„Weiß“ – mehr als nur eine Hautfarbe
Archivmeldung vom 10.12.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAnglistische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin der Uni Mannheim untersucht auf Basis irischer Gegenwartsliteratur, welche Bevölkerungsgruppen als „weiß“ wahrgenommen werden und welche nicht und was das für den interkulturellen Dialog in Europa bedeutet
„Whiteness Studies“ - das ist der Name einer noch recht jungen Kulturtheorie aus den USA, mit der Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen untersuchen, wer in der amerikanischen Bevölkerung als „weiß“ wahrgenommen wird und was es letztendlich bedeutet „weiß“ zu sein. Doch die „Whiteness Studies“ beschränken sich nicht nur auf den nordamerikanischen Kontinent. Angesichts der europaweiten Debatte über Einwanderung und Integration haben sie das Potenzial auch bei uns neue Denkanstöße für den interkulturellen Dialog zu liefern. Professor Dr. Sarah Heinz von der Universität Mannheim will genau das in einem neuen Forschungsprojekt zeigen. Sie untersucht anhand von irischen Filmen und literarischen Texten der vergangenen zwanzig Jahre, inwiefern auch die weiße Hautfarbe als Unterscheidungsmerkmal von der Gesellschaft sozial konstruiert wird. Welche Bevölkerungsgruppen werden in Irland als „weiß“ wahrgenommen und warum? Was bedeutet das für das Selbstverständnis der Iren und den interkulturellen Dialog zwischen Iren und Einwanderern? Und was können wir daraus für andere europäische Einwandererländer lernen? Diesen Fragen wird die Mannheimer Kulturwissenschaftlerin in den kommenden zwei Jahren auf den Grund gehen.
„Whiteness ist einerseits ein visuelles Phänomen. Aber es beschränkt sich nicht auf die Hautfarbe und ist auch kein biologischer Fakt“, sagt Sarah Heinz, Juniorprofessorin am Lehrstuhl für Anglistische Literatur- und Kulturwissenschaft der Uni Mannheim. „Wer als ‚weiß‘ wahrgenommen wird, hängt von ganz bestimmten sozialen Attributen ab, die mit der weißen Hautfarbe im jeweiligen kulturellen Kontext assoziiert werden.“ Menschen, egal welcher Hautfarbe, würden mit „Weiß-sein“ in der Regel ganz bestimmte Eigenschaften verbinden, wie beispielsweise einen guten Job, einen hohen Verdienst oder ein schönes Haus in der Vorstadt – auch wenn diese Vorstellungen in der Realität womöglich gar nicht zutreffen. „Weiß“ ist demnach viel mehr als nur eine Hautfarbe. Es ist das, was eine Gesellschaft daraus macht. „Die Whiteness Studies machen sichtbar, welchen unsichtbaren Rucksack an Attributen und Privilegien demjenigen umgeschnallt wird, der als weiß gilt“, fügt die Kulturwissenschaftlerin hinzu.
Die Iren bieten sich für die Untersuchung von Hautfarbe als soziales Konstrukt besonders an. Überraschenderweise wurden sie bedingt durch ihre Geschichte nicht immer automatisch als „weiß“ wahrgenommen. Im 19. Jahrhundert, als viele Iren in die USA auswanderten, nannten sie die weißen Amerikaner „white niggers“. Iren galten als primitiv und rückständig, als Bürger zweiter Klasse, als „nicht-weiß“.
Heute im 21. Jahrhundert verorteten sich die Iren wieder am „weißen“ Ende des Spektrums. Irland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom armen Auswandererland zum wirtschaftlich starken „Celtic Tiger“ gewandelt. Somit wurde es für Einwanderer immer attraktiver. „Die Iren hatten immer dafür gekämpft, dass ihre Kultur als gleichwertig und ‚weiß‘ anerkannt wird. Nun werden sie mit Menschen konfrontiert, die sie selbst nicht als ‚weiß‘ bzw. irisch betrachten“, sagt die Kulturwissenschaftlerin von der Uni Mannheim. Dies habe in Irland zu politischen Debatten über Einwanderungs- und Einbürgerungsgesetze geführt, teilweise sogar zu Rassismus. Denn im Mittelpunkt dieser Debatten stehe die Frage: Wer ist Ire und was bedeutet es überhaupt, irisch zu sein?
„Viele solcher Diskussionen, die wir in Europa über Migranten führen und die Art und Weise, wie wir sie führen, lassen sich mit den Whiteness Studies erklären“, sagt Juniorprofessorin Heinz. „Denn diese Abstufungen von ‚weiß‘ zu ‚nicht-weiß‘ erfolgen auf gleiche Weise in allen anderen Einwandererländern auch, und zwar ohne dass sich die Gesellschaft dessen bewusst ist.“ Religion spiele dabei als Parameter eine entscheidende Rolle. Bevölkerungsgruppen, die einem anderen Glauben angehören und zudem aus einem stark religiös geprägten Kulturkreis kommen, würden von der Mehrheit im christlich-westlichen Europa tendenziell als fremd, das heißt weniger ‚weiß‘ wahrgenommen - und das unabhängig von der Hautfarbe.
Für einen erfolgreichen interkulturellen Dialog sei deshalb besonders wichtig, dass das Fremde nicht als unnormal oder gar minderwertig bewertet wird, denn das sei der Nährboden für Rassismus. „Whiteness wird als Zentrum und Norm wahrgenommen, von der aus beurteilt wird, wer normal ist und wer nicht“, erklärt Professorin Heinz. „Die Whiteness Studies wollen diese hierarchischen Denkstrukturen aufdecken und zeigen, dass die ethnische Mehrheit in einem Land nicht Zentrum sondern Teil der Gesamtbevölkerung ist und sich damit trotz kultureller Unterschiede auf gleicher Ebene mit den ethnischen Minderheiten befindet.“
Quelle: Universität Mannheim (idw)