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Wirtschaftstaatssekretär Dr. Walther Otremba im Interview: "Der Staat darf Pleiten nicht verhindern"

Archivmeldung vom 06.03.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.03.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Weltweit werden immer neue Milliardenpakete geschnürt, um die Konjunktur zu stützen und strauchelnde Finanz- und Industriekonzerne zu retten. Hat der Markt versagt? Muss der Staat intervenieren? Dr. Walther Otremba, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, hält vorübergehende Eingriffe des Staates in die Wirtschaft für richtig und wichtig, aber nur in Einzelfällen.

Können Sie alle zehn Vornamen von Wirtschaftsminister zu Guttenberg herunterbeten?

Dr. Walther Otremba: Nein, das wird uns auch nicht abverlangt.

Was hat sich für Sie verändert unter ihrem neuen Chef Karl-Theodor zu Guttenberg?

Otremba: Relativ wenig. Es wird weiter an allen Fronten für Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung gekämpft.

Die Rettung der Hypo Real Estate hat bereits rund 100 Milliarden Euro gekostet -- pro Bundesbürger mehr als 1000 Euro. War es im Rückblick falsch, die Bank retten zu wollen?

Otremba: Dazu zweierlei: Erst einmal hat uns das ja nicht 100 Milliarden Euro gekostet, sondern wir stellen bisher Bürgschaften von rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn das alles funktioniert, werden die Steuerzahler wahrscheinlich keine Lasten zu tragen haben, da Ausfälle nicht erwartet werden. Zweitens war dieses Engagement des Staates unvermeidbar, da der Zusammenbruch einer Bank mit einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro mit Sicherheit andere Banken, die der HRE Gelder geliehen haben, mit in den Abgrund gerissen hätte. Das wäre für die deutsche Volkswirtschaft sehr viel teurer geworden.

Namhafte Ökonomen und Politiker sind der Ansicht, man hätte die HRE besser den Bach runtergehen lassen sollen, um künftigen Fehlentwicklungen in der Branche vorzubeugen...

Otremba: Vor der Lehman-Pleite hätte ich diese Ansicht vielleicht auch unterstützt. Inzwischen sind wir ein ganzes Stück klüger geworden. Die ganze Bankenkrise wäre wesentlich sanfter verlaufen, wenn die Amerikaner Lehman nicht in die Insolvenz gehen lassen hätten. Insofern meine ich, dass zu dem eingeschlagenen Weg keine Alternative bestand.

Satte Boni auch für das Katastrophenjahr 2008 -- warum soll der Steuerzahler für die Verfehlungen der Banken aufkommen?

Otremba: Wir haben im Finanzmarktstabilisierungsgesetz strikte Regelungen für künftige Bonuszahlungen festgeschrieben. Das heißt, in Zukunft wird es bei Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, umfangreiche Regeln geben, die extrem hohe Gehälter oder Boni verhindern. Für vertragliche Regelungen in der Vergangenheit, die jetzt noch zur Auszahlung kommen, können wir rückwirkend keine Regelungen schaffen, die das verbieten. Wir appellieren allerdings an die Banker, die noch in der Verantwortung stehen, auf solche Zahlungen zu verzichten, weil sie natürlich auch in starkem Umfang profitieren von öffentlichen Zahlungen.

Diese Verträge wären ohne die massiven staatlichen Hilfen wenig wert...

Otremba: Das ist richtig. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, und wir können natürlich ohne gesetzliche Änderungen in solche Verträge nicht eingreifen.

Die Landesbanken zeigen: Der Staat hat zwar Geld, ist aber kein guter Banker. Kann der Staat die Reorganisation der HRE überhaupt leisten?

Otremba: Das will die Bundesregierung auch nicht. Der Staat will lediglich die Oberaufsicht haben, bis das Institut wieder allein lebensfähig ist. Die Umstrukturierung wird selbstverständlich auch von Bankmanagern konkret gestaltet -- von solchen, in die wir noch Vertrauen haben, die gibt es auch noch. Die betroffenen Banken müssen so schnell wie möglich restrukturiert und wieder in private Hände zurückgegeben werden.

Wie muss nach der Nothilfe der Systemwechsel aussehen, damit die reprivatisierten Banken nach dem Rückzug des Staates nicht dieselben Fehler noch einmal machen?

Otremba: Wir müssen einerseits bestimmte Regelmechanismen anpassen, insbesondere die Auslagerung von Risiken verhindern. Wir müssen aber andererseits auch als Staaten -- und damit meine ich jetzt weniger uns als die Amerikaner -- die Versuchung einschränken, durch übermäßige Liquidität zu gewagten Finanzkonstruktionen beizutragen.

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn fordert eine höhere Eigenkapitalquote, also eine Verschärfung von Basel II.

Otremba: Das kann ein Teilelement sein. Aber bei dem Bedarf an Eigenkapital, den wir im Moment beobachten, hätten auch etwas höhere Quoten die Risiken der aktuellen Krise wahrscheinlich nicht verhindern können.

Jahrzehntelang galt in der Wirtschaftpolitik: Weniger Regeln, weniger Steuern, mehr Wettbewerb. Hat der freie Markt versagt? Muss der Staat jetzt eingreifen, weil er vorher zu wenig und schlecht reguliert hat?

