Wandel der Wirtschaft und das Ende des Modells Deutschland
Archivmeldung vom 28.12.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAlle positiven Prognosen für 2006 täuschen über eine Tatsache hinweg: Wir leben in einer Periode tiefgreifenden Wandels der Wirtschaft. In seinen Konsequenzen wird er vielleicht radikaler sein als die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert. In diesem wirtschaftlichen Strukturwandel bleibt nichts mehr so wie in den letzten fünfzig Jahren.
Dr. Eckard Bolsinger, stellvertretender
Direktor von HAUS RISSEN HAMBURG, Internationales Institut für
Politik und Wirtschaft, erklärt: "Dieser Umbruch ist so umfassend,
dass er das deutsche Wirtschaftssystem grundlegend verändern wird.
Das Ende des Modells Deutschland steht unmittelbar bevor, und keiner
will es wahr haben." Er beschreibt fünf gleichzeitige Trends für die
endgültige Überwindung der alten Bundesrepublik:
1. Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft
In den letzten fünf Jahrzehnten ging die Zahl der Erwerbstätigen
im Bereich des produzierenden Gewerbes von 46 Prozent auf 26 Prozent
zurück, während im Dienstleistungsbereich diese Zahl von 32 Prozent
auf 72 Prozent anstieg. Dieser Rückgang der industriellen Fertigung
und der Anstieg der Dienstleistungen in Deutschland folgt dabei nur
der Entwicklung in den anderen westlichen Wirtschaftsnationen.
2. Globalisierung der Unternehmen
Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft wird verstärkt, indem
deutsche Unternehmen ihre Produktion zunehmend ins Ausland verlagern.
Der globale, scharfe Wettbewerb zwischen Unternehmen zwingt diese
sich systematisch Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Jede einzelne
Aktivität des Unternehmens wird auf betriebswirtschaftliche Effizienz
überprüft.
3. Globalisierung und Regionalisierung der Wirtschaft
Seit zwanzig Jahren ziehen Regierungen auf der ganzen Welt Lehren
aus dem Scheitern aller Alternativen zu Marktwirtschaft und
Freihandel. Indem sie ihre Märkte nach Innen liberalisierten und nach
Außen öffneten, haben sich die Volkswirtschaften zunehmend
verflochten. Dieser Prozess der Globalisierung führt dazu, dass nicht
nur Unternehmen miteinander konkurrieren, sondern auch Staaten bemüht
sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
4. Ende des rheinischen Kapitalismus
In den vergangenen zehn Jahren hat sich von der Öffentlichkeit
fast unbemerkt ein Wandel vollzogen, der ein typisches Merkmal des
deutschen Wirtschaftssystems, des sogenannten rheinischen
Kapitalismus, beseitigte: Die Überkreuzbeteiligungen von Unternehmen
sowie die Dominanz von Management und Aufsichtsrat gegenüber
Anlegern. Durch eine simple Änderung des Steuerrechts konnten sich
Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen von ihren Anteilen an
anderen Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen trennen.
Resultat ist eine Entflechtung der Deutschland AG.
Das Ende der Deutschland AG bedeutet auch das Ende des
kooperativen Kapitalismus. Alleiniger Maßstab für die Führung von
börsennotierten Unternehmen wird mehr und mehr die Wertsteigerung der
Aktien sein, der shareholder value.
Der rheinische Kapitalismus ist auch deshalb ein Auslaufmodell,
weil sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass wir bislang dem
Staat mehr aufgebürdet haben, als er letztlich leisten kann.
5. Wandel der Arbeit
Die jetzige Rentnergeneration ist die letzte, die noch in den
Genuss eines Arbeitsplatzes gekommen ist, an dem man sein ganzes
Erwerbsleben unbehelligt von neuem Wissenserwerb verbringen konnte.
In einer unserer turbulenten Zeit wird der Wechsel von einem zum
anderen Unternehmen und die Unsicherheit des Anstellungsverhältnisses
zum Normalfall.
Das Versagen der Politik und die Chance von Unternehmern
"Eine Politik, die sich schon mit den kleinsten Reformen des
Sozialstaates und des Arbeitsmarktes schwer tut, wird keine Antwort
auf diese fünf Entwicklungstrends finden", so Bolsinger. "Alle
Erfahrung zeigt, dass eine Regierung in den ersten zwölf Monaten
ihrer Amtszeit schmerzhafte Änderungen ins Werk setzen muss. Gelingt
ihr das nicht, wird sie scheitern."
Wenn die politische Führung versagt, bleiben einzig die
Unternehmer. Diese sind alltäglich mit dem Wandel konfrontiert. Sie
ändern Strukturen und Prozesse ihres Unternehmens, um im verschärften
Wettbewerb bestehen zu können. Doch alle Änderungen interner Abläufe
werden ins Leere gehen, wenn sie nicht die Denkgewohnheiten und
Routinen der Mitarbeiter einschließen. Deutsche Unternehmer müssen
ein vitales Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter und die
Öffentlichkeit den Strukturwandel begreifen und aktiv unterstützen.
Ein Unternehmer, der auf ein Umfeld trifft, das sich dem Wandel
verweigert und das den Kampf um Wettbewerbsvorteile als
"Heuschrecken-Kapitalismus" oder als "unpatriotisches Verhalten"
denunziert, hat im Grunde den Konkurrenzkampf schon verloren. Die
soziale Verantwortung des Unternehmers ist das Erzielen von Gewinn
durch gesteigerte Produktivität und Innovation. Gewinn kann aber nur
erzielt werden, wenn dies von den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit
verstanden und akzeptiert wird. Sollte dies nicht mehr der Fall sein,
wird unternehmerischem Handeln die sachliche und moralische Basis
entzogen. Deshalb muss jeder Unternehmer seinen Teil dazu beitragen,
dass das Verständnis des strukturellen Wandels der Wirtschaft
gefördert wird und sich das Denken an die geänderten Bedingungen
anpasst. Er betreibt dabei Werbung in eigener Sache und beteiligt
sich am Aufbau eines neuen Modells Deutschland.
Quelle: Pressemitteilung Hauss RISSEN