Ringsystem um den Asteroiden Chariklo entdeckt
Archivmeldung vom 27.03.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtBeobachtungen unter anderem vom La Silla-Observatorium der ESO haben zu der überraschenden Entdeckung zweier dichter, schmaler Ringe um den fernen Asteroiden Chariklo geführt. Es ist das bei weitem kleinste Objekt mit Ringen, das bisher gefunden wurde und nur das fünfte Objekt in unserem Sonnensystem – nach den viel größeren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun – das diese Eigenschaft besitzt. Der Ursprung der Ringe bleibt ein Rätsel, sie könnten jedoch die Folge einer Kollision sein, durch die eine Trümmerscheibe entstanden ist. Die neuen Ergebnisse wurden am 26. März in der Fachzeitschrift Nature online veröffentlicht.
Die Ringe des Saturn gehören zu den eindrucksvollsten Anblicken am Nachthimmel. Weitere weniger hervorstechende Ringe wurden auch um die anderen Gasplaneten gefunden. Trotz vieler sorgfältig durchgeführter Suchkampagnen wurden im Sonnensystem keine Ringe um kleinere Objekte im Umlauf um die Sonne gefunden. Neue Beobachtungen des fernen Kleinplaneten [1] (10199) Chariklo [2] während der Passage vor einen Stern haben gezeigt, dass dieses Objekt ebenfalls von zwei feinen Ringen umgeben ist.
„Wir haben nicht nach einem Ring gesucht und haben nicht einmal gedacht, dass so kleine Himmelskörper wie Chariklo welche besitzen könnten. Somit war ihre Entdeckung – und die verblüffende Menge an Details, die wir im Ringsystem sehen – eine vollkommene Überraschung!” erläutert Felipe Braga-Ribas vom Observatório Nacional/MCTI im brasilianischen Rio de Janeiro, der die Beobachtungskampagne vorbereitet hat und Erstautor des neuen Fachartikels ist.
Chariklo ist das größte Mitglied einer Klasse von Objekten, die Zentauren [3] genannt werden. Er kreist zwischen Saturn und Uranus im äußeren Sonnensystem. Vorhersagen hatten gezeigt, dass er von Südamerika aus gesehen am 3. Juni 2013 den Stern UCAC4 248-108672 passieren würde [4]. Mit sieben Teleskopen, einschließlich des dänischen 1,54-Meter-Teleskops und des TRAPPIST-Teleskops am La-Silla-Observatorium des ESO in Chile [5], konnten Astronomen den Stern für einige wenige Sekunden scheinbar verschwinden sehen, als dessen Licht von Chariklo abgeschattet wurde – eine Sternbedeckung also [6].
Sie fanden jedoch viel mehr als sie sich erhofft hatten: Einige Sekunden vor und noch einmal einige Sekunden nach der Hauptbedeckung gab es zwei weitere sehr kurze Abstufungen in der scheinbaren Helligkeit des Sterns [7]. Irgendetwas um Chariklo herum hatte das Licht abgedunkelt! Über den Vergleich dessen, was an verschiedenen Orten beobachtet wurde, konnte das Team nicht nur die Form und Größe des Objekts selbst, sondern auch die Struktur, Breite und Ausrichtung sowie weitere Eigenschaften der neu entdeckten Ringe rekonstruieren.
Dabei hat das Team festgestellt, dass das Ringsystem aus zwei scharf abgegrenzten Ringen von nur sieben und drei Kilometern Breite besteht, zwischen denen eine Lücke von neun Kilometern liegt – und das um ein kleines Objekt von nur 250 Kilometern Durchmesser auf einer Umlaufbahn, die hinter der des Saturn liegt.
„Es hat mich sehr erstaunt zu sehen, dass wir nicht nur in der Lage sind ein Ringsystem zu detektieren, sondern sogar genau bestimmen können, dass es aus zwei deutlich voneinander getrennten Ringen besteht”, fügt Uffe Gråe Jørgensen vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen in Dänemark hinzu, ein Mitglied des Teams. ”Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre auf der Oberfläche dieses vereisten Objekts zu stehen – klein genug, dass ein schneller Sportwagen die Fluchtgeschwindigkeit erreichen könnte, um in den Weltraum hinauszufahren – und auf ein 20 Kilometer breites Ringsystem zu blicken, dass 1000 Mal näher ist als der Mond.” [8]
Obwohl viele Fragen unbeantwortet bleiben, glauben die Astronomen, dass diese Art von Ring wahrscheinlich aus den zurückbleibenden Trümmern einer Kollision entsteht, die wohl durch kleine Monde in zwei enge Ringe eingeschlossen worden sind.
„Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass Chariklo nicht nur die Ringe sondern auch mindestens einen kleinen Mond besitzt, der auf seine Entdeckung wartet”, fügt Felipe Braga Ribas hinzu.