Otremba: Ich glaube eher, dass die Regulierung in manchen Bereichen Fehlentwicklungen noch befördert hat. Die Regulierung hat ja zum Beispiel dazu beigetragen, dass man versucht hat, höhere Renditen zu erzielen, indem man Risiken ausgelagert hat. Auch wenn man jetzt einzelne Regeln anpassen muss, ist die Regulierung mit Sicherheit kein Allheilmittel. Wichtiger ist vielmehr, dass man keine falschen Anreize setzt.

Ist die HRE ein Einzellfall oder werden noch weitere folgen?

Otremba: Aus derzeitiger Sicht ist die Hypo Real Estate der einzige Fall in dieser Größenordnung. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass in kleineren Banken noch Probleme auftreten, die aber nicht die systemische Gefahr darstellen wie die HRE.

Mit der Schuldenbremse legen sich Bund und Länder selbst an die Kette. Berauben sie sich damit nicht ihrer Handlungsfähigkeit? Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt statt einer Schulden- eine Steuersenkungsbremse vor...

Otremba: Die Schuldenbremse wird auf Dauer nicht die Handlungsspielräume einschränken, sondern eher erhöhen, denn langfristig ist das Geschäft Schulden gegen Zinslast kein positives für den Staat. Das heißt, durch die höheren Zinsen verliert der Staat immer mehr Spielräume.

Ein Unternehmen, das investieren und expandieren will, tut dies mit Hilfe von Krediten, sofern die Rendite langfristig höher ist als die Zinslast. Schulden sind doch nicht per se etwas Schlechtes...

Otremba: Das ist im Prinzip richtig. Aber für den Staat gelten diese Regeln nur bedingt, weil es keinen direkten Konnex gibt zwischen Schuldenaufnahme, Zinsen und Erträgen. Mit Schulden werden oft auch rein konsumtive Ausgaben finanziert oder auch Investitionen, die keinen hohen Wachstumsbeitrag leisten. Insofern lehrt die Vergangenheit, dass die Schuldenaufnahme die staatlichen Handlungsmöglichkeiten eher verringert als erhöht hat.

Sind Staatsschulden nicht die einzige wirklich stabile Säule des Finanzsystems?

Otremba: Erstens werden uns die Staatsschulden insgesamt sicher nicht ausgehen. Zweitens gibt es selbst bei der geplanten Schuldenbegrenzung immer noch geringfügige Möglichkeiten der Neuverschuldung. Der Bestand der Schuldpapiere wird ja nicht angetastet. Zudem haben die Staatsschulden auch einen gewissen Verdrängungseffekt bewirkt. Man wird also andere sichere Anlageformen in den Vordergrund rücken, wenn die Staatsschulden zurückgehen, zum Beispiel Hypotheken oder entsprechend risikogestreute Unternehmensanleihen.

Nicht nur Banken, auch Autohersteller und -zulieferer rufen nach Staatshilfe. Setzt hier nicht nur ein notwendiger Strukturwandel ein, den auch der Staat nicht verhindern kann?

Otremba: Das ist völlig richtig, das wollen wir auch nicht. Die Hilfsprogramme, die wir mit dem zweiten Konjunkturpaket aufgelegt haben, beziehen sich ausdrücklich auf Unternehmen, die durch die Zusammenballung der Finanzmarktkrise und des scharfen Konjunktureinbruchs doppelt betroffen sind, die im Kern gesund sind, die eine langfristige Perspektive haben, die also ohne eigenes Verschulden in Not geraten sind. Selbstverständlich werden diese Hilfen nicht dafür genutzt werden dürfen, Strukturanpassungen zu verhindern.

Bei der HRE kann man noch argumentieren, sie sei "systemrelevant". In der Autobranche geht es "nur" um Tausende Arbeitsplätze. Darf der Staat Opel unter die Arme greifen?

Otremba: Der Fall Opel ist noch in der Prüfungsphase. Grundsätzlich darf der Staat Konkurse nicht verhindern. Andererseits sehen wir natürlich auch, dass Industriestrukturen, die einmal abgestorben sind, nicht automatisch wieder neu wachsen. Wenn man jetzt gesunde und zukunftsträchtige Unternehmen vorübergehend durch die Krise rettet, kann das Sinn machen, muss aber im Einzelfall scharfen Prüfungskriterien unterliegen.

Die Marke mit dem Blitz ist seit Jahrzehnten eng verzahnt mit der Konzernmutter GM. Vor allem aber ist Opel nicht im Besitz der Patente. Kann der Staat Opel überhaupt retten?

Otremba: Im Moment wird noch darüber verhandelt, wie der Gesamtkomplex Opel/GM überhaupt zu behandeln ist. Dabei warten wir natürlich auch auf Entscheidungen in den USA. Die Abkopplung ist in der Tat eins der schwierigsten Probleme. Und davon wird es letztlich auch abhängen, ob man Opel in die Zukunft retten kann. Eine Trennung würde nur Sinn machen, wenn es Investoren gäbe, die Opel langfristig überlebensfähig machen. Allein ist das der Konzern aufgrund seiner Größenordung wohl nicht. Entweder bleibt Opel in einem gewissen Verbund mit einem sanierten GM-Konzern oder es findet sich ein Dritter, der in die Standorte in Deutschland und Europa investieren möchte.

Daimler soll an Eisenach interessiert sein. Stimmt das?

Otremba: Es gibt sicher Interessenten für einzelne Opel-Standorte, aber wenn man jetzt über einzelne Werke redet, gibt man das Gesamtkonzept Opel schon auf.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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