LOVELLS: Nach der Berliner Gerichtsentscheidung muss die Postmindestlohnverordnung grundsätzlich überdacht werden
Archivmeldung vom 08.03.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat am 7. März 2008 (VG 4 A 439.07) die Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 28. Dezember 2007 für unwirksam erklärt. Mit dieser Rechtsverordnung waren ab dem 1. Januar 2008 deutschlandweit verbindliche Mindestlöhne von bis zu 9,80 EUR pro Stunde für die gesamte Briefdienstleistungsbranche bestimmt worden.
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigte nun die Rechtswidrigkeit der Erstreckung des Mindestlohns auf die gesamte Branche.
Der klagende Arbeitgeberverband und die ebenfalls klagenden Postkonkurrenten sehen sich durch die Verordnung des Bundesministeriums in ihren Grundrechten verletzt und in ihrer Existenz bedroht. Sie hatten eigene Tarifverträge abgeschlossen, die niedrigere Mindestlöhne festlegen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts, dessen vollständige Begründung noch nicht vorliegt, wird der Debatte um Mindestlöhne auch in vielen weiteren Branchen eine neue Dynamik verleihen. Rechtsanwalt Matthes Schröder aus dem Hamburger Büro von Lovells LLP fordert:
"Auch dann, wenn Bundesminister Scholz mit der Einlegung der Berufung gegen das Urteil offenbar keinerlei Folgen für die Geltung der Rechtsverordnung und damit des branchenweiten Mindestlohns befürchtet, kann doch die Parole nach dieser Schlappe nicht einfach "Weiter so!" lauten. Jedenfalls kann der Minister mit einer grundlegenden Überarbeitung der beabsichtigten vollständigen Neufassung des Arbeitnehmerentsendegesetzes nicht länger warten."
Der Arbeitsrechtsexperte weiter:
"Das Verwaltungsgericht hat die schwerwiegenden Bedenken aufgenommen, welchen die Pläne des Arbeitsministers im Hinblick auf die Tarifautonomie der Postkonkurrenten und ihrer Arbeitge-berverbände stets begegneten. Es eine Sache, durch verbindliche Rechtsverordnung die Geltung bestimmter Tarifverträge auf bislang überhaupt nicht an Tarifverträge gebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erstrecken. Von ganz anderer Qualität aber ist es, auch die Anwendung ordnungsgemäß zustande gekommener anderer Tarifverträge der Postkonkurrenten und damit deren Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit vollkommen ins Leere laufen zu lassen."
Der Referentenentwurf vom 11. Januar 2008 zu einem neuen Arbeitnehmerentsendegesetz sollte zwar die vor dem Verwaltungsgericht noch mit Erfolg gerügte "Ermächtigungslücke" schließen. Dass allein diese formale "Nachbesserung" aber die schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte anderer Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften wirklich rechtfertigen kann, bezweifelt der Arbeitsrechtler.
Der Lovells Postrechtsexperte, Dr. Michael Stulz-Herrnstadt, ebenfalls Anwalt im Hamburger Büro, sieht in der Entscheidung aber auch weitere Impulse:
"Sollte die Entscheidung des VG Berlin Bestand haben, hätte sie nicht nur Auswirkung für den nationalen Postmarkt, sondern dürfte auch Folgen für dessen internationale Bedeutung haben. Denn trotz der in Deutschland Anfang des Jahres erfolgten vollständigen Marktliberalisierung, sind im Postbereich derzeit zentrale Rechtsfragen noch nicht abschließend geklärt. Dies betrifft nicht nur die Mindestlohnfrage, sondern auch die Frage des Mehrwertsteuerprivilegs oder den Streit um die Benutzung des werbewirksamen Begriffs Post. Hinzukommt zukünftig auch die Frage nach dem Umgang mit der sog. Reziprozitätsklausel der erst jüngst in Kraft getretenen dritten EU-Postrichtlinie, die unter bestimmten Voraussetzungen einen Wettbewerbsschutz vermittelt."
Die genaue
Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen ist daher auch weiterhin
unabdingbare Voraussetzung unternehmerischer Entscheidungen im
liberalisierten Postmarkt, so der Postrechtsex-perte weiter.
Quelle: Lovells LLP