Die Ringe könnten ein Phänomen sein, das selbst wiederum später zu der Ausbildung eines kleinen Mondes führen könnte. Solch eine Abfolge von Ereignissen auf viel größeren Skalen könnte sowohl die Geburt unseres eigenen Mondes in den frühen Tagen des Sonnensystems als auch den Ursprung vieler anderer Trabanten um Planeten und Asteroiden erklären.
Die Hauptverantwortlichen des Projektes gaben den Ringen provisorisch die Spitznamen Oiapoque und Chuí. Dabei handelt es sich um zwei Flüsse nahe der nördlichen und südlichen Spitze Brasiliens [9].
Endnoten
[1] Alle Objekte, die um die Sonne kreisen und zu klein bzw. nicht massereich genug sind, um durch ihre eigene Schwerkraft in eine runde Form gebracht zu werden, werden von der IAU als Kleinkörper bezeichnet. Diese Klasse beinhaltet zur Zeit die meisten der Asteroiden im Sonnensystem, Erdnahe Objekte (engl.: Near-Earth Objects oder kurz NEOs), die Trojaner von Mars und Jupiter, die meisten der Zentauren, die meisten der Transneptunischen Objekte (TNOs) und Kometen. Die Worte Asteroid und Kleinplanet werden oft umgangssprachlich verwendet, um dieselbe Objektklasse zu bezeichnen.
[2] Das IAU Minor Planet Center ist die zentrale Sammelstelle für Beobachtungen und die Entdeckung von Kleinkörpern im Sonnensystem. Die Namen, die solchen Himmelsobjekten zugewiesen werden, bestehen aus zwei Teilen, einer Nummer – ursprünglich nach der Reihenfolge der Entdeckung, heute aber nach der Reihenfolge, nach der die Umlaufbahn genau bestimmt wurde – und einem Namen.
[3] Zentauren sind kleine Himmelskörper mit instabilen Umlaufbahnen im äußeren Sonnensystem, die die Umlaufbahnen der Gasplaneten kreuzen. Da ihre Umlaufbahnen oft gestört werden, erwartet man, dass sie nur für wenige Millionen Jahre auf solchen Umlaufbahnen bleiben. Zentauren unterscheiden sich von den viel häufigeren Asteroiden aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter und könnten aus der Region des Kuipergürtels stammen. Sie erhielten ihren Namen, weil sie – wie auch die mythischen Zentauren – einige Eigenschaften zweier verschiedener Dinge teilen, in diesem Fall von Kometen und Asteroiden. Chariklo selbst scheint eher einem Asteroiden zu ähneln und hat noch keine Eigenschaften einer kometenartigen Aktivität an den Tag gelegt.
[4] Das Ereignis wurde nach einer systematischen Suche mit dem MPG/ESO 2,2- Meter-Teleskop am La-Silla-Observatorium vorhergesagt und vor Kurzem veröffentlicht.
[5] Neben dem dänischen 1,54-Meter-Teleskop und dem TRAPPIST-Teleskop am La Silla-Observatorium wurde das Ereignis auch an den folgenden Observatorien verfolgt: am Universidad Católica Observatory (UCO) Santa Martina, bedient von der Pontifícia Universidad Católica de Chile (PUC); am PROMPT-Teleskop im Besitz von und bedient von der University of North Carolina auf dem Chapel Hill; am Pico dos Dias Observatory der National Laboratory of Astrophysics (OPD/LNA) - Brasilien; mit dem Southern Astrophysical Research (SOAR) Teleskop; mit Caisey Harlingtens 20"-Planewave-Teleskop, welches Teil des Searchlight Observatory Network ist; mit dem Teleskop von R. Sandness bei San Pedro de Atacama Celestial Explorations; am Universidade Estadual de Ponta Grossa Observatorium; am Observatorio Astronomico Los Molinos (OALM) - Uruguay; am Observatorio Astronomico, Estacion Astrofisica de Bosque Alegre, Universidad Nacional de Cordoba in Argentinien; und am Polo Astronômico Casimiro Montenegro Filho Observatorium.
[6] Das ist die einzige Möglichkeit, um die exakte Größe und Form eines so weit entfernten Objekts zu bestimmen – Chariklo hat einen Durchmesser von nur etwa 250 Kilometern und ist mehr als eine Milliarde Kilometer von der Erde entfernt. Selbst in besten Teleskopaufnahmen erscheint ein so kleines und weit entferntes Objekt nur als ein schwacher Lichtfleck.
[7] Die Ringe von Uranus und die Ringbögen um Neptun wurden auf ähnliche Weise während Sternbedeckungen jeweils in den Jahren 1977 und 1984 entdeckt. Teleskope der ESO waren ebenfalls an der Entdeckung des Neptunrings beteiligt.
[8] Genaugenommen müsste das Auto wirklich sehr schnell sein – etwa wie der Bugatti Veyron 16.4 oder der McLaren F1 – da die Fluchtgeschwindigkeit etwa 350 km/h beträgt!
[9] Diese Namen werden nur umgangssprachlich verwendet. Die offiziellen Namen werden später von der IAU nach vorgegebenen Regeln vergeben.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie