Daunen, Wolle & Co. - Warme Hülle für kalte Tage
Archivmeldung vom 15.11.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Es gibt kein schlechtes Wetter - es gibt nur falsche Kleidung." Mit den ersten Stürmen und Morgenfrösten gewinnt diese Binsenweisheit jeden Herbst wieder an Aktualität. Aber welche Funktionen muss Kleidung überhaupt erfüllen und wie schaffen moderne Materialien das? Dr. Volkmar T. Bartels vom internationalen Textilforschungszentrum Hohensteiner Institute in Bönnigheim untersucht und optimiert den Tragekomfort von Kleidung und kennt die Antworten.
Was sind die Grundfunktionen von Kleidung?
Kleidung hilft dem Menschen, sich
dem Umgebungsklima gegenüber zu behaupten. Das heißt, sie muss uns einerseits
warm halten und andererseits die Verdampfung des Schweißes ermöglichen, so dass
der Körper bei Bedarf ausreichend gekühlt wird.
Warum tragen wir
Kleidung und kein Fell?
Der Verlust des Felles stellt in der Geschichte der
Menschwerdung einen Meilenstein dar. Wie alle Säugetiere regulieren Primaten
ihre Körpertemperatur über die Atmung, was den Umfang der Wärmeabfuhr aber stark
einschränkt. Der Frühmensch nutzte zur Wärmeabfuhr dagegen den ganzen Körper und
wurde damit in Punkto Ausdauer und Anpassungsfähigkeit den meisten Tieren
überlegen. Zudem wurde erst über das Schwitzen am Körper die
Kommunikationsfähigkeit über Sprache für den "nackten Affen" auch bei großer
Hitze oder unter Anstrengung möglich. Wirklich effektiv ist die Fähigkeit zu
schwitzen jedoch nur, wenn kein Fell die Luftzirkulation behindert. In dem Laufe
der Evolution verlor der Mensch deshalb weitgehend sein Körperhaar.
Die
Besiedelung kälterer Weltregionen wurde für den Frühmenschen in der Folge nur
durch die Erfindung schützender Kleidung möglich. Aber selbst unter klimatischen
Bedingungen, die einen Körperschutz durch Kleidung eigentlich unnötig machen,
entwickelten sich im Rahmen der kulturellen Entwicklung aus ethisch-religiösen
Motiven heraus typische Bekleidungsformen.
Warum muss unser Körper vor
Kälte geschützt werden?
Der Mensch ist wie alle Säugetiere ein Warmblüter,
dessen Temperatur (37°C) im Körperkern, also in Kopf und Rumpf, in recht engen
Grenzen konstant gehalten werden muss. Schon eine geringe Abweichung der
Kerntemperatur um 2°C nach oben oder unten kann im Körper zum Versagen wichtiger
Funktionen führen.
Durch die Organ- und Muskeltätigkeit wird im Körper
ständig eine wechselnde Menge von Wärme produziert, dieser "Leistungsumsatz"
wird in Watt angegeben. Um die Temperatur im Körperkern konstant zu halten,
müssen Wärmeproduktion und Wärmeabgabe des Menschen gleich groß sein. Dazu
bedarf es komplizierter Regelmechanismen. So wird z. B. durch die Verdunstung
von Schweiß auf der Haut dem Körper sehr effektiv Wärme entzogen. In kalter
Umgebung verringert der Körper die Durchblutung von Händen und Füßen und
reduziert so die Wärmeabgabe. Durch Kältezittern kann der Körper vermehrt Wärme
produzieren. Rund 90% der Wärmeenergie wird über die Haut und damit durch die
Kleidung abgegeben, nur rund 10% über die Atmung.
An der Körperoberfläche
herrscht eine größere Toleranz gegenüber Temperaturabweichungen. Am Rumpf, in
dem sich viele wichtige Organe empfinden, sind die tolerierten Abweichungen noch
am kleinsten. An Händen und Füßen akzeptieren wir hingegen
Temperaturabweichungen nach unten um 10°C und mehr.
