Neues magnetisches Kühlverfahren für Gase
Archivmeldung vom 30.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKühlt man Materie nahe an den absoluten Nullpunkt, so tritt deren Quantennatur zu Tage. Manche Atome, so genannte Bosonen, gehen dann in einen neuen Aggregatzustand über, sie formen ein Bose-Einstein-Kondensat. Experimente mit solchen Bose-Einstein-Kondensaten gewähren einen Einblick in die Quantenwelt und sind daher ideale Forschungsobjekte für die Grundlagenforschung.
Um zu solchen ultrakalten Temperaturen zu gelangen, waren Physiker bisher auf
die verlustreiche Verdampfungskühlung angewiesen: Wie bei erkaltendem Kaffee
verlassen dabei die heißesten Atome die Wolke, wodurch der Rest zwar kälter,
aber auch weniger wird.
Am 5. Physikalischen Institut der Universität
Stuttgart wurde nun ein bereits in den 50er-Jahren vorgeschlagenes Kühlschema
erstmals experimentell realisiert, bei dem es zu keinem Atomverlust kommt und
das somit wesentlich effizienter arbeitet. Die Forschungsarbeiten, über die auch
die renommierte Wissenschaftszeitschrift nature physics in ihrer jüngsten
Ausgabe berichtete*, sind Teil des transregionalen Sonderforschungsbereichs
SFB/TR 21, in dem die Universität Stuttgart Sprecherhochschule
ist.
Temperatur ist ein Maß für Bewegungsenergie. Heiß bedeutet eine
Zitterbewegung mit großer Amplitude, kalt eine mit kleiner. Hat ein System zwei
unabhängige Bewegungsarten, so kann die Temperatur für beide Arten
unterschiedlich sein. Ein Beispiel hierfür ist die Bewegung kleiner Magnete in
einem Magnetfeld, wie sie beispielsweise von Kompassnadeln bekannt sind. Jeder
Magnet kann sich einerseits mit seinem Schwerpunkt im Raum bewegen. Andererseits
kann die Orientierung der Magnete relativ zur Richtung des Magnetfelds zittern.
Beide Freiheitsgrade können eine unterschiedliche Temperatur haben. So können
die Magnete zum Beispiel alle parallel ausgerichtet, also in ihrer Orientierung
sehr kalt sein und sich trotzdem sehr schnell bewegen und deshalb in ihrer
Schwerpunktbewegung heiß sein. Wenn die Magnete aneinander stoßen, kommen die
Temperatur der Bewegung mit der Temperatur der Orientierung ins Gleichgewicht.
Im Beispiel wird sich die Temperatur der Orientierung erhöhen und die Temperatur
der Bewegung reduzieren, bis beide dieselbe Temperatur haben. Kühlt man also die
eine Form der thermischen Energie, hier das Orientierungszittern, kann damit
auch die andere Form der Energie kühlen.
Entscheidender
Trick
Feste Stoffe werden seit über 70 Jahren nach diesem Prinzip
gekühlt. Für Gase konnte diese Technik jedoch nicht angewandt werden, da viele
Atome nicht magnetisch genug sind. In diesem Jahr gelang es der Gruppe um Prof.
Tilman Pfau am 5. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart erstmals,
dieses Entmagnetisierungskühlverfahren auf atomare Gase anzuwenden. Im
Experiment konnten eine Million Chromatome auf eine Temperatur von zehn
Mikrokelvin (das sind zehn Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt)
abgekühlt werden. Möglich wurde dies, da die Stuttgarter Physiker mit Chromgas
arbeiten, einer besonders magnetischen Atomsorte. Im Jahr 2005 gelang den
Stuttgarter Wissenschaftler erstmals die Erzeugung eines
Bose-Einstein-Kondensats aus Chrom-Atomen.
Der entscheidende Trick bei
diesem Kühlverfahren ist, dass sich die Temperatur der atomaren Magnete durch
"optisches Pumpen" mit Laserlicht immer wieder "künstlich" abkühlen lässt. Der
Pionier des "optischen Pumpens" - der französische Nobelpreisträger Alfred
Kastler - hat darin schon 1950 das Potential zur Kühlung anderer Bewegungsarten
erkannt. Nach über 55 Jahren ist seine Idee nun umgesetzt worden.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.