Werbung im Tarnanzug - Warum Unternehmen auf neue Werbeformen setzen
Archivmeldung vom 19.09.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.09.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWerbung nervt. Schuld daran ist weniger die Reklame selbst, sondern vielmehr der von den Unternehmen veranstaltete Werbeterror. 50 Mal die gleiche Werbebotschaft an einem Tag, jeden Tag, jede Woche - das nervt. Der tägliche Dauerbeschuss summiert sich mittlerweile auf rund 3000 Werbebotschaften am Tag.
Die
Zahl der Kontakte, die bewusst wahrgenommen werden und in Erinnerung
bleiben, tendiert hingegen zum Nullpunkt. Kostenpunkt: Über 30
Milliarden Euro werden Unternehmen in diesem Jahr laut Zentralverband
der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) für Werbung ausgegeben.
Bei einer repräsentativen Umfrage des Magazins "Horizont" gaben 72
Prozent der Befragten an, dass die ständige Präsenz der Werbung
nervt. Druck erzeugt Gegendruck - oder panischen Rückzug: In der
französischen Bevölkerung hat sich bereits ein Widerstand gegen die
Reizüberflutung durch Werbung formiert. Aktivisten verabreden sich
regelmäßig und reißen Werbeplakate in den Haltestellen der Metro
herunter oder verschmieren sie bis zur Unkenntlichkeit. In Wien wurde
ein ganzer Straßenzug für zwei Wochen von jeglicher Werbung befreit:
Sämtliche Firmenschilder und -logos, Leuchtreklame und Anzeigetafeln
wurden mit gelben Folien und Stoffen abgedeckt. Das Projekt namens
"Delete!" sollte als künstlerisches Statement zu der immer wieder neu
angefachten Diskussion über Werbung im öffentlichen Raum verstanden
werden.
Um mit unerwünschter TV-Werbung erst gar nicht konfrontiert zu
werden, kann man mittlerweile auf Digitalrecorder zurückgreifen, die
die Werbepausen einfach ausblenden. Mit ihnen ist es möglich, einen
Film oder eine Sendung aufzunehmen und zugleich zeitversetzt
anzuschauen - ganz ohne die lästigen Werbeblöcke.
Die zunehmend ablehnende Haltung der Konsumenten und die damit
einhergehende sinkende Werbewirkung lässt die Unternehmen nach neuen
Wegen zum Kunden suchen. Im Trend sind Werbeformen, die subtiler
daherkommen, besser wirken und: nicht nerven. Im Idealfall, so das
Kalkül der Unternehmen, ist Werbung künftig als solche nicht mehr
erkennbar. Und erzeugt einen Sog statt Druck.
Das so genannte Product Placement etwa gewinnt zunehmend an
Bedeutung. In den USA scheint diese Form der Werbung in Filmen,
Sendungen und TV-Serien fast wichtiger zu werden als die Werbeblöcke
dazwischen. Zunehmend findet TV-Reklame dort statt, wo sie nicht
ausgeblendet werden kann - direkt im Beitrag. Idealerweise fügt sich
das Produkt wie selbstverständlich in die Handlung ein und wird so zu
einem Teil derselben - gut sichtbar, aber nicht zu prominent. Ohne zu
nerven. Ein Klassiker in Sachen Product Placement ist der Auftritt
des Nobel-Autoherstellers Aston Martin im Agentenstreifen "James
Bond". In dem Thriller "The Da Vinci Code - Sakrileg" rast Tom Hanks
in einem Smart durch Paris. Damit hat der Böblinger
Kleinwagenhersteller in diesem Jahr bereits seinen zweiten großen
Auftritt auf der Kinoleinwand. Im Remake des Klassikers "Der rosarote
Panther" war das Auto bereits als Dienstwagen von Inspektor Clouseau
im Einsatz. 60 Prozent seines Werbebudgets gibt Smart mittlerweile
für Formate abseits der klassischen Reklame aus. Volkswagen hat mit
NBC Universal gleich einen 200-Millionen-Euro-Vertrag über Product
Placement abgeschlossen. Er garantiert den Wolfsburgern für drei
Jahre, dass ihre Marken VW, Audi, Skoda, Lamborghini und Bentley in
Filmen der Universal Studios zu sehen sind. Und Gillette ließ Anfang
des Jahres in der amerikanischen Fernsehsendung "The Apprentice"
("Der Lehrling") mit Moderator Donald Trump seinen neuen Rasierer
"Fusion" groß in Szene setzen. Dabei mussten die Kandidaten
beispielsweise während der Show Passanten über die Vorzüge des Geräts
aufklären. Nach einem Bericht der Tageszeitung "Die Welt" soll das
Unternehmen für die einstündige Produktplatzierung in der Show fünf
Millionen Dollar gezahlt haben.
