Magnetische Quanten auf dem Förderband
Archivmeldung vom 28.04.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.04.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler des Berliner Paul-Drude-Instituts manipulieren mit Schallwellen Magnetfelder in Supraleitern. Die Ergebnisse sind interessant für schnellere Datenverarbeitung sowie für künftige diagnostische Anwendungen (Stichwort: Lab on a Chip).
Winzige intensive Magnetfelder lassen sich manipulieren und werden damit für die
Datenverarbeitung interessant. Das haben Wissenschaftler um Dr. Carsten Hucho
vom Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik herausgefunden. Die Forscher
entwickelten eine Methode, mit der sie kleinste magnetische Einheiten
verschieben können. Die von ihnen untersuchten so genannten magnetischen
Flussquanten spielen eine Rolle bei Überlegungen zu neuen
Datenverarbeitungsansätzen, die als "Fluxtronic" bezeichnet werden. Die Arbeit,
die erstmalig den Transport von Flussquanten mit Hilfe einer Schallwelle
nachweist, erscheint in der Fachzeitschrift "Solid State Communications"
(Ausgabe 142, S.212)
Heute sind es in erster Linie Elektronen, die als
Informationsträger in Computern dienen. Bei der Suche nach neuen
Rechenmöglichkeiten haben Wissenschaftler die magnetischen Eigenschaften der
Elektronen ("Spin") im Blick. Und sie untersuchen den magnetischen Fluss (engl.
Flux). "Elektronen sind nicht einfach lokalisierbar, und ihre Spins sind
flüchtig", erläutert Carsten Hucho, "das Problem haben wir bei den Flussquanten
nicht." Die winzigen Magnetfelder bleiben permanent bestehen. Hucho: "Man kann
individuelle Flussquanten über nahezu beliebig lange Zeiträume verfolgen." Bevor
jedoch - nach Elektronik und Spintronik - die Fluxtronik in Hardware umgesetzt
werden kann, ist noch viel Forschungsarbeit nötig. Hucho sagt: "In unserer
Studie ging es zunächst darum, die prinzipielle Handhabbarkeit der Flussquanten
zu zeigen." Er fügt hinzu: "Die Ergebnisse sind ein wesentlicher Teil der
Doktorarbeit von Fabian Jachmann, der inzwischen in der Industrie
arbeitet."
Ziel der Fluxtronik ist es, Information ("bits") über diese
magnetischen Elemente zu repräsentieren - Nullen und Einsen als magnetisch Nord
und Süd. Anders als in handelsüblichen Festplatten, in denen die magnetische
Ausrichtung kleinster Areale genutzt wird, um Daten zu speichern, sind die
Flussquanten im Material relativ frei verschiebbar. "Würden Computer auch mit
magnetischen Flussquanten rechnen", sagt Carsten Hucho, "dann wäre eine weitaus
schnellere Datenverarbeitung als heute möglich."
Wie muss man sich so
ein lokales Magnetfeld vorstellen? In Schulbüchern werden Magnetfelder durch
Feldlinien dargestellt, gleichsam eine Ansammlung von Fäden. In bestimmten Typen
von Supraleitern ordnet sich das Magnetfeld tatsächlich in Form von
quantisierten magnetischen Einheiten an, die sich wie Fäden durch das Material
schlängeln. Jeder dieser "Vortex" genannten Fäden trägt dabei die kleinste Menge
von magnetischem Fluss - ein Flussquant. Die magnetische Feldstärke ist durch
die Anzahl solcher Flussquanten pro Flächeneinheit gegeben. Das heißt dann auch:
Je stärker ein von außen angelegtes Magnetfeld auf den Supraleiter einwirkt,
desto dichter gepackt sind die Vortices - desto mehr Vortices pro Flächeneinheit
stehen zur Verfügung. Solche kleinsten magnetische Einheiten gäben eine
hochattraktive Möglichkeit, Daten zu speichern und zu bearbeiten, wenn man die
Vortices nach Wunsch anordnen und wieder verschieben könnte. Genau das hat das
Team um Carsten Hucho gezeigt.
Bislang war bekannt, dass sich die
Flussquanten in Abhängigkeit von der Temperatur und vom angelegten Magnetfeld
entweder in einer symmetrischen Struktur anordnen wie ein Kristall oder der mehr
oder weniger geordneten Struktur von Störstellen im Supraleiter folgen. Um nun
eine frei definierbare Verschiebung der Vortices zu erreichen, ersannen die
Forscher einen Trick: Sie beeinflussten magnetische Feldlinien in einem
Supraleiter mit Schall, genauer gesagt mit akustischen Oberflächenwellen
(englisch: surface acoustic waves, SAW). Der Supraleiter bestand aus einem
dünnen Film YBCO* auf einem kristallinen Substrat.
Die Forscher zeigten,
dass die akustischen Oberflächenwellen in einer bestimmten experimentellen
Konstellation die Eigenschaften des Supraleiters an dessen Oberfläche verändern.
Es bildet sich eine Streifenstruktur von besser und schlechter supraleitenden
Bereichen, die sich mit Schallgeschwindigkeit an der Grenzfläche zwischen
supraleitendem Film und tragendem Substrat bewegt. Da sich magnetische
Flussquanten bevorzugt in Bereichen mit schwächerer Supraleitung aufhalten,
werden diese von der vorbeilaufenden Streifenstruktur mitgenommen - die Vortices
bewegen sich in eine durch das Schallfeld vorgegebene Richtung wie auf einem
Förderband. Mit fokussiertem Schall lassen sich Hucho zufolge Vortices bündeln,
mit einer Kombination von Schallwellen könne man Vortex-Antivortex-Paare
erzeugen. "Das eröffnet auch jenseits der Datenverarbeitung Anwendungsfelder",
sagt Hucho, "beispielsweise könnten wir uns vorstellen, magnetische
Mikropartikel mit zu transportieren." Das ist für die medizinische Analytik ein
interessanter Vorgang. Winzige Untersuchungseinheiten auf Chips gibt es bereits.
Künftig könnte solch ein "Lab on a Chip" mit einem magnetischen
Flussquanten-Förderband ausgestattet werden.
*Yttrium-Barium-Kupferoxid (YBa2Cu3O7 - bitte beachten: die Zahlen in der Formel müssten tiefer gestellt sein)
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.