‚Kalter‘ Wind des Krebspulsars erzeugt höchstenergetische Gammastrahlenpulse
Archivmeldung vom 16.02.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.02.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEine der hellsten Hochenergie-Gammastrahlenquellen am Himmel ist der Krebspulsar, von dem kürzlich auch gepulste höchstenergetische Strahlung beobachtet wurde. Wissenschaftler um Felix Aharonian vom MPI für Kernphysik und dem Dublin Institute for Advanced Studies haben dafür eine Erklärung gefunden. Sie beruht auf der abrupten Beschleunigung eines ultraschnellen Windes aus „kalten“ Elektronen und Positronen, die einige Erddurchmesser vom Pulsar entfernt erfolgt. (Nature, 15.02.2012 online)
Der Krebspulsar, ein sich schnell drehender Neutronenstern mit einem starken Magnetfeld, ist das Ergebnis der spektakulären Supernova, die im Jahre 1054 n. Chr. im Sternbild Stier aufleuchtete. Er hat 1,4 bis 2 Sonnenmassen und einen Durchmesser von nur 28 bis 30 km. Gemeinsam mit dem ihn umgebenden Krebsnebel gehört er zu den am besten untersuchten astronomischen Objekten (Abb. 1).
Astrophysiker gehen von der Existenz eines relativistischen Windes aus Elektronen und ihren Antiteilchen, den Positronen aus, welcher aus der Magnetosphäre des Krebspulsars entweicht und dann im interstellaren Medium endet. Die Entwicklung dieses Windes verläuft in drei aufeinanderfolgenden Phasen (Abb. 2): In etwa 1000 Kilometern Abstand vom Pulsar wird die Rotationsenergie des Pulsars in elektromagnetische Energie umgewandelt, die dann ihrerseits in Bewegungsenergie des Elektron-Positron-Plasmas konvertiert, der Wind also beschleunigt wird. Schließlich endet der Wind durch Kollision mit der umgebenden Materie in einer stehenden Schockwelle in etwa 0,3 Lichtjahren Entfernung. Dabei werden Elektronen und Positronen auf extrem hohe Energien beschleunigt und so die ausgedehnte nicht-thermische Strahlung des Krebsnebels verursacht. Um die beobachteten Daten erklären zu können, sollten alle drei Prozesse außerordentlich (fast 100%) effizient verlaufen.
Sowohl der Krebspulsar als auch der Krebsnebel sind starke Quellen im Gammastrahlenlicht, wobei der Pulsar im hohen und der Nebel vorwiegend im sehr hohen Energiebereich strahlen. Die dritte Schlüsselkomponente, der Wind, die den Energietransport vom Pulsar zum Nebel ermöglicht, scheint auf den ersten Blick jedoch eine ‘unsichtbare Substanz’ zu sein. Denn obwohl der Wind selbst relativistisch ist, sind im mitbewegten System die Elektronen „kalt”: sie weisen keine Relativbewegung zum Magnetfeld auf und emittieren daher keine Strahlung. Allerdings kann der Wind im Gammastrahlenlicht sichtbar werden, wenn Röntgen-Photonen aus der Magnetosphäre und/oder der Oberfläche des Neutronensterns durch die schnellen Elektronen und Positronen des Windes zu höheren Energien hin gestreut werden. Dieser Prozess wird inverse Compton-Streuung genannt. In einem Beitrag in Nature zeigen Felix Aharonian, Sergey Bogovalov und Dmitry Khangulyan, dass sich die neuesten überraschenden Entdeckungen gepulster sehr hochenergetischer Gammastrahlung durch die Tscherenkow-Teleskopsysteme VERITAS und MAGIC am besten über die inverse Compton-Streuung erklären lassen. Gepulste Röntgen-Photonen des Pulsars wechselwirken mit schnellen Elektronen des Windes vorwiegend in deren Beschleunigungszone. Der Wind ist somit die Quelle der gepulsten Gammastrahlung und erklärt die Beobachtungen mit nur drei Parametern: Beschleunigungsort des Windes, Endgeschwindigkeit und Anisotropie.
Wenn diese Erklärung zutrifft, dann liefert die Entdeckung gepulster, sehr hochenergetischer Gammastrahlung den ersten Beobachtungsnachweis für die Existenz eines kalten, ultraschnellen Elektron-Positron-Windes im Krebspulsar. Die Gammabeobachtungen ermöglichen eine gute Lokalisierung der Stelle, an der die elektromagnetische Energie des Windes in Bewegungsenergie umgewandelt wird, sowie eine gute Abschätzung der Geschwindigkeit, mit der dieser Übergang erfolgt. Die Ergebnisse zeigen eine nahezu plötzliche Beschleunigung des Windes auf ultra-relativistische Geschwindigkeiten in einem engen zylindrischen Abstandsbereich von 20-50 Tausend Kilometern um die Rotationsachse des Pulsars. Obwohl die gefundene, ultraschnelle Natur des Windes die allgemeine Grundvorstellung von Pulsarwinden unterstützt, bedeutet diese schnelle Umwandlung in einer engen Zone nicht allzu weit vom Pulsar entfernt eine Herausforderung für bestehende Modelle.
Quelle: Max-Planck-Institut für Kernphysik (idw)