Lobbyismus: Aus der Tabuzone auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit
Archivmeldung vom 18.12.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHatte Günter Grass noch im Januar 2008 medienwirksam ein Hausverbot für Lobbyisten im Bundestag gefordert, glauben mittlerweile viele Experten, dass sich in der Lobbyismus-Debatte etwas bewegt.
"In der Öffentlichkeit hat das Thema deutlich an Relevanz gewonnen", sagt Ulrich Müller von der Kölner Organisation "Lobby Control". Kritische Recherchen durch Journalisten, Eigeninitiative durch führende Lobbyisten und nicht zuletzt engagierte Abgeordnete, die eben nicht mit den Lobbyisten eng auf Tuchfühlung gehen möchten, setzen die Lobbyismus-Debatte auf die Tagesordnung. "Die Finanzmarktkrise wird die Debatte um die Einflusszonen der Lobbyisten noch verstärken", erklärt Thomas Leif, Vorsitzender von netzwerk recherche e.V.. Zuletzt warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem SPD-Parteitag Mitte Oktober vor "einem Europa der Lobbyisten".
Seit der Bundesrechnungshof mit dem Thema "Lobyisten als Leihbeamte in den Ministerien, die Öffentlichkeit alarmierte, beschäftigen sich auch die Fraktionen im Deutschen Bundestag mit ihren "Partnern im Lobbyismus. Nach einer intensiven Berichterstattung scheint das von der Deutschen Bank erfundene und von Otto Schily vorangetriebene Programm "Seitenwechsel" faktisch am Ende. In der nr-Werkstatt wird dieser Vorgang ausführlich dokumentiert.
Die Rolle der Lobbyisten in der parlamentarischen Praxis wurde lange Zeit unterschätzt. "Lobbyisten sind nicht nur Händler von Informationen, sondern auch Vordenker, Mahner, Rohstofflieferanten und Servicekraft in einer Person. Der rasante Wechsel zum Teil prominenter Politiker in führende Lobbypositionen hat die Aufmerksamkeitsschwelle im Parlament noch erhöht", sagt Thomas Leif. Die Liste der Namen ist lang. Laut einer Studie von "Lobby Control" arbeiten 15 von 63 Ministern und Staatssekretären aus der früheren rot-grünen Koalition heute in Positionen mit "starkem Lobbybezug." Diese ehemaligen Parlamentarier verkaufen ihr Insiderwissen, ihre alten Verbindungen und ihren Zugang zu ihren früheren Mitarbeitern in der Ministerialbürokratie. Neben der personellen Verflechtung sind die subtilen Methoden der Lobbyisten kennzeichnend, analysiert die Bundesverfassungsrichterin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt: Sich die Gunst von Politikern und Journalisten zu kaufen, gehört genauso dazu, wie Fachleute, Berater, Expertenrunden oder ganze Kommissionen - ganz im Sinne eines "schlanken Staates" - zu stellen, die den Abgeordneten bei der Bewertung der Themen helfen. "Dabei nimmt man stillschweigend in Kauf, dass der eingekaufte Sachverstand von Eigeninteressen geleitet ist, oder man setzt das staatliche Interesse mit den privaten Interessen, die hinter dem eingeholten externen Rat stehen, einfach gleich", kritisiert die Bundesverfassungsrichterin. So werde immer undurchsichtiger, "wer eigentlich Urheber für welche Vorlagen oder Gesetzesentwürfe ist".
"Der Skandal ist nicht das Lobbying", stellt Klaus Kocks, Kommunikationswissenschaftler und PR-Experte, klar. Vielmehr sei es die "Speichelleckerei gegenüber Lobbying, die Bequemlichkeit, mit der einige nachbeten, was andere vorsetzen. Wo Macht ist, ist Machtausübung und der Kampf um Machtausübung, also Lobby." Lobbyarbeit sei legitim, so Jürgen Hogrefe, Generalbevollmächtigter der Energie Baden-Württemberg AG (ENBW): "Was wir machen, findet statt, es ist Realität, es ist auch nicht illegitim! Wir gehen einem Verfassungsauftrag nach."
Neben dem Ruf nach Transparenz werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. So kann sich die frühere parlamentarische Staatssekretärin und heutige Chef-Lobbyistin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, Cornelia Yzer, "eine legislative Fußspur" vorstellen, "die auflistet, wer bei der jeweiligen Gesetzgebung mitgewirkt hat." Aber die frühere CDU-Politikerin geht noch weiter: "Der Lobbyismus in Deutschland und Europa muss transparenter werden, wenn er nicht nur legitim, sondern auch akzeptiert sein will. Wir brauchen ein verbindliches Lobbyregister und verbindliche Spielregeln."
Eine "Entmystifizierung der Lobbyarbeit" und stattdessen ein "verantwortungsvolles Lobbying" fordert ENBW-Generalbevollmächtigter Jürgen Hogrefe. "Transparency International Deutschland" fordert seit Januar 2006 die Einrichtung eines obligatorischen Lobbyistenregisters in Deutschland. "Durch ein Lobbyistenregister wird transparenter, wer welche Interessen vertritt", erklärt Christian Humborg, Geschäftsführer der Organisation "Transparency International Deutschland". Zusätzlich sollte ein Verhaltens-Kodex für Lobbyisten eingeführt werden. Auch müsste es eine Karenzzeiten für Politiker und Beamte nach dem Ausscheiden aus dem Amt geben. Grundlage könnten die Vorgaben des Verteidigungsministeriums sein.
Unabhängige Expertisen für die Politik und starke Medien, die sich ihrer Kontroll- und Wächterfunktion bewusst sind und diese auch ausüben können, werden von Lobbyisten, Journalisten und Politikern ebenfalls genannt. Thomas Leif hat aus den genannten Forderungen sechs Lösungsansätze formuliert, die in der 230 Seiten umfassenden Dokumentation nachgelesen werden können. Neben zahlreichen Beispielen von Lobbyeinfluss, die den Status Quo skizzieren, bietet das Buch eine kommentierte Literaturliste zum Thema. "In der Lobby brennt noch Licht. Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien", herausgegeben vom netzwerk recherche e.V., kann kostenlos als PDF-Datei unter www.netzwerkrecherche.de heruntergeladen oder dort bestellt werden.
Quelle: netzwerk recherche e.V.