Wie sich die Atmosphäre des heißesten bekannten Exoplaneten verflüchtigt
Archivmeldung vom 04.07.2018
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAstronomen haben beobachtet, wie sich die Atmosphäre des heißesten bekannten Exoplaneten, des heißen Jupiter-ähnlichen Planeten KELT-9b, allmählich verflüchtigt. Das abströmende Gas wird vom Zentralstern eingefangen. Fei Yan und Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg konnten mit dem CARMENES-Instrument am Calar-Alto-Observatorium die Wasserstoffatmosphäre des Planeten nachweisen. Ihre Beobachtungen deuten auf eine ausgedehnte Wasserstoffhülle hin, die in Richtung des Zentralsterns gezogen wird.
Der Exoplanet KELT-9b verdient das Attribut "höllisch": Aufgrund seiner Nähe zu einem extrem heißen Zentralstern ist er der heißeste Exoplanet, der je entdeckt wurde. Jetzt haben Fei Yan und Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie festgestellt, dass der Stern die Wasserstoffatmosphäre des Planeten nicht nur stark aufheizt, sondern auch seine Schwerkraft nutzt, um den Wasserstoff auf sich selbst zu ziehen.
Konkret ist der Zentralstern KELT-9 ein extrem heißer Stern mit einer Temperatur von bis zu 10.000 K (im Vergleich zu den viel bescheideneren 5800 K, entsprechend 5500 Grad Celsius, der Sonne). Die Umlaufbahn des Planeten um den Stern ist sehr klein, nämlich zehnmal kleiner als die Umlaufbahn des Merkurs in unserem Sonnensystem (das entspricht etwa 3% des Durchmessers der Erdumlaufbahn um die Sonne). Als der Planet KELT-9b im Jahre 2017 von einem Team von Astronomen unter der Leitung von B. Scott Gaudi (Ohio State University) entdeckt wurde, maßen die Astronomen für seine dem Stern zugewandte Tagseite eine Temperatur von 4600 K (4300 Grad Celsius). Das ist nicht nur heißer als alle anderen Exoplaneten, sondern sogar heißer als zahlreiche Sterne!
Der Planet selbst ist eine deutlich größere Version des Jupiters unseres Sonnensystems. Seine Masse ist fast dreimal so groß wie die des Jupiters, und sein Durchmesser ist fast doppelt so groß. Mit diesen Eigenschaften gehört KELT-9b zu den Planeten, die Astronomen als "heiße Jupiter" bezeichnen.
Auf der Umlaufbahn von KELT-9b steht der Planet von der Erde aus gesehen regelmäßig direkt vor seinem Zentralstern. Bei jedem solchen Transit schattet der Planet einen Teil des Sternenlichts ab. Von der Erde aus erscheint der Stern dann jeweils ein wenig lichtschwächer als sonst. Genau über diesen Effekt wurde KELT-9b erstmals nachgewiesen (sogenannte Transitmethode).
Als Yan und Henning KELT-9b mit dem CARMENES-Spektrographen am 3,5-Meter-Teleskop des Calar Alto Observatoriums beobachteten, fanden sie Spuren der Atmosphäre des Planeten: Wann immer der Planet vor seinem Stern stand, gab es eine deutliche Absorptionslinie für Wasserstoff (Hα), also einen eng begrenzten Wellenlängenbereich, in dem die wasserstoffreiche Atmosphäre des Planeten einen Teil des hellen Lichts des Zentralsterns absorbiert. CARMENES bietet eine besonders detaillierte, hochauflösende Ansicht des Sternspektrums und ist damit für diese Art von Beobachtung besonders gut geeignet.
Die Wasserstoffatmosphäre um KELT-9b besitzt eine überraschend große Ausdehnung – ihre Dicke entspricht mehr als der Hälfte des Radius des Planeten. Modelle dafür, wie die Schwerkraft des Sterns auf das Gas des Planeten wirkt, zeigen, dass die Atmosphäre so ausgedehnt ist wie überhaupt nur möglich – Gas, das noch weiter entfernt vom Planeten ist, wird vom Planeten ab- und direkt auf den Stern gezogen. Die große Ausdehnung führt dazu, dass der Planet Wasserstoffgas mit einer beachtlichen Rate von mehr als 100.000 Tonnen Wasserstoff pro Sekunde verliert. Der Stern heizt die Atmosphäre auf und zieht das aufsteigende Gas auf sich selbst, in einem eklatanten Fall von kosmischem Diebstahl.
Die Art und Weise, wie sich die Wellenlänge der Absorptionslinie während des Transits ändert, zeigt direkt die Bewegung des Planeten: Die Wellenlängenverschiebung ist auf den Dopplereffekt zurückzuführen und sagt uns daher, wie schnell sich der Planet auf uns zu oder von uns weg bewegt. Fei Yan, Erstautor der Studie, sagt: "Diese Art von Messung ist etwas ganz besonderes. Bislang ist es nur für ein halbes Dutzend Exoplaneten gelungen, auf diese Art direkt die Bewegung des Planeten zu messen."
Thomas Henning, Direktor am MPIA und Mitautor der Studie, sagt: "Dieser Planet erinnert mich an den mythischen Ikarus, der sich der Sonne näherte und abstürzte. Unser Planet wird nicht abstürzen, aber er wird sicherlich einen wesentlichen Teil von sich selbst verlieren, nämlich seine Atmosphäre."
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie (idw)