„Wasserwaage“ zum Nachweis historischer Erdbeben
Archivmeldung vom 04.09.2019
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWie lässt sich die Stärke von Erdbeben während der Römerzeit im Rheinland abschätzen? Mit einer ungewöhnlichen Methode weisen Geologen der Universität Bonn Erdbeben vor rund 1900 Jahren nach: Sie benutzten das Eifel-Aquädukt als „Wasserwaage“. Schäden an der rund 95 Kilometer langen ehemaligen Leitung, die aus der Gegend von Nettersheim kalkhaltiges Wasser nach Köln transportierte, führten die Forscher auf Gesteinsbewegungen zurück. Dies ist ein Beitrag zu einer besseren Risikoabschätzung für künftige Beben in der Region. Die Ergebnisse sind nun vorab online im „International Journal of Earth Sciences“ nachzulesen.
Die Römer erbauten das Eifel-Aquädukt im ersten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung, um kalkhaltiges Wasser aus der Nähe von Nettersheim über rund 95 Kilometer nach Köln zu leiten. „Kalkhaltiges Wasser war begehrt, weil in den römischen Villen Trinkwasserrohre aus Blei verlegt waren“, sagt Privatdozent Dr. Gösta Hoffmann vom Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn. „Das Blei war toxisch, der Kalk kleidete die Rohre wie eine Schutzschicht aus.“ Etwa 190 Jahre war das längste Aquädukt nördlich der Alpen in Betrieb, was sich aus der Dicke der Kalkablagerungen abschätzen lässt.
Die Wasserleitung war eine Meisterleistung der römischen Ingenieure: Die rund 70 Zentimeter breite Leitung konnte etwa 20.000 Kubikmeter Wasser pro Tag nach Köln transportieren. Voraussetzung war das kontinuierliche leichte Gefälle der Leitung. Da das Vorgebirge im Weg war, nahmen die Römer einen Umweg über Rheinbach und bauten eine sehr lange Brücke über das Tal der Swist. Auf ihrem Weg nach Köln quert das Aquädukt mehrere geologische Verwerfungen. Dabei handelt es sich um Zerreiß- oder Bruchstellen im Gestein, an denen sich Teile der Erdkruste aneinander vorbeibewegen, wenn sie unter Spannung stehen. Dabei entstehen Erdbeben.
„Die Idee lag nahe, dass wir das Eifel-Aquädukt als eine Art Wasserwaage für diese Störungszonen nutzen“, sagt Sabine Kummer, die über das Thema ihre Bachelor-Abschlussarbeit geschrieben hat. Sollte es seit Errichtung der Wasserleitung zu einem größeren Erdbeben gekommen sein, dann müssten die Schäden an der Leitung erkennbar sein. Allerdings sind heute nur noch Reste der Wasserleitung vorhanden, die überwiegend im Erdboden schlummern und als Bodendenkmal nicht frei zugänglich sind. Der größte Teil des Aquädukts wurde im Mittelalter als Steinbruch verwendet.
Auffälligkeiten am Gefälle der Leitung als Hinweis
Die Wissenschaftler mussten sich also zusätzlicher Informationen bedienen, um das Gefälle entlang der Strecke zu rekonstruieren. Hierfür nutzten sie die neuesten lasergestützten Messdaten des Landes NRW und erstellten daraus ein sehr genaues dreidimensionales Geländemodell. Darin fügten sie den in früheren Publikationen festgehaltenen Verlauf der römischen Wasserleitung ein. Weitere wichtige Informationen gewannen die Forscher aus teils verstaubten und vergilbten archäologischen Dokumentationen beim Landesamt für Bodendenkmalpflege.
Bei der Auswertung zeigten sich Auffälligkeiten, die Gösta Hoffmann und Sabine Kummer zusammen mit der Master-Absolventin Rosa Márquez und Mario Valdivia Manchego vor Ort weiter untersuchten. Im Wald von Mechernich sind archäologisch dokumentierte Reparaturmaßnahmen zu erkennen. Über eine Strecke von vier Kilometer wurde die Leitung doppelt geführt, dort weist eine der beiden Leitungsstränge an einer Stelle eine Stufe von 35 Zentimeter Höhe auf. Archäologen gingen bislang davon aus, dass die Römer zwei unterschiedliche Abschnitte der Wasserleitung aufeinander zu gebaut und dann bemerkt haben, dass der Anschluss nicht passte. Daraufhin sei die temporäre Umleitung gebaut worden.
Die Geologen der Universität Bonn halten dagegen ein Erdbeben als Ursache für viel plausibler, da dort eine geologische Verwerfung verläuft, entlang derer die gespannten Gesteinsschichten bei einem Beben aneinander entlang gleiten und zu einem Versatz führen. „Es muss sich um ein oder mehrere stärkere Erdbeben gehandelt haben, weil nur dann solche Schäden an der Leitung auftreten können“, sagt Hoffmann. Einen zusätzlichen Hinweis darauf gibt auch die Kakushöhle bei Eiserfey. Dort stürzten im gleichen Zeitraum vom ersten bis zweiten Jahrhundert Blöcke von der Decke in römische Schichten der Höhle. Ursache war wahrscheinlich ebenfalls das Beben.
In der Region kommen häufig Erdbeben vor, weil hier die Erdkruste unter Spannung steht. Zuletzt fand mit dem Beben von Roermond im Jahr 1992 eine stärkere Erdbewegung statt. Düren im Jahr 1756 und Verviers im Jahr 1692 sind weitere historisch überlieferte Erdbebenereignisse. „Mit jedem weiteren dokumentierten Ereignis können wir das Risiko eines erneuten Bebens besser abschätzen“, sagt Hoffmann. „Es besteht aber kein Grund zur Panik. Wir haben dafür keine Anzeichen.“
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)