Reißverschlussverfahren in den Adern
Archivmeldung vom 01.04.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür das Strömungsverhalten des Blutes spielt der Gehalt an Blutkörperchen, auch Hämatokrit genannt, eine entscheidende Rolle. Wie Physiker des Forschungszentrums Jülich und der Universität Tokio mit Computersimulationen herausfanden, beeinflusst der Hämatokrit außerdem die Form und Anordnung der roten Blutkörperchen in Kapillargefäßen.
Ihre Ergebnisse veröffentlicht die renommierte
Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the
United States of America" in der Woche vom 30. März 2009 in ihrer
Online-Ausgabe (PNAS Early Edition).
Mit ihrer Arbeit zeigen die Forscher beispielhaft, wie nützlich
physikalisches Know-How auch für die Lebenswissenschaften ist. Rote
Blutkörperchen sind die häufigsten Zellen im Blut von Wirbeltieren;
jeder gesunde Erwachsene besitzt etwa 25 Billionen von ihnen. Sie
transportieren den Sauerstoff auf ihrem Weg durch das Gefäßsystem und
geben dem Blut seine rote Farbe. Unter dem Mikroskop in Ruhe betrachtet
haben sie eine diskusähnliche Form. Wenn sie sich aber bewegen und
durch unsere Adern und Äderchen oder auch durch künstliche Kapillaren
in Laboren strömen, können sie auch andere Formen einnehmen. Physiker
aus Jülich und Tokio haben untersucht, wie sich das Strömungsverhalten
von Gruppen roter Blutkörperchen und in engen Kapillaren - nur wenig
breiter als der Durchmesser der Zelle - in Abhängigkeit von ihrer
Dichte verändert. Dies ist etwa für medizinische Untersuchungsmethoden
von Interesse, bei denen Blutproben maschinell sortiert, gezählt und
untersucht werden.
"Wir simulierten im Computer die Biege- und Schersteifigkeit der
einzelnen Zelle, indem wir ein detailliertes physikalisches Modell für
die Zellhaut und das darunter liegende Proteingerüst entwickelten",
erläutert Prof. Gerhard Gompper, Direktor am Jülicher Institut für
Festkörperforschung. "Außerdem variierten wir Hämatokrit und
Strömungsgeschwindigkeit. So konnten wir verschiedene Bedingungen
miteinander vergleichen und sogar Zustände simulieren, die real gar
nicht vorkommen. Das ist ein einzigartiger Vorteil von Simulationen."
Und das passiert in den Blutgefäßen: Bei niedrigem Gehalt an
Blutkörperchen biegen sich diese ab einer bestimmten Geschwindigkeit
fallschirmförmig durch und ordnen sich hintereinander in der Mitte der
Kapillare an, um den Strömungswiderstand zu minimieren. Bei höherer
Dichte werden die durch Strömung vermittelten Kräfte wichtig. Diese
bewegen einzelne Zellen leicht aus ihrer mittigen Position. Je mehr
eine Zelle sich aber der Kapillarwand nähert, umso stärker wird sie
abgebremst; die im kurzen Abstand nachfolgende Zelle rutscht seitlich
daneben. Die Form der Blutkörperchen verändert sich dabei: Das Ergebnis
sind zwei reißverschlussartig ineinander geschobenen Reihen
pantoffelförmiger Zellen. Diese Anordnung roter Blutkörperchen wurde in
menschlichen Blutgefäßen bereits 1969 erstmals beobachtet. Erstaunt hat
die Forscher, dass der Strömungswiderstand bei diesem Übergang
sprunghaft ansteigt - und damit auch die Pumpleistung, die das Herz
aufbringen muss, um die gleiche Blutmenge durch die Kapillargefäße zu
pressen. Die lineare Anordnung hätte bei gleichem Hämatokrit einen
geringeren Strömungswiderstand, gleichwohl lässt sie sich nur künstlich
im Computer erzeugen.
"Es hat 40 Jahre gedauert, bis Membranmodelle, Methoden zur Simulation
von Strömungen und die notwendigen Rechenleistungen so weit entwickelt
waren, dass solche Fragen im Computer ("in silico") untersucht werden
können. Mit unserer Simulation konnten wir nun erstmals nachvollziehen,
wie die Reißverschlussanordnung entsteht", berichtet Gompper. Die
Physiker wollen in Zukunft eine Vielzahl an Fragen untersuchen, etwa
wie die Form der Kapillare oder krankheitsbedingte Veränderungen der
Verformbarkeit der Blutkörperchen das Strömungsverhalten beeinflussen.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.