Eine weitere Form der subtilen Werbung ist das Verbal Placement,
bei dem der Markenname im Dialog erwähnt wird, oder das Visual
Placement, bei dem das Logo zu sehen ist. Die Fastfood-Kette
McDonald´s zahlt beispielsweise Geld für die Erwähnung des Wortes
"Big Mac" in Popsongs. Künstler, die das Sandwich in ihren Texten
unterbringen, erhalten zwischen 1 und 5 Dollar - jedes Mal, wenn der
Song im Radio läuft. Weit verbreitet ist auch On-Set Placement, wo im
Hintergrund für die Handlung unwichtige Produkte platziert werden und
dadurch unbewusst wahrgenommen werden. Der neueste Trend allerdings
ist virtuelles Product Placement. Dank 3-D-Technik werden Produkte
nachträglich digital in das Programm eingefügt. Damit kann auch
aktuelle Schleichwerbung in Wiederholungen alter Sendungen
nachträglich eingebaut werden. Lassie könnte dann in künftigen
Wiederholungen plötzlich aus einem Retro-Hundenapf von Frolic
fressen. Auf insgesamt 2,4 Milliarden Dollar schätzt die
Medienforschungsfirma PQ Media den Wert von Product Placement im
US-Fernsehen im vergangenen Jahr.
Was in den USA völlig legal ist, befindet sich hierzulande in
einer rechtlichen Grauzone. Product Placement - oder auch
Schleichwerbung genannt - ist im deutschen Fernsehen nur zulässig,
wenn es "dramaturgisch notwendig ist", heißt es in der entsprechenden
Fernsehrichtlinie. Die aber soll nach dem Willen der EU-Kommissarin
Viviane Reding liberalisiert werden. Mehrere Ausschüsse des
EU-Parlaments überarbeiten derzeit die bisherige Richtlinie. Als
Argument für die Novellierung des Gesetzes führen die Brüsseler
Bürokraten an, dass durch die Verbreitung von amerikanischen Filmen
und Serien in Europa Product Placement ohnehin Einzug in die
deutschen Wohnzimmer hält.
Noch besser tarnen - und dies völlig legal - lässt sich Werbung
indes, wenn man es schafft, dass der Konsument selbst zum
Werbebotschafter wird. Die Vorteile: Kaum eine andere Form der
Werbung ist glaubwürdiger als die Empfehlung oder der Rat eines
Familienangehörigen, Freundes oder Bekannten. Einer Studie der
Wiesbadener Unternehmensberatung Marketing Partner zufolge haben 90
Prozent der Befragten bei einer Kaufentscheidung schon mal Freunde
oder Bekannte um Rat gebeten. Ein Hauptgrund für 63 Prozent der
Konsumenten: von Erfahrungen profitieren, um beispielsweise Fehlkäufe
zu vermeiden.