Wie hält uns
Kleidung warm?
Es sind nicht die textilen Materialien der Kleidung, die uns
warm halten - sondern die von der Kleidung festgehaltene Luft: Aufgabe der
Kleidung ist es, für eine Luftschicht um den Körper herum zu sorgen, die als
Isolationsschicht gegenüber dem Umgebungsklima dient. Ähnlich wie bei einer
Thermoskanne, bei der ebenfalls Luft zwischen der Außen- und Innenwand als
Isolator dient, wird die vom Körper selbst erzeugte Wärme durch das Luftpolster
in der Kleidung am Körper gehalten. Jedes Fasermaterial, egal ob Wolle, Seide
oder Chemiefaser, hat eine mindestens zehnmal so hohe Wärmeleitfähigkeit wie
Luft. Nähme man statt Schafwolle für einen Pullover Stahlwolle, würde nur etwa
zehn Prozent der Wärmeisolation verloren gehen.
Entscheidend dafür, wie warm
wir ein Kleidungsstück empfinden, ist deshalb dessen Fähigkeit, Luft zwischen
den Fasern festzuhalten und den Austausch mit der Umgebungsluft zu unterdrücken.
Nach diesem Prinzip funktionieren in der Natur auch die Felle von Säugetieren
und das Gefieder von Vögeln.
Deshalb muss ein Kleidungsstück aber nicht nur
einen guten Wärmeisolationswert bieten, abhängig vom Einsatzbereich muss es auch
winddicht sein, damit das isolierende Luftpolster nicht zerstört wird. Außerdem
spielt die Konfektion, d. h. die Schnittgestaltung und Verarbeitung, eine große
Rolle: So verhindern elastische Gummibündchen zum Beispiel, dass durch die
Körperbewegungen ein übermäßiger Luftaustausch stattfindet, was den wärmenden
Effekt der Kleidung erhöht. (Verschließbare) Ventilationsöffnungen zum Beispiel
unter den Achseln helfen andererseits durch den Luftaustausch mit der Umgebung
überschüssige Wärmeenergie in Belastungssituationen nach außen
abzuleiten.
Und was passiert, wenn wir ins Schwitzen geraten?
Körperliche
Aktivität erhöht die Wärmeproduktion des Körpers. Damit dieser in der Folge
nicht überhitzt, kommen wir zum Beispiel beim Skifahren auch bei frostigen
Temperaturen ins Schwitzen. Über die Verdunstung des Schweißes auf der Haut wird
dem Körper überschüssige Wärme entzogen. Um dies zu ermöglichen, muss die
Feuchtigkeit aber auch entweichen können. Bei manchen Ski-Anzügen befinden sich
deshalb zum Beispiel unter den Achseln Lüftungsschlitze, die vom Träger bei
Bedarf geöffnet werden können. Moderne Membranmaterialien lassen zudem den
Schweißdampf nach außen entweichen, bieten aber einen effektiven Schutz gegen
Nässe und Wind.
Kann der Schweiß aber nicht vom Körper weggeleitet und an die
Umgebung abgegeben werden, sammelt er sich in den hautnahen Schichten der
Kleidung. Dies ist nicht nur unangenehm, sondern kann bei sinkendem Aktionsgrad
und damit reduzierter Wärmeproduktion sogar gesundheitsgefährdend werden. Da
Wasser ein hervorragender Wärmeleiter ist, geht die Körperwärme durch feuchte,
an der Haut anliegende Wäsche verloren und sorgt zusammen mit dem Energieentzug
durch die Verdampfung für ein starkes Auskühlen des Körpers. Den gleichen Effekt
können wir im Sommer beobachten, wenn die von feuchter Badekleidung bedeckte
Haut unangenehm kalt wird.
Wie unterscheidet sich moderne Winterkleidung von
der vor 50 Jahren?
Noch bis in die 1960er Jahre hinein wurden für Kleidung
fast ausschließlich Naturmaterialien wie Wolle, Baumwolle, Leinen, Leder und
Pelze verarbeitet. Zwar wurden bereits 1935 mit `Nylon´ von Dr.
