Sprengkraft durch EuGH-Vorlage: Immobilienkredite im Wert von 1,18 Billionen Euro angreifbar
Archivmeldung vom 11.02.2019
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Freigeschaltet durch André OttUnverhofft kommt oft: "Das Landgericht Saarbrücken beschert mit seinem Beschluss der Vorlage an den EuGH allen Verbrauchern ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk", sagt Dr. Timo Gansel, Rechtsanwalt und Entdecker des Widerrufsjokers. Sein Kollege Thomas Röske, der die Vorlage beim EuGH in einem Verfahren durchgesetzt hat, spricht sogar von einem "Wintermärchen für Verbraucher".
Die Entscheidung des Landgerichts (LG) Saarbrücken (AZ 1 O 164/18) erschüttert daher die Banken - ihnen droht jetzt eine neue Widerrufswelle. Bei einem Kreditvolumen von 1,18 Billionen Euro im Zeitraum von Juni 2010 bis einschließlich März 2016 allein an Immobiliendarlehen für Verbraucher, ist dies ein erneutes Schreckensszenario für die Banken. Aber für Verbraucher ist es eine großartige Chance.
Wenn Banken in ihren Verträgen Fehler machen, insbesondere in den Widerrufsinformationen, kann der Verbraucher mit dem Widerruf ganz elegant und ohne Strafzahlungen den Vertrag vorzeitig ablösen. Auch wer schon eine Strafzahlung (Vorfälligkeitsentschädigung) an die Bank zahlen musste, kann diese mit dem sogenannten Widerrufsjoker zurückfordern.
Um diese Formulierung zum Beginn der Widerrufsfrist geht es: Widerrufsrecht Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach §492 Abs. 2 BGB (z.B. zur Angabe des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.
Diese hier genannte Formulierung findet sich in nahezu jedem Immobilienkreditvertrag, der zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 in Deutschland abgeschlossen wurde. Sogar in allen sonstigen Verbraucherkrediten ist diese Formulierung über diesen Zeitraum hinaus häufig zu finden. Das gesamte Kreditvolumen liegt damit also noch deutlich höher als 1,18 Billionen Euro.
Mit dem Beschluss des LG Saarbrücken, die Klausel zum Beginn der Widerrufsfrist dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vorzulegen, befürchten die Banken eine weitere Widerrufswelle, die sie durch eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahr 2016 eigentlich schon gestoppt sahen.
Alleine durch die Vorlage beim EuGH sind die Karten jetzt neu gemischt und der sogenannte Widerrufsjoker ist wieder da. Verbraucher sind erneut in einer erstarkten Position, wenn sie in Verhandlung mit der Bank treten. Alle Verbraucher können nämlich auf eine deutlich stärkere Verhandlungsbereitschaft und ein größeres Entgegenkommen der Banken setzen, wenn sie ihre Immobilienkredite vorzeitig ablösen oder umschulden wollen. Denn eine Entscheidung zu Gunsten der Verbraucher würde die Banken mehr Geld kosten als wenn sie sich jetzt mit ihren Kreditnehmern einigen. "Ein Widerruf bietet jetzt wieder mehr denn je die Möglichkeit mit seiner Bank zu verhandeln. Häufig kann man durch diese Verhandlungen tausende Euro sparen. Eine Prüfung ist in jedem Fall sinnvoll", sagt Dr. Timo Gansel.
Hintergrund: Entgegen der Rechtsprechung des BGH sieht das LG Saarbrücken die Formulierung zum Fristbeginn des Widerrufes nicht als "klar und prägnant" an. Das Landgericht ist der Auffassung, dass es für den Verbraucher unmöglich ist, aus dem Verweis auf einen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und die nochmalige Verweisung auf wiederum andere Paragrafen den Beginn der Widerrufsfrist zu erkennen. Darum strebt es eine Klärung durch den EuGH an.
Warum ist das für Verbraucher eine wichtige Entscheidung?
Wer seinen Kredit vorzeitig beenden möchte oder muss, dem droht eine Strafzahlung an die Bank - die Vorfälligkeitsentschädigung. Diese macht mehrere tausend Euro aus, die man nun nicht mehr zahlen muss, wenn man den Vertrag widerruft. Auch wer bereits eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt hat, kann diese mit einem Widerruf zurückbekommen. Verbraucher, die Ihr laufendes Darlehen auf die jetzt niedrigen Zinsen umschulden bzw. zu den aktuellen Konditionen verlängern wollen, sind nun ebenfalls in einer deutlich besseren Verhandlungsposition. Der Hypothekenzins für ein 10-jähriges Baudarlehen lag Anfang Februar 2019 bundesweit in der Spitze bei einem Zinssatz von 0,70% p.A.
Warum ist diese EuGH-Vorlage für die Banken so brisant?
Nun könnte man meinen, dass die Banken in Ruhe eine Entscheidung des EuGH abwarten könnten. Schließlich ist mit einer Entscheidung erst in ein paar Jahren zu rechnen. Unsere Experten sind sich jedoch aufgrund verschiedener Entscheidungen des EuGH zum "Gebot der Klarheit und Prägnanz" sicher, dass die Richter zugunsten der Verbraucher entscheiden werden. Das bedeutet, dass mit einer Entscheidung des EuGH den Banken gar kein Anspruch mehr zusteht. Daher werden Banken lieber jetzt in den Dialog mit ihren Kunden eintreten und so noch einen Teil des Geschäftes retten als später gar nichts mehr zu verdienen. Zumal die Rückstellungen, die Banken für solche Risiken einkalkulieren müssen, immens sind und auf die Bilanzen drücken.
Woher kommen die 1,18 Billionen Euro?
Die Bundesbank hat in ihrer Statistik allein für die Immobilienkredite, die in dem Zeitraum zwischen dem 11.06.2010 und 20.03.2016 fallen, ein Volumen von 1,18 Billionen Euro ausgewiesen. Nicht hinzugerechnet sind alle anderen Verbraucherkredite, die Banken weit über diesen Zeitraum hinaus vergeben haben. Auch bei diesen Kreditverträgen wird diese Klausel zur Widerrufsinformation verwendet. Daher sind unserer Ansicht nach weit mehr Verträge widerrufbar.
Quelle: Gansel Rechtsanwälte (ots)