Warum ist die Herkules-Zwerggalaxie so flach?
Archivmeldung vom 15.09.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDurch einige der aller ersten wissenschaftlichen Beobachtungen mit dem brandneuen Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona ist es einem internationalen Team von Astronomen gelungen, bei einem erst kürzlich entdeckten winzigen Begleiter unseres Milchstraßensystems, der sogenannten Herkules Zwerggalaxie, außergewöhnliche Eigenschaften zu entdecken.
Während nahezu alle Objekte in der Familie der kleinsten Zwerggalaxien rund sind, hat diese über 430000 Lichtjahre entfernte Galaxie ein sehr flaches Erscheinungsbild in Form einer Scheibe oder Zigarre.
Wie bei unserem Milchstraßensystem, verteilen sich die Sterne in
vielen großen Galaxien in einer scheibenartigen Struktur. In kleineren Galaxien
wie der Herkules-Zwerggalaxie, welche trotz ihres Namens nur ein zehn
Millionstel der Sternenzahl unserer Galaxis enthält, wurde nie zuvor eine
scheibenartige Struktur beobachtet. Unter den Millionen gut untersuchten
Galaxien fand sich bisher keine mit einer zigarrenartigen Form.
Eine Erklärung für die außergewöhnliche Morphologie dieser Galaxie ist, dass sie durch die gravitativen Kräfte unseres Milchstraßensystems verformt wurde. Dieser Effekt ist definitiv bei einer anderen Satellitengalaxie unseres Milchstraßensystems, der Sagittarius-Zwerggalaxie, zu beobachten. Jedoch ist dieses Objekt dem Zentrum unserer Galaxis zehnmal näher als die Herkules-Zwerggalaxie und deshalb den "zerstörerischen" Schwerkräften des Milchstraßensystems viel stärker ausgesetzt.
Die Herkules-Zwerggalaxie kann daher nur ein ähnliches Schicksal ereilt haben, wenn sie aufgrund ihrer Umlaufbahn dem Zentrum unseres Milchstraßensystems außergewöhnlich nahe gekommen ist. "Die Herkules-Zwerggalaxie ist deshalb entweder völlig anders als irgendeine der Millionen anderen bislang studierten Galaxien, oder sie umkreist unsere Galaxis auf einem extremen, nahezu in das Zentrum "eintauchenden" Orbit: in jedem Fall ist sie ein besonderes, ja einzigartiges Objekt", so Matthew Coleman vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der diese Studie leitet.
Das größte Einzelteleskop der Welt
Diese
Schlussfolgerungen wurden durch die sehr tiefen Aufnahmen ermöglicht, die mit
dem brandneuen Large Binocular Telescope (LBT) gewonnen wurden. Das LBT ist das
größte Einzelteleskop der Welt und befindet sich auf dem 3190 Meter hohen Mount
Graham in Arizona. Zwei riesige Spiegel mit 8,4 Metern Durchmesser befinden sich
gemeinsam auf einer Montierung und machen das Teleskop zu einem gigantischen
Fernglas.
Das Bild der Herkules Zwerggalaxie wurde unter Verwendung der High-tech Large Binocular Camera (LBC Blue) gewonnen, welche sich im Primärfokus eines der beiden 8,4 Meter Spiegel befindet. LBC Blue und sein zukünftiger Zwilling für den roten Spektralbereich, LBC Red, wurden von den italienischen Partnern des Projekts entwickelt. Dieses Instrument und das Teleskop arbeiten zusammen wie eine riesige Digitalkamera, mit deren Hilfe Bilder extrem lichtschwacher Objekte in einem Gesichtsfeld von der Größe des Vollmondes gewonnen werden können. "Ich bin erfreut zu sehen, dass den Astronomen mit der neuen Kamera solche beeindruckenden Bilder zur Verfügung gestellt werden können", sagt der Erbauer der Kamera, Emanuele Giallongo, vom INAF in Rom. "Wir stellten unseren Astronomen erste Beobachtungszeit zur Demonstration der wissenschaftlichen Einsatzfähigkeit des LBT zur Verfügung, damit sie zeigen können, was mit diesem neuen Instrument geleistet werden kann", sagt der Direktor des LBT Observatoriums, Richard Green. "Dies ist nur das erste Ergebnis, viele weitere werden folgen".
Neue Chance, ferne Planeten, Sterne und Galaxien zu erforschen
Durch die Kombination der Strahlengänge beider Einzelspiegel wird das LBT in seiner endgültigen Konfiguration so viel Licht sammeln, wie ein Teleskop mit einem einzigen Hauptspiegel von 11,8 Metern Durchmesser. Damit wird die Lichtsammelleistung des 2,4 Meter - Spiegels des Hubble Weltraumteleskops um einen Faktor 24 übertroffen. Noch bedeutender ist, dass das LBT dann die Auflösung eines 22,8 Meter - Teleskops haben wird, denn es wird über die modernste Adaptive Optik verfügen und die Bilder der Einzelspiegel interferometrisch zu einem Gesamtbild überlagern. Die Astronomen sind damit in der Lage, die durch die Luftunruhe verursachte Unschärfe erdgebundener Aufnahmen zu kompensieren. Mit dieser Leistungsfähigkeit wird das LBT völlig neue Möglichkeiten zur Erforschung von Planeten außerhalb des Sonnensystems und zur Untersuchung der schwächsten und am weitesten entfernten Galaxien bieten.
Die LBC Kamera ist das erste einer
ganzen Reihe von High-Tech-Instrumenten, mit denen das LBT in der Zukunft
ausgestattet sein wird. Diese zusätzlichen Instrumente schließen sowohl
Spektrographen mit unterschiedlichen Auflösungen und spektralen
Empfindlichkeiten ein, als auch komplexe Instrumente zur Kombination der
Strahlengänge der beiden Hauptspiegel. Sowohl das Teleskop als auch die
Instrumente werden in internationaler Zusammenarbeit von Instituten in den USA,
Italien und Deutschland gebaut.
Aufgrund der eindruckvollen ersten Bilder und
Ergebnisse sind die Astronomen nun sehr zuversichtlich, dass das 120 Millionen
Dollar-Projekt auf einem guten Weg ist, eine neue Tür für spektakuläre
Beobachtungen von Planeten, Sternen und Galaxien zu öffnen.
Die Partner in der LBT Corporation (LBTC) sind: University of Arizona, USA; Istituto Nazionale di Astrofisica, Italien; LBT Beteiligungsgesellschaft (LBTB), Deutschland; Max-Planck-Gesellschaft, Astrophysikalisches Institut Potsdam, Universität Heidelberg; Ohio State University, USA; The Research Corporation, USA (University of Notre Dame, University of Minnesota and University of Virginia).
Die deutschen Partner unter der Koordination des Max-Planck-Instituts für Astronomie, Heidelberg, sind mit 25 Prozent Beobachtungszeit am LBT-Projekt beteiligt.
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.