Wie Pflanzen Lichtenergie umwandeln: Anders als gedacht
Archivmeldung vom 04.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Lehrbuchmeinung muss nun korrigiert werden. Die ersten Schritte des Prozesses der Photosynthese laufen anders ab als bisher angenommen. Das haben Biologen der RUB-Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Rögner in Zusammenarbeit mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Bioorganische Chemie (AG Prof. Dr. Alfred Holzwarth) herausgefunden.
Im Detail geht es um die Frage, in welcher Reihenfolge sich die ersten Prozesse
der Photosynthese abspielen, die in Zeitbereichen von wenigen Picosekunden
ablaufen (1 ps = 10-12 Sekunden). Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher im
renommierten US-Journal "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS
103 (2006) 6895-6900).
Nanomaschine spaltet Wasser
Was passiert
eigentlich, wenn Sonnenlicht auf eine Pflanze trifft? Wie laufen die Vorgänge
der Umwandlung der Lichtenergie auf molekularer Ebene ab und was können wir
daraus lernen, um die hohe Effizienz dieser natürlichen Vorgänge gewinnbringend
zu kopieren? Dieser Frage widmen sich die Forscher um Prof. Rögner in enger
Kooperation mit Prof. Holzwarth, dessen Arbeitsgruppe eine von sehr wenigen ist,
die solche Prozesse zeitlich auflösen kann. Die Messungen erfordern neben
hochsensitiven Apparaturen große Mengen extrem reinen Proteins, in diesem Fall
des Photosystems 2 (PS2). PS2 führt den zentralen Prozess der Photosynthese
durch, die lichtinduzierte Wasserspaltung. Die Bochumer Forscher isolierten das
Protein aus Cyanobakterien, den einfachsten "Modellpflanzen" (s. Abb. 1).
"Obwohl die dreidimensionale Struktur von PS2, gewissermaßen sein 'Bauplan',
seit Jahren bekannt ist, blieb die Funktion dieser 'Nanomaschine' im molekularen
Bereich, die hauptsächlich über spektroskopische Untersuchungen aufgelöst werden
kann, umstritten", erklärt Prof. Rögner. Die jetzt erschienene Publikation des
Bochumer und Mülheimer Forscherverbundes könnte einen wesentlichen Beitrag zum
Verständnis dieser Prozesse liefern und sie im wahrsten Sinne des Wortes in
einem neuen Licht erscheinen lassen.
Ein Chlorophyll, das niemand auf
der Rechnung hatte
Im Wesentlichen haben die Forscher zwei zentrale
Erkenntnisse gewonnen, die den bisherigen Wissensstand fundamental korrigieren:
Der erste Reaktionsschritt im Zentrum von PS2 wird von einem einzelnen
Chlorophyll (ChlD1 in Abb. 2) durchgeführt, welches nach bisheriger Überzeugung
nicht dafür eingeplant war. "Obwohl es sehr nahe am bisher für das eigentliche
Reaktionszentrum gehaltenen Chlorophyll-Paar - das analoge Pigmentpaar in den
Reaktionszentren von photosynthetischen Bakterien wird als "spezielles Paar"
bezeichnet - liegt, hatte es niemand 'auf seiner Rechnung'", blickt Rögner
zurück. Mit der aktuellen Arbeit konnten die Forscher erstmals den
experimentellen Beweis dafür unter physiologischen Raumtemperaturbedingungen
erbringen (s. Abb. 2). "Folglich muss das Lehrbuchwissen der Photosynthese in
dieser Hinsicht korrigiert werden, zumal es sich um ein Prinzip zu handeln
scheint, welches die Natur offensichtlich auch im anderen Photosystem, dem
Photosystem 1, und darüber hinaus auch bei allen höheren Pflanzen angewandt
hat", erklärt der Biologe.
Hohe Oxidationskraft verstehen
Die
Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Protonen - d.h. die zentrale Funktion für
die Speicherung von Solarenergie in der Photosynthese - erfordert die höchste
Oxidationskraft, die biologischen Systemen bekannt ist. Die neuen Erkenntnisse
der Mülheimer und Bochumer Forscher liefern nun die molekulare Erklärung für die
bisher nicht gut verstandene extrem hohe Oxidationskraft von Photosystem 2. Ein
monomeres Chlorophyll kann prinzipiell eine wesentlich höhere Oxidationskraft
entwickeln als das bisher angenommene "Spezialpaar Chlorophyll".
Weiterleitung ist schneller als Gradientenaufbau
Die zweite zentrale Erkenntnis betrifft den Prozess der Weiterleitung der Lichtanregung: Sie verläuft wesentlich rascher als der Prozess der ersten "chemischen" Reaktion, d.h. der Aufbau eines elektrischen Gradienten über der Membran. Jedes PS2 besitzt eine große Antenne aus vielen Chlorophyllen, welche die Lichtenergie sehr effektiv einfangen und praktisch verlustfrei zu den relativ wenigen Reaktionszentrenchlorophyllen ("Trap") weiterleiten. Für die effektive Ausnutzung der Lichtenergie ist die Beantwortung der Frage wichtig, welcher der beiden Prozesse - Weiterleitung der Lichtanregung oder Aufbau des elektrischen Gradienten - der limitierende ist. Die durchgeführten Untersuchungen zeigen eindeutig, dass die Energieübertragung von den Antennen zum Zentrum der schnellere und damit nicht der limitierende Schritt ist.
Neues Bild der Photosynthese
Zusammengenommen ergibt sich durch diese Erkenntnisse ein
neues Bild der primären Vorgänge der Photosynthese. Es wird sicher auch
Auswirkungen auf sog. biomimetische Verfahren haben, mit welchen die natürlichen
Prozesse künstlich "nachgebaut" werden sollen, um die Solarenergie als
unerschöpfliche Energiequelle durch Nachahmung der Natur wesentlich effektiver
nutzen zu können als es heute mit Sonnenkollektoren möglich ist.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.