Erstes weltweit vollständiges Gletscherinventar erstellt
Archivmeldung vom 06.05.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWas bisher nur für wenige Gebiete galt, ist jetzt für alle Gletscherregionen der Erde bekannt: endlich wissen wir, wie viele Gletscher es auf der Erde gibt, wo sie sich befinden, wie groß sie sind und wie viel Eis in ihnen gespeichert ist. Das jetzt verfügbare globale Gletscherinventar ermöglicht erstmals zuverlässige Berechnungen des zukünftigen Beitrags der Gletscher zum regionalen Wasserhaushalt sowie zum globalen Meeresspiegelanstieg.
Einer großen internationale Gruppe von Wissenschaftlern – darunter auch der Kartograph Tobias Bolch von der Technischen Universität Dresden – ist es gelungen, so gut wie alle Gletscher auf der Erde zu kartieren. Damit ist es nun für Glaziologen möglich, die Auswirkungen des Klimawandels auf alle Gletscher weltweit mit bisher nicht erreichter Genauigkeit zu berechnen. Insgesamt bedecken die Gletscher der Erde – die Eischilde Grönlands und der Antarktis ausgenommen – eine Fläche von etwa 730 000 km2 und haben ein Volumen von etwa 170 000 km3. Die Anzahl der Gletscher wird zwar immer gerne nachgefragt, die geschätzte Zahl von 200.000 ist jedoch wissenschaftlich unbedeutend und ändert sich durch den Zerfall großer und das Verschwinden kleiner Gletscher ständig. Viel wichtiger ist die computerlesbare Verfügbarkeit ihrer Abgrenzung, wodurch sich die genaue Modellierung der Gletscherreaktion auf Klimaänderungen stark verbessert.
“Dieser Zugewinn an Daten bedeutet vor allem, dass die Wissenschaftler jetzt Berechnungen machen können, welche zuvor schlichtweg unmöglich waren“, sagt Graham Cogley von der Trent Universität in Canada, einer der Koordinatoren der Arbeiten am sogenannten Randolph Gletscher Inventar (RGI), das nach einem kleinen Ort in New Hampshire, USA, benannt wurde, an dem sich die Gruppe der Koordinatoren erstmals getroffen hatte. Der nun veröffentlichte Aufsatz stellt das RGI sowie erste darauf aufbauende statistische Analysen zur Verteilung der Gletscher weltweit vor.
Der Hauptgrund für die Vervollständigung des Inventars war der kürzlich veröffentlichte fünfte Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC). Zahlreiche Studien, welche eine erste Version des RGI verwendet hatten, lieferten entscheidende Beiträge zu diesem Bericht. “Ich glaube nicht, dass irgendjemand einen sinnvollen Fortschritt bzgl. der Bestimmung der zukünftigen Gletscheränderungen hätte machen können, wenn es das RGI nicht gegeben hätte“ sagt Tad Pfeffer von der Universität von Colorado, der Erstautor der Studie, welche jetzt in der Fachzeitschrift ’Journal of Glaciology’ veröffentlicht wurde. Wie viele seiner Mitautoren ist auch er am Verfassen des IPCC
Reports beteiligt gewesen.
Die totale Gletscherfläche der Erde ist etwa so groß wie Deutschland, die Schweiz und Polen zusammen. Gemäß verschiedenen Studien enthält das in den Gletschern gespeicherte Eis zwischen 35 und 47 cm Meeresspiegeläquivalent an Wasser, das heißt der Meeresspiegel würde um diesen Betrag steigen, wenn alle Gletscher komplett schmelzen würden. Das ist weniger als die bisher angenommenen 60 cm und macht weniger als ein Prozent jener Eismasse aus, die in den Eisschilden Grönlands und der Antarktis gespeichert ist. Allerdings sind die Gletscher dem globalen Temperaturanstieg sehr viel stärker ausgesetzt als die Eisschilde, da sich das Eis der Gletscher generell bereits am Schmelzpunkt befindet, während das Eis der Eisschilde erst erwärmt werden muss. Die Gletscher tragen daher zur Zeit etwa ein Drittel zum beobachteten Meeresspiegelanstieg bei, genauso viel wie die beiden Eisschilde zusammen (das restliche Drittel stammt von der thermischen Ausdehnung des wärmeren Meerwassers).
„Das rasche Schwinden der Gletscher während der letzten 20 Jahre kann auch in den Alpen eindrucksvoll beobachtet werden“, sagt Frank Paul von der Universität Zürich, ebenfalls Mitautor der Studie und Leitautor des im letzten September veröffentlichten ersten Teils des IPCC Berichtes. „Hier wie in vielen anderen Teilen der Welt wirkt sich der Gletscherschwund auch auf die Wasserverfügbarkeit, Naturgefahren und die Lebensbedingungen der Menschen aus. Die genaue Kenntnis dieser Wasserreserven und ihrer zukünftigen Entwicklung ist deshalb für die lokalen Behörden und die rechtzeitige Ausarbeitung von Anpassungsmaßnahmen von besonderer Bedeutung“, ergänzt sein Kollege Tobias Bolch, der auch an der Technischen Universität Dresden forscht.
Das Randolph Gletscher Inventar basiert auf der gemeinsamen Arbeit von über 70 Wissenschaftlern aus 18 Ländern. Der enge Zeitplan des IPCC Berichtes verlangte eine rasche Fertigstellung des RGI. Dies wurde durch den Beitrag zahlreicher Freiwilliger Helfer, der intensiven Verwendung von Satellitendaten, sowie der Anwendung von Methoden der Geoinformatik erreicht. Die bereits bestehende aber unvollständige Datenbank von GLIMS (Global Land Ice Measurements from Space) diente als Grundstein für die Erstellung des RGI. Zahlreiche Projekte, welche durch die Europäische Weltraumagentur ESA, das 7. Rahmenprogramm der Europäischen Union, die NASA, sowie verschiedene Universitäten finanziert wurden, trugen maßgeblich zum Gelingen des RGI bei. Nicht zuletzt hat die finanzielle Unterstützung der International Association of Cryospheric Sciences (IACS) sowie des International Arctic Science Council (IASC) eine Reihe von Treffen der Koordinationsgruppe ermöglicht. Die Arbeit von Tobias Bolch, am RGI wurde durch das ESA Projekt Glaciers_cci, das 7. Rahmenprogramm der Europäischen Union im Projekt ice2sea sowie durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht.
Quelle: Technische Universität Dresden (idw)