Proteine wurden durch die Studie nun erfasst.
Dies erscheint uns nach den großen Schlagzeilen über die Entschlüsselung des
Genoms, der Gesamtheit all unserer Gene, als wenig. Warum beenden die Forscher
die Studie hier? Das Proteom, die Gesamtheit aller Proteine in einer Zelle oder
Zellkompartiment ist jedoch hoch dynamisch. Das heißt, dass sich das Proteom im
Gegensatz zum Genom ständig ändert. Die besten Daten bisher lagen bei knapp 50
Prozent (2004). Aber sind unter den fehlenden 150 noch wichtige unbekannte?
Wahrscheinlich schon, allerdings ist es jetzt vorerst daran, die Techniken noch
weiter zu verbessern, dann erst geht wieder das große Fischen los.
Die
Entschlüsselung des Proteoms ist nicht nur in der Zellforschung von großer
Bedeutung - auch in der biomedizinischen Forschung. Eine Vielzahl der
identifizierten Proteine ist direkt homolog zu Proteinen des Menschen. Darunter
auch solche, die beim Menschen für die Entstehung von schweren
Stoffwechselkrankheiten wie das Sjörgen-Larsson-Syndrom und das
Wolf-Hirschhorn-Syndrom verantwortlich sind. Auch an der Entstehung vieler
Volkskrankheiten wie Krebs, kardiovaskulären Krankheiten oder
Autoimmunkrankheiten sind fehlerhaft funktionierende Mitochondrien beteiligt.
Die Kenntnis über diese Proteine soll zum tieferen Verständnis der Krankheiten
führen.
Das Rudolf-Virchow-Zentrum ist das DFG-Forschungszentrum für
Experimentelle Biomedizin und gehört als Zentrale Einrichtung zur Universität
Würzburg. Das Zentrum wurde im Januar 2002 gegründet und ist eines von drei im
Sommer 2001 bewilligten Pilotprojekten, mit denen die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) so genannte "Centers of Excellence" fördert. In den
drei Bereichen "Nachwuchsgruppeninstitut", "Kernzentrum" und
"Forschungsprofessuren" arbeiten zur Zeit neun Arbeitsgruppen auf dem Gebiet der
Schlüsselproteine. Außerdem gehört ein Lehr- und Ausbildungsbereich zum
Rudolf-Virchow-Zentrum. Gemeinsam mit den Fakultäten für Biologie und Medizin
der Universität Würzburg werden ein Studiengang Biomedizin und eine
"Graduate-School" für Doktoranden angeboten. Das "Public Science Center", eine
eigene Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, setzt sich für den Dialog zwischen
Wissenschaft und Gesellschaft ein.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.