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Umsatzsteuersenkung - ein Luftschloss?

Archivmeldung vom 07.10.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.10.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Kay Manke, Partner bei BearingPoint Bild: "obs/BearingPoint GmbH"
Kay Manke, Partner bei BearingPoint Bild: "obs/BearingPoint GmbH"

BearingPoint und das Handelsblatt Research Institute beleuchten in ihrer neuesten Publikation die Auswirkungen der Umsatzsteuersenkung auf die deutsche Wirtschaft und zeigen, wie stark Wunsch und Wirklichkeit bei der geplanten Konjunkturbelebung auseinanderliegen.

Als ein wichtiges Instrument zur Abfederung der negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf Wirtschaft und Gesellschaft hat die Bundesregierung in ihrem 130 Milliarden schweren Konjunkturprogramm die Senkung der Umsatzsteuer von 19 auf 16 beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent beschlossen. Der neue Steuersatz gilt seit dem 1. Juli 2020 für 6 Monate, doch die dadurch erhofften Positiv-Effekte stellen sich kaum ein, wie BearingPoint und das Handelsblatt Research Institute in ihrer neuen Analyse zu den Wirkungen der Umsatzsteuersenkung zeigen.

Umsatzsteuersenkung - ein Luftschloss der Bundesregierung?

Eigentlich will die Bundesregierung mit der für den Staat teuren Umsatzsteuersenkung - es drohen weit über 30 Milliarden Euro Minus - den Konsum ankurbeln und gleichzeitig Unternehmen wie Mittelständler entlasten. Doch ob der Konsum in Folge der Maßnahme zunimmt, hängt stark davon ab, in welchem Umfang die Unternehmen die Steuerentlastung in Form geringerer Preise an die Konsumenten weitergeben. Aktuelle Zahlen aus der Analyse der Management- und Technologieberatung BearingPoint und des Handelsblatt Research Institutes zeigen, dass der Plan der Bundesregierung wohl nicht so wie erwartet aufgehen wird.

Steuerausfälle kommen nur zum Teil bei den Verbrauchern an

Wichtige Wirtschaftszweige geben die Senkung der Umsatzsteuer kaum bis gar nicht an ihre Kunden weiter. So senkten offenbar die meisten Gastronomen ihre Preise nicht. Viele Dienstleister und Onlinehändler geben die Steuersenkung ebenfalls nicht (voll) an die Verbraucher weiter. Die Preissenkungen im Einzelhandel variieren faktisch je nach Region und Handelssegment. In der Folge werden die mit der Umsatzsteuersenkung verbundenen Steuerausfälle nicht adäquat in Form von Realeinkommenssteigerungen bei den privaten Haushalten ankommen.

Verbraucher nicht so konsumfreudig, wie angenommen

Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK wollen nur etwa 30 Prozent der Verbraucher aufgrund der temporären Senkung der Umsatzsteuer Neuanschaffungen vorziehen. Während jüngere Menschen planen, Ausgaben zu tätigen, sind Konsumenten ab 50 Jahren eher zögerlich. Für BearingPoint und das Handelsblatt Research Institute ist es unwahrscheinlich, dass die Umsatzsteuersenkung die Konsumlust langfristig im erhofften Maße ankurbelt.

Kay Manke, Partner bei BearingPoint: "Die Senkung der Umsatzsteuer ist zwar ein gut gemeintes Signal der Bundesregierung, doch die gewünschten Konjunktureffekte sind bisher enttäuschend. Die Ankurbelung der Binnennachfrage wird jedenfalls deutlich niedriger ausfallen als erwartet und der Handel profitiert aufgrund der zusätzlichen operativen und finanziellen Aufwände nur bedingt. Und da einige Branchen die Umsatzsteuersenkung nicht an ihre Kunden weitergeben, verpufft ein großer Teil des Konjunkturprogramms, da die Verbraucher kaum entlastet werden."

Hohe Aufwände bei Ausweisung, Buchhaltung und Rechnungsstellung

Für Einzelhandelsunternehmen ist der Entlastungseffekt kaum spürbar. Die Steuersenkung bringt zudem hohe Aufwände mit sich, denn in den Abrechnungs- und Kassensystemen müssen die Steuersätze umgestellt werden. Kassenbons sollen die neuen Zahlen ausweisen, Preisschilder müssen verändert und Werbung neugestaltet werden. Die zweifache Änderung der Steuersätze verursacht Extrakosten, weil Rechnungsstellungen und die gesamte Buchhaltung entsprechend angepasst werden müssen.

Steuersenkung hat im Lebensmitteleinzelhandel neuen Preiskampf ausgelöst

Starke Unterschiede im Umgang mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Umsatzsteuersenkung waren besonders zwischen den Bereichen Food und Non-Food zu beobachten. Grund dafür ist der seit Jahren hohe Konkurrenzkampf im Lebensmitteleinzelhandel. Die temporäre Steuersenkung hat den Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandel noch weiter verschärft. Mit den zusätzlich ausgelösten Rabattschlachten drohen wichtige Themen wie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung an Bedeutung zu verlieren.

Onlinehandel großer Gewinner der Steuersenkung

Großer Gewinner der Steuersenkung ist ausgerechnet der Onlinehandel, der eigentlich keine Unterstützung benötigt. Denn während der Corona-bedingten Schließungen der stationären Geschäfte hat die seit Jahren zunehmende Verlagerung des Konsums zum Onlinehandel noch einmal einen zusätzlichen Schub von 11 Prozent Umsatzzuwachs in 2020 erfahren. Den ganz besonders von der Corona-Krise betroffenen Branchen, wie etwa der Tourismusbranche oder dem Veranstaltungsgewerbe, dürfte eine leichte Preissenkung hingegen kaum helfen aus der Krise zu kommen, denn hier fehlt schlicht die Nachfrage.

Kritik vom Bundesrechnungshof, Steuerberatern und Verbraucherschützern

Der Bundesrechnungshof kritisiert die Steuersenkung aufgrund der drohenden Mitnahmeeffekte und der mangelnden Zielgenauigkeit der teuren Maßnahme: Der Bund könne die Unternehmen durch direkte Hilfen zielgenauer und mit weniger Mitteleinsatz unterstützen. Die Steuerberater warnen zudem vor vielen anstehenden Korrekturen von massenhaft falschen Buchungen und Belegen, da die Vorbereitungszeit auf die Umsatzsteuersenkung einfach zu kurz gewesen sei. Kritisch sind auch die Verbraucherzentralen, da nicht mit einer spürbaren Entlastung durch diese Maßnahme zu rechnen sei.

Dr. Sven Jung, Head of Economic Intelligence beim Handelsblatt Research Institute: "Ein einmaliges Helikoptergeld in Höhe von 240 Euro für jeden Bürger hätte mehr bewirkt als die temporäre und für den Staat teure Umsatzsteuersenkung. Denn man müsste in einem halben Jahr rund 10.000 Euro umsatzsteuerpflichtig konsumieren, um rechnerisch um jene 240 Euro entlastet zu werden."

Quelle: BearingPoint GmbH (ots)

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