In Schwefelsäure leben Einzeller mit einzigartiger biochemischer Ausstattung
Archivmeldung vom 04.01.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDass der einzellige Organismus Ferroplasma acidiphilum in Schwefelsäure leben kann - und das sogar ohne Zellwand - ist ungewöhnlich genug. Seine Einzigartigkeit jedoch besteht in seiner besonderen Beziehung zum Eisen:
Wie Forscher aus Braunschweig und Madrid jetzt herausgefunden haben, gewinnt Ferroplasma acidiphilum nicht nur seine Energie aus der Umwandlung von Eisen - es "frisst" das Metall sozusagen und lässt Rost zurück - sondern nutzt es vor allem als wesentliches Strukturelement für die meisten Proteine seiner Zelle. Damit zeigt der Einzeller eine biochemische Ausstattung, die ihn von allen anderen bislang bekannten Lebewesen unterscheidet. Möglicherweise hat der Mikroorganismus dabei eine urtümliche Eigenheit aus den Frühzeiten der Evolution konserviert. Ihre Erkenntnisse beschreiben die Forscher in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Nature.
"Ferroplasma acidiphilum gehört zu den Archaebakterien - Mikroorganismen, die in sehr ungewöhnlichen, extremen Lebensräumen existieren können", erklärt Dr. Olga Golyshina, die Wissenschaftlerin vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, die den Keim vor wenigen Jahren aus Pyrit-Erzen isoliert und zum ersten Mal beschrieben hat. Ferroplasma lebt an Standorten mit eisenhaltigen Erzen oder in säurehaltigen Abflüssen aus dem Bergbau. "Da der Energiegewinn aus Eisenoxidation sehr gering ist, muss Ferroplasma tonnenweise eisenhaltige Gesteine umwandeln", sagt Professor Ken Timmis, leitender Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. "Es leistet durch seine Stoffwechselaktivitäten eine enorme biochemische und geologische Arbeit." Gemeinsam mit Kollegen von der Technischen Universität Braunschweig und dem CSIC Institute of Catalysis in Madrid hat Timmis die Molekül-Bausteine des Organismus, die Proteine, untersucht. Das Ergebnis: "Mehr als 80 Prozent der Proteine von Ferroplasma acidiphilum enthalten Eisenatome ", sagt Dr. Peter Golyshin, der sowohl an der TU als auch am Helmholtz-Zentrum forscht. " In allen anderen untersuchten Organismen, auch bei anderen Archaebakterien, sind eisenhaltige Proteine nur in geringen Mengen vertreten." In den meisten Fällen dienen die Eisenatome als Stabilisatoren, die die räumliche Struktur der Proteine in Ferroplasma aufrecht erhalten. Die Forscher nennen diese Eisenatome in Ferroplasma "iron rivets", zu Deutsch eiserne Nieten.
Die Entdeckung der einzigartigen, durch "Eisennieten" verstärkten Protein-Maschinerie von Ferroplasma regt die Wissenschaftler zu Schlussfolgerungen über die Frühzeit der Evolution an. "Eine derzeit viel diskutierte Theorie über die Entstehung des Lebens besagt, dass die frühesten biologischen Moleküle auf Oberflächen mit viel Eisen und Schwefel entstanden sein müssen", erklärt Timmis. Erze wie etwa Pyrit, in dessen Nähe Ferroplasma acidiphilum gut wächst, hätten als Katalysator für die Entstehung der frühesten Bausteine des Lebens gedient. Die ersten Zellen könnten viele chemische Prozesse mit Eisen-Schwefel-Katalyse beibehalten haben; vielleicht benutzten sie Eisen auch als Proteinstruktur-stabilisierendes Element. Später musste die Evolution auf andere Baupläne für die Proteine ausweichen, um eisenarme Habitate besiedeln zu können. "Eine absolute Ausnahme bildet da der Lebensraum, in dem Ferroplasma acidiphilum bis heute zu finden ist", sagt Timmis. "Hier gibt es gelöstes Eisen weiterhin in Hülle und Fülle. Möglicherweise gehört Ferroplasma zu einem evolutionären Zweig des Lebens, der diese Umwelt nie verlassen hat und deshalb die eisernen Nieten nicht ersetzen musste."
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.