Wallace Hume Carothers in den USA und 1938 mit `Perlon´ von Dr. Paul
Schlack in Berlin die ersten synthetische Textilfasern entwickelt. Den
Durchbruch schafften die Chemiefasern allerdings erst, als man gelernt hatte,
sie hinsichtlich der gewünschten Eigenschaften gezielt zu beeinflussen.
So
lässt sich durch die Einstellung der Fasersteifigkeit und besondere
Verarbeitungstechniken die Menge der eingeschlossenen Luft im Textil und damit
die Wärmeisolation steuern und maximieren. In Jacken oder Schlafsäcke
eingearbeitete Vliesmaterialien aus röhrenförmigen Hohlfasern mit hoher
Bauschkraft erreichen so Werte bei der Wärmeisolation, die an diejenigen von
Daunenfüllungen heranreichen. Da die Hohlfilamente relativ steif sind können sie
auch nicht so leicht zusammengedrückt werden und bewahren auch unter Belastung
ihr wärmendes Luftpolster.
Im Bereich des Regen- und Windschutzes haben sich
Membran-Systeme seit ihrer Einführung Ende der 1970er etabliert. Die Membranen
können aus unterschiedlichen Hightech-Materialien bestehen: Die Poren von
porösem Polytetrafluorethylen (Markenname: Teflon) zum Beispiel sind kleiner als
der kleinste Wassertropfen und lassen somit keinen Regen eindringen. Sie sind
aber größer als ein einzelnes Wassermolekül, so dass der gasförmige Schweiß nach
außen verdampfen kann. Auch aus speziellem Polyester oder Polyurethan werden
Membranen hergestellt, die ebenfalls Wassertropfen nicht nach innen aber
Schweißdampf nach außen lassen und den Wind effektiv abhalten. Einen guten
Schutz vor einem Regenguss und eisigen Winden bietet zwar auch der klassische
Friesennerz mit PVC- oder Polyurethan (PU) beschichtetem Baumwollgewebe - die
Atmungsaktivität ist hier jedoch gleich Null, weswegen der Träger nach kurzer
Zeit durch seinen eigenen Schweiß nass wird und unangenehm auskühlt.
1980
wurde die österreichische Damenmannschaft für die Winterolympiade in Lake Placid
mit der weltweit ersten zweischichtigen Unterwäsche ausgestattet, die zusammen
mit den Wissenschaftlern der Hohensteiner Institute in Bönnigheim entwickelt
worden war. Seither bieten die modernen Funktionstextilien Profis wie
Freizeitsportlern beim Wärme- und Feuchtemanagement klare Vorteile gegenüber
traditioneller Baumwollwäsche: Die auf der Haut aufliegenden Chemiefasern des so
genannten Double-Face-Materials leiten den Schweiß schnell und effektiv vom
Körper weg in die außen liegende Baumwolle. In Kombination bieten die beiden
Materialien durch das trockenere Gefühl am Körper einen deutlich besseren
Tragekomfort als Baumwollwäsche.
Die Entwicklungen sind in diesem Bereich
noch lange nicht am Ende angelangt. Auch an den Hohensteiner Instituten werden
ständig neue Materialkombinationen und -Modifikationen auf ihre Vorteile beim
Tragekomfort hin überprüft. Statt Baumwolle werden bei Double-Face-Materialien
heute u. a. moderne Regeneratfasern als Außenschicht verwendet. Durch eine
Modizifizierung der Faserfeinheit und des Faserprofils lässt sich die effektive
Faseroberfläche und damit der flüssige Schweißtransport maximieren. Eine
stufenweise Veränderung der Faser- und Garnfeinheit von der Textilinnenfläche
zur Außenfläche (Denier-Gradient) verbessert das Feuchtemanagement zusätzlich,
da durch die daraus resultierende Kapillarverengung die Feuchtigkeit besonders
effektiv von der Haut weggeleitet werden kann.
