Tickende Zeitbombe: Euler Hermes erwartet weltweite Pleitewelle ab spätestens Herbst
Archivmeldung vom 20.07.2020
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Freigeschaltet durch André OttWährend sich die USA aktuell im Epizentrum der Insolvenzwelle befinden, herrscht in einigen anderen Ländern noch die Ruhe vor dem Sturm - so auch in Deutschland. Allerdings dürfte spätestens ab dem Herbst überall auf der Welt die Pleitewelle einsetzen, die sich dann über das gesamte erste Halbjahr 2021 fortsetzt.
Zu diesem Ergebnis kommt der weltweit führende Kreditversicherer Euler Hermes in seiner aktuellen Studie. Die Euler Hermes Experten erwarten aktuell für die beiden Jahre 2020 und 2021 einen kumulierten Anstieg der weltweiten Insolvenzen um insgesamt 35% [1] auf einen neuen Negativrekord (17% im Jahr 2020, 16% im Jahr 2021). Die Entwicklung ist allerdings sehr heterogen: In zwei von drei Ländern zeigt sich bereits jetzt ein massiver Anstieg der Pleiten, im anderen Drittel wiederum findet der stärkste Anstieg zeitversetzt erst 2021 statt.
Tickende Zeitbombe statt Entwarnung: Ab Herbst geht die Insolvenzwelle überall los
"Das ist aber längst keine Entwarnung, sondern vielmehr eine tickende Zeitbombe", sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Spätestens im dritten Quartal des Jahres wird diese Zeitbombe hochgehen und die Schockwellen dürften sich ins gesamte erste Halbjahr 2021 ausbreiten."
Keine Entspannung in Sicht: Weltweite Insolvenzen steigen 2020/2021 auf Rekordhoch
Eine Entspannung zeichnet sich 2021 mit einem weiteren Zuwachs der weltweiten Insolvenzen also keinesfalls ab. "Vergleicht man die Prognosen von 2021 mit den Fallzahlen von 2019, ergibt dies in den beiden Jahren einen kumulierten Zuwachs der globalen Pleiten um mehr als ein Drittel (+35%) auf einen neuen Negativrekord", sagt Maxime Lemerle, Chef der Insolvenz- und Branchenanalysen bei der Euler Hermes Gruppe. "Wenn die jeweiligen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zu früh beendet werden, dürfte der Anstieg sogar noch um 5-10 Prozentpunkte höher ausfallen."
Exportnation Deutschland stark von internationaler Entwicklung abhängig
Keine guten Nachrichten für die Exportnation Deutschland, bei der sich negative Entwicklungen in den Exportmärkten meist stärker auswirken als in anderen Staaten. Trotzdem kommt Deutschland im Vergleich voraussichtlich besser durch die Krise als viele andere.
"Deutschland könnte im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit einem blauen Auge davonkommen", sagt Van het Hof. "Gründe dafür sind neben der besseren Ausgangssituation und dem kürzeren, weniger strikten Lockdown vor allem die schnellen und sehr umfangreichen Sofortmaßnahmen der Regierung. Insbesondere der gemeinsame Schutzschirm von Bund und Kreditversicherern für deutsche Unternehmen hat den Handel erst einmal stabilisiert und Lieferketten zusätzlich geschützt."
Deutschland mit blauem Auge? Andere Länder trifft es noch wesentlich härter und früher
Insgesamt dürften die Pleiten hierzulande im Zuge der Covid-19-Pandemie in den zwei Jahren bis 2021 um insgesamt 12% auf dann etwa 21.000 Fälle ansteigen. Der Löwenanteil dürfte mit +8% auf 2021 entfallen. 2020 erwartet der führende Kreditversicherer einen Zuwachs der Fallzahlen um +4% auf rund 19.500 Fälle.
Damit gehört Deutschland wie auch Großbritannien, Frankreich, Belgien, der Schweiz oder Indien zu dem Drittel der Länder, die die Negativeffekte zeitverzögert erreicht. Neben den staatlichen Sofortmaßnahmen ist einer der Hauptgründe dafür die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in Deutschland bis zum Herbst.
Deutschland: Häufung von Großinsolvenzen in Schlüsselbranchen im 1. Halbjahr 2020
"Unternehmen in Schieflage müssen dies aktuell erst im Herbst bei einem Insolvenzgericht anzeigen", sagt Van het Hof. "Deshalb sehen wir aktuell noch relativ wenige Fälle in Deutschland. Aber der Schein trügt und im Herbst schlägt für viele die Stunde der Wahrheit. Auch wenn aufgrund der temporär ausgesetzten Antragspflicht zuletzt nur wenige Insolvenzen angemeldet wurden, darf auch das nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im ersten Halbjahr 2020 trotzdem bereits eine Häufung von Großinsolvenzen sehen - insbesondere in Schlüsselbranchen wie der Automobil- und Metallindustrie."
Neue Geschäftsmodelle gefragt - aber Schuldenberge und Finanzierung zum Teil schwierig
Hinzu kommen große Herausforderungen für die Unternehmen bezüglich der sich - nicht zuletzt durch Covid-19 - drastisch verändernden Geschäftsmodelle.
"So ist zum Beispiel kein Unternehmen darauf ausgerichtet, plötzlich nur noch die Hälfte der Kunden zu bedienen. Viele Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell grundlegend überdenken und adaptieren. Das müssen sie erst einmal finanzieren, dazu brauchen sie Margen und eine Lösung für die Restrukturierungen ihrer Schuldenberge, die durch Covid-19 bei vielen Unternehmen stark gewachsen sind. Zusammen mit der digitalen Transformation sind das viele Variablen, die über die weitere Entwicklung auch nach 2021 entscheiden werden."
USA mit stärkstem Anstieg 2020, Brasilien, Portugal, Niederlande und China mit Pleitewelle
Trotzdem trifft es viele Unternehmen in anderen Ländern früher und härter: Die USA (+47% Anstieg der Insolvenzen 2020) führen das Negativranking der Länder an, die bereits 2020 unter einem massiven Anstieg der Insolvenzen leiden. Sie teilen ihr Schicksal mit zwei von drei Ländern weltweit. Darunter befinden sich neben den USA, Brasilien (+32% im Jahr 2020) und China (+21%) auch viele europäische Staaten wie beispielsweise Portugal (+30%), die Niederlande (+29%), Spanien (+20%) oder Italien (+18%).
Datenbasis: [1] Fallzahlen Prognose 2021 vs. Fallzahlen 2019: Bei einem Anstieg bis 2021 ist der kumulierte Anstieg in beiden Jahren 2020 und 2021 gemeint. Mit dieser Zweijahresentwicklung lassen sich die einzelnen Länder mit teilweise sehr heterogenen Insolvenzentwicklungen in der Covid-19-Pandemie besser vergleichen. Der prozentuale Anstieg (Prognose) für 2020, 2021 sowie die kumulierte Zweijahresentwicklung 2020/2021 sind nach einzelnen Ländern in der Tabelle auf der letzten Seite der Studie ausgewiesen.
Quelle: Euler Hermes Deutschland (ots)