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Quanten-Odyssee in der Ionenfalle

Archivmeldung vom 29.08.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.08.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
n einem Quantenirrgarten liegen alle Wege in einem Superpositionszustand vor und können daher gleichzeitig beschritten werden. Die als Folge der Überlagerung auftretenden Interferenzen führen zu seltsamen Phänomenen wie der Selbstbegegnung des Quantenwanderers. Mit diesen "Tricks" kann der Ausgang aus dem Irrgarten, z.B. die gesuchte Lösung eines Algorithmus oder auch die effizienteste Form von Energietransfer in Pflanzen, um ein Vielfaches schneller als auf klassische Weise gefunden werden. Bild: MPQ/ Tobias Schätz
n einem Quantenirrgarten liegen alle Wege in einem Superpositionszustand vor und können daher gleichzeitig beschritten werden. Die als Folge der Überlagerung auftretenden Interferenzen führen zu seltsamen Phänomenen wie der Selbstbegegnung des Quantenwanderers. Mit diesen "Tricks" kann der Ausgang aus dem Irrgarten, z.B. die gesuchte Lösung eines Algorithmus oder auch die effizienteste Form von Energietransfer in Pflanzen, um ein Vielfaches schneller als auf klassische Weise gefunden werden. Bild: MPQ/ Tobias Schätz

Viele klassische Rechenalgorithmen beinhalten sogenannte "random walks", bei denen mögliche Lösungswege nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Solche Algorithmen finden in einer Reihe von Gebieten eine Anwendung, z.B. in der Physik, Biologie, in den Wirtschaftswissenschaften oder sogar in der Psychologie.

Überträgt man "random walks" auf Quantensysteme, dann erübrigen sich solche Entscheidungsfindungen. Denn im Unterschied zum klassischen Verfahren liegen die in Frage kommenden Pfade in einem Superpositionszustand vor, sodass bei "Quantenwanderungen" alle gleichzeitig beschritten werden können. Die dabei auftretenden Interferenzen führen zu neuartigen Phänomenen: so kann der "Quantenwanderer" sich z.B. an manchen Kreuzungen selbst begegnen. "Quantum walks" könnten zum einen Rechenalgorithmen für Quantensysteme erheblich beschleunigen. Sie könnten aber auch dazu beitragen, den an mesoskopischen Systemen zu Tage tretenden Grenzbereich zwischen der klassischen und der quantenmechanischen Welt besser zu begreifen. Mit einem "proof-of-principle experiment" in einer elektromagnetischen Falle haben jetzt Dr. Tobias Schätz, Leiter der Nachwuchsgruppe "Quantensimulationen" am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, und seine Mitarbeiter erstmals deutlich den Unterschied zwischen der klassischen und der quantenmechanischen "Odyssee", mit einem Ion als Wanderer, demonstriert (Physical Review Letters, 28. August 2009).

Jedes Mal, wenn wir an eine Kreuzung kommen, müssen wir uns - vielleicht per Münzwurf - zwischen mehreren Wegen entscheiden. Nach mehreren Kreuzungen und Entscheidungen werden wir nur einige von vielen möglichen Pfaden gegangen sein. Dabei kann es vorkommen, dass manche Wege häufiger als andere beschritten werden.

Im Gegensatz dazu braucht sich ein "Quantenwanderer" nicht zu entscheiden, denn er hat gar keine Wahl. Beim jedem Münzwurf wird vielmehr eine Superposition von Kopf und Zahl erzeugt, sodass er allen Pfaden gleichzeitig folgen kann. Dabei kann es zu sonderbaren Situationen kommen, z.B. kann der Quantenwanderer, wenn Pfade an späteren Kreuzungen wieder aufeinanderstoßen, sich selbst begegnen. Aufgrund von Interferenzeffekten kann sich die Wahrscheinlichkeit dafür, an dieser Kreuzung zu sein, erhöhen, aber auch soweit verringern, dass er von dort gänzlich verschwindet.

In dem hier beschriebenen Experiment spielt ein einzelnes Magnesium-Ion, das in einer linearen elektromagnetischen Falle festgehalten wird, die Rolle des Quantenwanderers. Sein Bewegungsgrundzustand ist sozusagen die Ausgangsposition, von der aus es losmarschiert. Durch Einstrahlung von Radiofrequenz-Pulsen wird eine Überlagerung von zwei elektronischen Zuständen angeregt. Dieser Vorgang entspricht dem Münzwurf, durch den man eine Superposition von "linker" und "rechter" Wegentscheidung (Kopf und Zahl) erhält. Den notwendigen "Schubs", sich in Bewegung zu setzen, erhält das Ion durch ultraviolettes Licht einer genau abgestimmten Frequenz. Abhängig von seinem elektronischen Zustand wird das Ion von dem UV-Licht mal nach links und mal nach rechts gestoßen. Da die beiden elektronischen Zustände - Kopf und Zahl - in einem Überlagerungszustand vorliegen, werden auch die beiden Bewegungsmöglichkeiten des Ions - Schritt nach rechts und/oder Schritt nach links - überlagert. Bei der Quantenwanderung sind daher die beiden Münzwerte mit den beiden Bewegungsmöglichkeiten des Ions hochgradig verschränkt.

Die Vorgänge "Münzwurf" und "Positionswechsel" werden insgesamt drei Mal wiederholt, erst dann können Quanteneffekte sichtbar werden. Nach Beendigung dieser "Quantenevolution" wird gemessen, ob die Münze Kopf oder Zahl zeigt und auf welcher Position sich das Ion befindet. Dabei wird ausgenutzt, dass das Ion nur in einem der beiden "Münzzustände" Fluoreszenzlicht aussendet. Nach etwa tausend Messungen erhalten die Physiker so eine statistische Aussage darüber, wie häufig das Ion nach "rechts" oder "links" gegangen ist. Ihre Messdaten bestätigen die theoretische Vorhersage eines Ungleichgewichtes beider Richtungen, im Gegensatz zu dem, was man von einem klassischen System erwarten würde.

Die Gruppe von Tobias Schätz hat mit diesem Experiment, bei dem der Wanderer/das Ion alle Wege gleichzeitig gehen darf, deutlich die Unterschiede zum klassischen Gegenstück aufgedeckt: Die Quanteninterferenz verstärkt asymmetrische, nicht-klassische Verteilungen in den miteinander hochverschränkten Münzwurf- und Bewegungszuständen. Derzeit ist die Zahl der Wiederholungsschritte noch durch nichtlineare Effekte begrenzt. Die Wissenschaftler schlagen ein neues Konzept vor, mit dem sich die Quantenwanderung auf viele, im Prinzip sogar mehrere hundert Schritte ausdehnen lässt.

"Quantenwanderungen" könnten für eine Reihe von Anwendungen von fundamentalem Interesse sein. So lässt sich die Geschwindigkeit, den richtigen Weg zu finden, unter Umständen gewaltig steigern, wenn man nicht nach dem Zufallsprinzip einen nach dem anderen ausprobieren muss, sondern gleichzeitig alle beschreiten kann. Die Leistungsfähigkeit von Suchalgorithmen in der Informationsverarbeitung könnte dadurch erheblich gesteigert werden. Es gibt desweiteren Überlegungen, dass dieses quantenmechanische Verhalten auch für den Energietransfer in Pflanzen verantwortlich ist, der auf viele Wege verteilt weit effektiver verläuft, als mit klassischen Verfahren erreichbar wäre.

Quelle: Max-Planck-Institut für Quantenoptik [Olivia Meyer-Streng/Tobias Schätz]

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