Unternehmen machen sich diese Erkenntnisse neuerdings verstärkt
zunutze und lassen Kampagnen konzipieren, die auf das Weitererzählen
und Weiterempfehlen durch die Konsumenten abzielen. Dabei bedienen
sie sich des Phänomens der Mundpropaganda, um ihre Werbe- und
Produktbotschaften glaubwürdiger zu verbreiten. Eines der
bekanntesten Beispiele hierfür lieferte der E-Mail-Dienstleister
Hotmail.com. Das Unternehmen war eines der ersten, die ihren Kunden
einen kostenlosen E-Mail-Dienst anboten. Diesen bewarb das
Unternehmen, indem jeder über Hotmail versandten E-Mail ein Link
hinzugefügt wurde mit dem Slogan "Get your free email at Hotmail".
Die Nutzer des E-Mail-Dienstes wurden somit automatisch zu Werbern
für das Unternehmen. Auf diese Weise konnte Hotmail für seine
werbefinanzierten Services bereits nach anderthalb Jahren über 12
Millionen Abonnenten verzeichnen. Vom Start im Jahre 1996 bis zum
zwölfmillionsten Nutzer gab Hotmail weniger als eine halbe Million
US-Dollar für Werbung und Marketing aus. Juno, ein Wettbewerber von
Hotmail aus Kalifornien, investierte 20 Millionen US-Dollar und
gewann nur einen Bruchteil der Hotmail-Mitgliederzahl als Kunden.
1998 wurde Hotmail für mehr als 300 Millionen US-Dollar an das
Softwareunternehmen Microsoft verkauft.
Um Mundpropaganda nicht dem Zufall zu überlassen, sondern vielmehr
zu institutionalisieren, hat der amerikanische Konsumgüterhersteller
Procter & Gamble bereits 2001 eigens die Firma Tremor gegründet. Das
Unternehmen hat inzwischen knapp 300 000 Jugendliche als
Multiplikatoren, so genannte Connectors, rekrutiert, die neue
Produkte testen und weiterempfehlen. Tremor gibt an, bei derartigen
Kampagnen Absatzsteigerungen von 10 bis 30 Prozent zu erreichen.
Inzwischen greifen auch andere Unternehmen wie Toyota, Sony oder
Coca-Cola auf die Tochterfirma von Procter & Gamble zurück.
Auch die Agentur BzzAgent aus Boston hat ein ganzes Netz von
Agenten aufgebaut, deren Aufgabe es ist, Produkte oder
Dienstleistungen im Freundeskreis anzupreisen. Die 2001 gegründete
Agentur kann für Marketing-Kampagnen mittlerweile auf rund 51 000
Mundpropagandisten zurückgreifen. Die Nachfrage ist so enorm, dass
bereits ein Ableger in London geplant ist.
Und wenn Sie in letzter Zeit ein Freund mit einem Smart Roadster
besucht haben sollte, um Ihnen voller Begeisterung dessen Vorzüge zu
präsentieren, und Sie eingeladen hat, selbst eine kleine Spritztour
mit dem Wagen zu machen, dann könnte es sein, dass er einer von rund
10 000 Mitgliedern der Firma trnd aus München ist und in deren
Auftrag Mundpropaganda betreibt. trnd steht für "the real network
dialogue". Die Firma bezeichnet sich selbst als der
Mundpropaganda-Marketing-Pionier im deutschsprachigen Raum. Neben
Smart haben bereits Payback, die Kombucha-Marke Carpe Diem und Simyo,
die Billigmarke von E-Plus, die Dienste der Münchner in Anspruch
genommen.
Dass Unternehmen künftig weniger auf nervende Werbung und mehr auf authentische Kommunikation setzen, die beim Konsumenten besser ankommt und mithin auch besser wirkt, ist durchaus legitim. Gefahr besteht jedoch, wenn versucht wird, private Beziehungsnetze zu kommerzialisieren oder gar zu manipulieren - dies könnte sich schnell als Bumerang erweisen", so das Fazit von Joachim Ramelow, Vorstand der auf Absatzsteigerung spezialisierten Unternehmensberatung Marketing Partner aus Wiesbaden.
Quelle: Pressemitteilung MP Marketing Partner AG