Wie sieht das ideale
Outfit für kaltes Wetter aus?
Die Allround-Bekleidung für jede Temperatur
wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben. Ziel der bekleidungsphysiologischen
Forschung ist es deshalb zu ermitteln, welche Kleidung für welchen Zweck und
Einsatzbereich angemessen ist und entsprechende Hinweise für den Träger zu
geben. Bei Schlafsäcken kann man das Ergebnis dieser Arbeit bereits hautnah
erleben: Dort wird nach einem normierten Verfahren der Temperaturbereich
ermittelt und am Produkt ausgewiesen, in dem dieses zum Einsatz kommen kann,
ohne dass sich der Nutzer unwohl fühlt oder gesundheitliche Schäden zu
befürchten sind. Auch bei Bettwaren lässt sich mit einem von den Hohensteiner
Instituten entwickelten System anhand einer Grafik die optimale Bettdecke,
abhängig von der Umgebungstemperatur und dem Körpergewicht des Schläfers,
ermitteln.
Bei Bekleidung ist, anders als bei Schlafsäcken und Bettdecken,
der Aktivitätsgrad und die damit verbundene unterschiedliche Wärmeproduktion des
Körpers zu berücksichtigen. Hier gilt es nach wie vor, bei kalter Witterung das
"Zwiebelschalenprinzip" anzuwenden, d. h. mehrere Kleidungsschichten
übereinander zu tragen, die nach Bedarf abgelegt werden können. Bei deren
Auswahl sollte man aber unbedingt die o. g. Überlegungen zum Wärme- und
Feuchtetransport im Auge behalten und die einzelnen Kleidungsstücke aufeinander
abstimmen, um ein optimales Wärme- und Feuchtemanagement sicherzustellen.
Wie
kann ich den Tragekomfort von Bekleidung im Laden beurteilen?
Selbst für den
Fachmann ist es schwierig, den Tragekomfort eines Kleidungsstückes allein anhand
des Augenscheins zu beurteilen. Die Aussagen der Hersteller sind zum Teil recht
blumig, aber untereinander kaum vergleichbar. Wer also wissen möchte, welcher
Skianzug gute Wärmeisolation bietet, beim Aprésski aber den Schweiß nicht in
Strömen fließen lässt oder welche Sportunterwäsche den Schweiß am besten
aufnimmt ohne unangenehm auf der Haut zu "kleben", ist auf eine objektive,
herstellerunabhängige Beurteilung angewiesen. Diese bietet die Tragekomfortnote,
wie sie von den Hohensteiner Instituten basierend auf einer Reihe von Messwerten
ermittelt wird. Die Tragekomfortnote, in der Regel in Verbindung mit dem
Hohensteiner Qualitätslabel am Produkt ausgewiesen, reicht von 1 "sehr gut" bis
6 "ungenügend". Sie deckt sowohl die thermophysiologischen Eigenschaften eines
textilen Materials ab, wie z. B. Wärmeisolation, Atmungsaktivität und
Feuchte-Management, als auch die hautsensorischen Aspekte des Tragekomfort, d.
h. ob die Textilien als angenehm weich und anschmiegsam empfunden werden oder im
Gegensatz dazu als unangenehm kratzend bzw. auf der schweißfeuchten Haut
anklebend. Für all diese Eigenschaften von Textilien haben die Hohensteiner
Wissenschaftler objektive Messmethoden entwickelt, deren Ergebnisse in die
Berechnung der Tragekomfortnote einfließen.
Was bei Kleidung für den Normalbürger freiwillig ist, ist bei Kälteschutzkleidung für den professionellen Einsatz (z. B. im Kühlhaus) heute schon Pflicht: Hier muss der Hersteller die Wärmeisolation prüfen lassen und das Ergebnis auf der Kleidung auszeichnen. Der Anwender kann dann anhand einer Tabelle, die in der dazugehörigen Norm angegeben ist, bestimmen, wie lange die Kleidung bei vorgegebener Arbeitsschwere und Umgebungstemperatur getragen werden kann.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.